Eine neue Beziehung ist immer etwas Aufregendes. Plötzlich ist da dieser Mensch, der binnen kurzer Zeit zu einer Art eigenem Universum geworden ist. Der, um den sich jeder zweite Gedanke kreist und dessen Anwesenheit das Nonplusultra eines jeden Tages ist. Da kann man sich schon mal in der Schwerelosigkeit des Frischverliebtseins verlieren. Oder man macht es wie ich und zerdenkt ab Minute eins jeden möglichen Aspekt der neuen Bindung – und hebt gar nicht erst ab.
Neue Beziehung: Die mit der rosaroten Brille & die Verkopften
28 Jahre Erfahrung in Sachen Liebe – ob selbst gesammelt, von Freund:innen mitbekommen oder via Film und Fernsehen angeeignet – lassen mich auf folgenden Schluss kommen: Beim Thema neue Beziehung gibt es genau zwei Arten von Menschen. Auf der einen Seiten stehen die euphorisch-Vergötternden, die mit rosaroter Brille durch ihr selbst erschaffenes Universum der großen Romantik schweben. Und auf der anderen Seite sind Menschen wie ich, die dank einer ausgeprägten Grund-Skepsis und einer „lieber nicht zu früh freuen“-Attitude die anfängliche Verliebtheitsphase damit verbringen, sie konsequent zu zerdenken.
Was bedeutet überhaupt Zerdenken? Um diese Frage zu beantworten, bin ich mehr als qualifiziert, denn ich bin die deutsche Meisterin der Verkopften. Menschen wie ich verbringen ihren Tag damit, Geschehenes, Gesagtes und Gelesenes zu interpretieren, zu analysieren, sich im wahrsten Sinne ‚einen Kopf zu machen‘. In einer neuen Beziehung erreiche ich in dieser Disziplin Höchstformen: Ist er der Richtige, war mir das jetzt zu unromantisch, müsste ich nicht dies oder jenes fühlen? Und was, wenn mich seine Mutter nicht mag!!??
Was ich schon an WhatsApp-Nachrichten analysiert habe, passt in kein Reclam-Heft. Aber verändert sich das Zerdenken über die Dauer einer Beziehung? Man sollte ja annehmen, dass mit der Routine und Beständigkeit des Zusammenseins ein ständiges Hinterfragen und Interpretieren überflüssig würde. Tja, nicht so bei uns Verkopften. Aber: Ich habe gelernt, mein Hinterfragen zu hinterfragen. Meta-Hinterfragen sozusagen.
Warum wir neue Beziehungen oft anzweifeln
Die Gründe, warum wir gerade neue Beziehungen oft anzweifeln, gibt es so viele, wie es Zerdenker:innen auf dieser Welt gibt. In meinem Fall war es eine grundsätzliche Angst vor falschen Entscheidungen. Das erlebe ich im Kleinen jeden Tag. Gehe ich zu der Party oder ärgere ich mich dann morgen, weil ich nicht fit bin? Aber was, wenn ich etwas verpasse? Und alle haben riesen Spaß und dann kann ich nie mitreden, weil ich ja nicht dabei war.
Menschen, die zerdenken, haben riesige Angst vor den Konsequenzen ihrer Entscheidungen. Die Party des Jahres zu verpassen wäre natürlich äußerst ärgerlich. Sein Leben mit dem falschen Partner zu verbringen hingegen wäre die absolute Katastrophe! Das würde ja bedeuten, in das eigene Unglück zu rennen und in fünfzig Jahren frustriert vor dem Fernseher zu sitzen, aus lauter Kummer einer latenten Alkoholabhängigkeit verfallen, seit Tagen kein Wort mit dem anderen gewechselt, das eigene Leben bereuend …
So schnell ist das persönliche Weltuntergangsszenario gebaut. Wer da noch in der Lage ist, die beflügelte Zeit der frischen Verliebtheit zu genießen, ist zu beneiden. Dabei sagen solche Ängste viel weniger über die neue Beziehung oder den bzw. die neu:e Partner:in aus, als über sich selbst. Das ist das Haupt-Learning, das ich aus meinen vergangenen und meiner aktuellen Beziehung gezogen habe.
Was mir meine Ängste in einer neuen Beziehung gelehrt haben
Es hat mich einige Beziehungen und etliche Dates gekostet, um zu akzeptieren, dass Menschen im Gegensatz zu Erwartungen real sind. Meine zugegeben sehr hohen Erwartungen an einen potenziellen Partner haben mir schon oft die Tour vermasselt. Vermutlich habe ich es einzig der unendlichen Geduld meines jetzigen Freundes zu verdanken, dass ich gelernt habe, dass Perfektion nicht das ist, worum es in Beziehungen geht.
Bin ich mir selbst genug?
Natürlich überkommt mich hier und da wieder das oben genannte Alkoholiker-und-Bedauern-Szenario. Aber ich weiß bei aller Verkopftheit, dass es ganz allein in meiner Hand liegt, ob es soweit kommt oder nicht – ganz egal, wie sich meine Beziehung bis dahin entwickelt. Denn die Angst vor einem imperfekten Leben wegen einer imperfekten Partnerschaft bedeutet zu Allererste, dass man sich selbst nicht genug ist. Und wer diese Feststellung macht, hat nun die ehrenwerte Aufgabe, sich erst einmal selbst lieben und schätzen zu lernen.
Ich arbeite seit Jahren an meiner Beziehung zu mir selbst und ich werde immer besser. Wenn ich früher jeden Männerabend meines Freundes als deutliche Absage an mich und praktisch meine gesamte Persönlichkeit interpretiert habe, freue ich mich heute auf etwas Me Time, wenn er unterwegs ist. Ich bin überzeugt, dass bei Paaren wie uns, die grundsätzlich funktionieren, die Stimmung immer genau so harmonisch ist, wie beide Partner:innen mit sich im Reinen sind. Fühlt sich eine:r von uns unsicher, wirkt sich das auf Partnerschaft aus. Im besten Fall erkennt man die Unsicherheiten des anderen und kann darauf reagieren und supporten. Daran müssen wir zwar noch arbeiten, aber wir haben ja auch alle Zeit der Welt.
Neue Beziehungen brauchen Zeit
Und das ist schon das zweite und letzte wirklich wichtige Learning, das ich aus meinen Partnerschaften gezogen habe. Eine neue Beziehung braucht Zeit, sich zu entwickeln. Perfektion soll hier nicht das Ziel sein, aber viele Startschwierigkeiten lösen sich von ganz allein, wenn man einander richtig kennt. Für die rosaroten-Brille-Träger:innen kommt die Zeit der Zweifel erst, wenn sie im brillenlosen Alltag angekommen sind. Die Verkopften wie ich müssen sich und ihre Gedanken von Beginn an ab und zu bremsen. Mir hat es geholfen, eine Art Mantra zu entwickeln: Liebe ist Arbeit und keine Beziehung kommt ohne Kompromisse aus. Punkt, aus, Ende.
Imperfektion ist kein Trennungsgrund, sondern der Beweis, dass wir Menschen und keine Roboter sind. In einer Beziehung lernt man wahnsinnig viel über sich selbst – vor allem, wie es um den eigenen Selbstwert steht. In den meisten sowie in meinem Fall ist das, woran gearbeitet werden muss, nicht die Beziehung zum Partner, sondern an der zu sich selbst. Denn für mein Glück oder Unglück in fünfzig Jahren bin immer noch ich selbst verantwortlich.
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