Ich habe heute (genauer vor fünf Minuten) gelernt, was das Wendy-Syndrom ist. Es beschreibt nämlich exakt das, wovon die heutige Kolumne handeln soll. Sprechen wir also einmal über Frauen, die sich aufopferungsvoll um den eigenen Partner, Freunde, Familie kümmern – nur nicht um sich selbst.
Den Nagel auf den Kopf getroffen: Das Wendy Syndrom
Gedanken in Worte zu fassen ist manchmal gar nicht so einfach. Vor allem, wenn es dabei um individuelle Erfahrungen und Emotionen geht. Heute war dieser Prozess ungewöhnlich schnell abgeschlossen. Für das Phänomen, das ich meine, gibt es bereits ein Wort: das Wendy-Syndrom.
Passender geht’s kaum. Wendy Darling, das ist die hingebungsvolle beste Freundin des niemals erwachsen werden wollenden Peter Pan. Männer, die sich weigern erwachsen zu werden? Da klingelt doch was. Disneys Wendy übernimmt im Film die Rolle der Erwachsenen. Sie kümmert sich um Peter Pan und die verlorenen Jungen im Nimmerland. Sie putzt, sie umsorgt und wenn Peter zum Arzt müsste, wäre sie diejenige, die den Termin vereinbart.
Peter Pan & der Gender Care Gap
Das dürfte vielen Frauen bekannt vorkommen. Wenn ich mich mit Freundinnen über Partner oder Dates unterhalte, wundere ich mich immer wieder darüber, wie selbstverständlich wir Frauen noch immer die Verantwortung bei uns suchen.
Ob man es als Wendy-Syndrom bezeichnen möchte oder nicht, die Geschichten sind immer dieselben. Die Frau übernimmt den Großteil des Haushaltes, weil andernfalls einfach nichts passiert. Na klar helfen wir mit, rufen jetzt alle Männer, die nach 1970 geboren wurden. Aber zählt ein Mal im Monat Badputzen und dann so tun, als hätte man die Ordnung der Welt wiederhergestellt? Wendy würde sagen: Klar. Ich mach dann mal den Rest.
Ich aber sage: Moment mal. Wieso fühle ich mich eigentlich immer noch unwohl, wenn ich meinen Partner um Hilfe im Haushalt bitte? Wieso fühle ich mich von einer vollen Spülmaschine eindeutig lauter angesprochen als er? Und wieso habe ich jetzt gerade in diesem Moment an die Wäsche gedacht, die noch aufgehängt werden muss?
Das Problem ist nicht, dass mein Partner oder Männer im Allgemeinen keine Verantwortung übernehmen wollen oder können. Sie müssen es einfach nicht. Wenn ich Freundinnen, die Brüder haben, nach der Arbeitsteilung in der Kindheit frage, sind die Antworten einstimmig. Fußball, Videospiele und Mathenachhilfe – wann soll der arme Junge denn da noch die Wäsche aufhängen?
Ich wusste mit fünf Jahren, wie man ein Bett bezieht. Mein Partner kommt noch heute mit vollgepackten Carepaketen vom Besuch seiner Eltern nach Hause. Der Mann ist 36. Werden Jungen zu kleinen Peter Pans erzogen? Und fällt uns Frauen deshalb ganz automatisch die Rolle der Wendy zu?
Peter Pan muss erwachsen werden. Oder?
So schön die Disney-Geschichte auch ist, das Wendy-Syndrom ist ein deutliches Anzeichen dafür, dass wir noch immer weit entfernt von einer Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau sind. Aber ist es so einfach, den Peter Pans dieser Welt die Schuld daran zu geben?
Wir leben in keiner Gesellschaft (mehr), die uns Frauen hinter den Herd zwingt. Uns schreibt keiner vor, wen wir wann zu heiraten haben. Wir müssen keine Kinder bekommen. Wir sind jederzeit dazu im Stande, zu sagen: Stopp! Das ist nicht meine Aufgabe.
Ich fürchte fast – zumindest, was mich selbst betrifft – dass ich es bin, die voraussetzt, dass ich mich kümmere. Dass ich organisiere und dass ich Arzttermine mache. Es ist weniger das allgemeine Frauenbild, das mich dazu bewegt. Es ist auch nicht mein Freund, der, wenn ich ihn mal lasse, sehr wohl den Geschirrspüler ausräumt. Es ist nicht Peter Pan. Sondern es ist die kleine hübsche Wendy, die in meinem Kopf sitzt und sagt: Los, mach das mal.
Es ist ein veraltetes Rollenbild, das an der Oberfläche überholt ist, aber so vielen jungen Frauen noch immer im Hinterkopf festsitzt. Ein anerzogenes Wendy-Gen, ein Überbleibsel der eigenen Kindheit, in der immer Mama gekocht hat. Eine alte Gewohnheit, die abzulegen auch eine emanzipierte Frau wie mich manchmal noch verunsichert. Vielleicht muss gar nicht Peter Pan erwachsen werden. Vielleicht muss Wendy einfach wieder mehr Kind werden – und zusammen mit den verlorenen Jungen einen Putzplan erstellen.
Noch mehr aus der Kolumne gibt’s hier: