Es ist das älteste Klischee seit es Hollywood gibt: der eigene Partner und die beste Freundin. Lügen, Intrigen und ohne Ende Drama – bester Filmstoff. Aber was, wenn dieses miese Drehbuch das eigene Leben ist? Kann man nach einer solchen Erfahrung überhaupt jemals wieder eine normale Beziehung führen? Kann man Vertrauen wieder lernen?
Der Teufel aus der 9b
Ich war 15, als ich meinen ersten richtigen Freund hatte. Sagen wir, er hieß Tom. Tom war super. Schüchtern, lieb und aufmerksam. Ein echter Glücksgriff für die erste große Liebe. Tom hatte nur einen Haken. Und der hieß Lisa.
Lisa ging in dieselbe Klasse wie wir und war Toms beste Freundin. Und sobald wir ein Paar waren, war sie auch meine beste Freundin. Wir haben alles zusammen gemacht: schauten DVDs (das sind die runden, glänzenden Scheiben, die es vor Netflix gab, liebe Gen Z), sind shoppen gegangen und haben heimlich Berentzen Wildberry getrunken.
Manchmal haben Tom und ich uns gestritten. Dann habe ich Lisa angerufen und mich bei ihr ausgeheult. Sie hat gesagt, sie würde mit ihm sprechen und das wird schon wieder. Eines Tages fuhr ich zu ihm, weil er nicht mehr ans Handy ging. In seinem Zimmer war die kitschige Fotocollage, die ich ihm geschenkt hatte, verschwunden.
Stattdessen lag da etwas ganz anderes auf seinem Bett, das da nicht hingehörte: ein schwarzes Top von H&M. Ich hatte es sofort erkannt: Es gehörte Lisa. Wie ich später erfahren habe, hatte sie alle Infos über unseren Streit genutzt und uns gekonnt gegeneinander ausgespielt. Und das nicht zum ersten Mal.
Bald darauf kursierte ein Liebesbrief von mir in der Klasse, den ich Tom einmal geschrieben hatte. Seitdem hatte ich jeden Abend vor der Schule Bauchschmerzen. Irgendwann rief er mich an, um mir zu sagen, es täte ihm leid und er liebte mich noch immer.
Ich weinte vor Glück, dann hörte ich das Gelächter im Hintergrund. All seine Freunde hatten mitgehört. Inklusive Lisa. Meine sogenannte beste Freundin hatte mir nicht nur den Freund ausgespannt (sie und Tom waren jetzt in einer verwirrenden On-Off-Beziehung), sie hatte mir das letzte Jahr in der Mittelstufe zur Hölle gemacht.
Vertrauen lernen: Die Sache mit dem Urvertrauen
Es wäre gelogen zu behaupten, dass mich diese Erfahrung zu einem verschlossenen und misstrauischen Menschen gemacht hätte. Tatsächlich öffne ich mich neuen Leuten gegenüber oft sogar zu schnell; nach zwei Gläsern Wein packe ich gern schon mal meine gesamte Lebensgeschichte aus, ohne dass jemand danach gefragt hätte. Meine Google-Recherche hat ergeben, dass das dafür spricht, dass ich ein großes Urvertrauen habe.
Denn die Wissenschaft sagt, dass Vertrauen lernen insofern eigentlich nicht nötig ist, weil jeder Mensch mit einem Grundvertrauen geboren wird. Misstrauen hingegen ist das, was wir im Laufe unseres Lebens und unserer Erfahrungen „erlernen“. Überwiegen solch negative Erfahrungen, kann das dazu führen, dass Menschen ihr (Grund-)Vertrauen verlernen.
Misstrauen erhöht das Risiko für schlechte Erfahrungen
Die Tom-Lisa-Sache war zwar übel, konnte aber nicht die Menge an positiven Vertrauens-Erfahrungen überschatten, die ich bis dahin im Elternhaus und anderen Freundschaften gesammelt hatte. Eine Auswirkung hatte sie dennoch und zwar bis heute: Eifersucht. Ich dachte immer, ich sei eben so. Aber inzwischen glaube ich, in meinem 9. Klasse-Horror den Ursprung dafür gefunden zu haben, warum mich andere Frauen im Leben meines Partners extrem verunsichern. Es gib keine Arbeitskollegin oder keine Freundin von früher, mit der ich mich nicht direkt vergleiche – und diesen Vergleich stets verliere: hübscher, schlanker, witziger. Mist.
Irgendwie logisch, wenn man darüber nachdenkt, dass ich meine erste Liebe an die coole Lisa verloren hab, die immer selbstbewusster war als ich, die die angesagteren Klamotten hatte und super beliebt war bei unseren Mitschüler:innen. Da konnte ich einfach nicht mithalten. In Bezug auf andere Frauen hat das dazu geführt, dass ich eine Art Argwohn entwickelt habe. Und genau davor warnt die Psychologie:
Es ist ein natürlicher Reflex, sich vor weiteren Verletzungen schützen zu wollen. Deshalb misstraue ich „Lisa-Typen“ in erster Linie grundsätzlich und sehe sie als Konkurrenz. Das Problem ist, dass das nicht nur für alle Beteiligten extrem anstrengend ist, sondern sogar das Risiko für weitere schlechte Erfahrungen erhöht. Denn noch bevor es irgendwelche Anhaltspunkte dafür gibt, sehe ich in (fast) jeder Frau eine potenzielle Lisa.
Die selbsterfüllende Prophezeiung
Der US-amerikanische Soziologe Robert K. Merton schrieb 1948 einen Artikel mit dem Titel The Self-Fulfilling Prophecy. Darin beschrieb er das Phänomen der sich selbst erfüllenden Prophezeiung als eine anfänglich falsche Bewertung der Situation, die dazu führt, dass diese eigentlich falsche Auffassung richtig wird. Bedeutet: Wenn ich meinen als solche bewertete Kontrahentinnen mit Misstrauen begegne, provoziere ich genau das Verhalten, vor dem ich solche Angst habe.
Ein extremes Beispiel ist die Tatsache, dass sich mein Freund einmal fremdverliebt hat – und zwar in genau die Frau, von der ich mich seit Monaten bedroht gefühlt hatte, weil die beiden objektiv sehr gut zusammen gepasst hätten. Damit lag ich ihm wohl so oft in den Ohren, dass er es irgendwann auch so gesehen hat. Keine zweite Lisa, aber dennoch eine Erfahrung, die das Vertrauen Lernen nicht gerade leichter macht.
Vertrauen lernen über Selbstvertrauen
Was kann ich also tun, um Vertrauen zu lernen – also so richtig, selbst gegenüber den potenziellen Lisas? Hierzu liest man überall das Stichwort „Selbstvertrauen„. Und das ist gar nicht so doof, denn wie bei der Selbstliebe liegen die Fähigkeiten, sich selbst und anderen trauen zu können, sehr nah beieinander. Kann ich meinem eigenen Urteilsvermögen trauen? Ist mein Bauchgefühl zuverlässig?
Um (Selbst-)Vertrauen lernen zu können, muss ich mir erst einmal klar machen: Ich bin genug. Es gibt keinen Grund, mich mit irgendjemandem zu vergleichen. Das ist zugegeben gar nicht so einfach, aber ich arbeite jeden Tag daran. Ich verbringe bewusst Zeit allein mit mir (die sogenannte Me Time), ich gehe zum Sport, um mich körperlich und mental zu stärken und versuche, mich auf die positiven Dinge und Erlebnisse in meinem Leben zu konzentrieren. Eines Tages – soviel Vertrauen habe ich – wird all die Arbeit Früchte tragen.
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