Als ich noch zur Schule ging, lief auf RTL die Sendung „Unsere erste gemeinsame Wohnung“. Die habe ich geliebt! Nicht nur, dass man so schön über den katastrophalen Einrichtungsgeschmack mancher Menschen lästern konnte, das ganze Prinzip der ersten gemeinsamen Wohnung hat mich fasziniert. Wie traumhaft das wohl sein müsse, mit dem Traummann (oder sagen wir Traumjunge) zusammenzuleben. In einem gemeinsamen Bett zu schlafen und abends zusammen auf der Couch zu sitzen…
Heute, etwa 15 Jahre später, habe ich einen anderen Blick auf diesen längst erfüllten (und gleichzeitig geplatzten) Traum. Und ich frage mich: Gibt das gemeinsame Wohnen einem Paar wirklich so viel, wie allgemein vorausgesetzt wird?
Meine erste gemeinsame Wohnung: Wie alles begann
Ich erinnere mich ganz genau, dass wir uns am Tag des Einzugs in unsere erste gemeinsame Wohnung ununterbrochen gestritten haben. Aus heutiger Sicht gibt es für mich dafür mehrere Gründe: Erstens, ich war viel zu jung. Als mein Freund und ich uns kennengelernt haben, stand ich kurz vor dem Studienbeginn und lebte mit meiner besten Freundin zusammen in meiner Traum-Altbauwohnung in Kreuzberg. Ich war 21.
Als er, der schon Ende 20 war und bereits mit einer Ex-Freundin zusammengelebt hatte, dann bereits nach einem Jahr zusammenziehen wollte, war ich völlig euphorisch. Ich weiß noch, dass ich mit meiner Mutter und meiner Oma in einem Restaurant war und zum Telefonieren mit ihm kurz vor die Tür gegangen bin. Da hat er mich gefragt und ich konnte den Rest des Abends mein Grinsen nicht unterdrücken. „Geht das nicht ein bisschen schnell?“, hat meine Mutter, kritisch wie sie ist, angemerkt und ich verneinte vehement. Natürlich hatte sie recht.
Denn nicht nur, dass meine beste Freundin nach diesem frühen Auflösen unserer WG fast ein Jahr nicht mehr mit mir gesprochen hat, auch ich bemerkte schnell, dass der Traum von der ersten gemeinsamen Wohnung in der Realität nicht halb so romantisch war, wie ich es mir vorgestellt hatte. Das zweite Problem war nämlich die Tatsache, dass er bei mir einzog. In meine liebevoll eingerichtete und dekorierte Mädchen-Traumwohnung (Mein Zimmer damals war rosa. Rosa!)
Aus meins wird unser – oder nicht?
Und dann kam er mit seinen riesigen Musikboxen und fürchterlich hässlichen IKEA-Möbeln und den bunten Tassen, die ab nun in meinem Küchenschrank stehen sollten, und den riesigen Hanteln, die überall im Weg herumlagen. Und das Fahrrad! Das musste natürlich im Flur stehen. Ich hab die Krise bekommen. Er war wie ein Eindringling, der in meinen rosa Mädchentraum gestürmt kam und alles kaputtmachte. Ich konnte nicht aufhören, die Wohnung als meine zu betrachten, nicht als unsere. Und das ließ ich ihn spüren.
Ab da stritten wir uns fast täglich über sexy Themen wie Badputzen und Geschirrspülen. Heute weiß ich, dass Grund Nummer drei für unser Scheitern war, dass ich überhaupt nicht bereit gewesen bin, jemandem so viel Platz in meinem neuen Berliner Leben einzuräumen. Es war die Enttäuschung darüber, dass die erste gemeinsame Wohnung nicht das war, was ich mir immer vorgestellt hatte. Dass meine erste ernsthafte Beziehung nicht das war, wovon ich immer geträumt hatte.
Das große Scheitern in der ersten gemeinsamen Wohnung
Irgendwann war das Fass übergelaufen und wir waren einige Wochen getrennt. In der Zeit zog er aus, gründetet eine WG und ich hatte mein Reich wieder für mich. Was in den ersten Wochen folgte, waren schlaflose Nächte, in denen ich mir Fluchtwege überlegt hatte, falls eingebrochen würde, bis hin zu ausgewachsenen Panikattacken, weil ich nicht wusste, wie ich es ertragen sollte, ab nun allein zu leben. Ich begann eine Therapie und lernte, mich mit der neuen Situation zu arrangieren.
Heute sind wir lange wieder zusammen, haben aber immer noch zwei Wohnungen. Seine WG liegt näher an seiner Arbeit, von hier braucht er im Berufsverkehr mehr als doppelt so lang. Deshalb ist er Montag bis Donnerstag dort und Donnerstag bis Montag hier. Ich bin oft unglücklich darüber, weil ich noch immer das Gefühl habe, zu einer richtigen Beziehung gehöre es, zusammenzuleben. Früher hätte ich gedacht, in einer siebenjährigen Beziehung mindestens bereits verlobt zu sein. Das Verbindliche scheint mir wichtig zu sein, obwohl ich die Vorzüge des Alleinwohnens durchaus zu schätzen weiß. Und natürlich weiß ich, dass es kein Rezept für „richtige“ Beziehungen gibt.
Mutter, Vater, Kind – aber zwei Wohnungen?
Meine Tante und ihr Lebensgefährte haben einen sechsjährigen Sohn. Sie leben in zwei getrennten Wohnungen, ganz in der Nähe voneinander. Sie sind nicht verheiratet und haben auch nicht vor, die Haushalte zusammenzulegen. Mein Cousin hat ein Kinderzimmer in jeder der beiden Wohnungen. Ich erinnere mich noch an die erste gemeinsame Wohnung meiner Tante mit ihrem damaligen Freund. Die Beziehung scheiterte. Sie und ihr jetziger Partner haben sich von vornherein gegen das Zusammenleben entschieden und sind glücklich damit. In meiner Familie wird dieses Lebenskonzept eher skeptisch beäugt – dabei sind die meisten selbst mindestens einmal geschieden.
Ich selbst erwische mich oft genug bei dem Gedanken, mit meinem Freund und mir stimme etwas nicht, weil wir nicht fest zusammenwohnen. Dabei komme ich mir selbst so wahnsinnig altmodisch vor. Die Erfahrung der ersten gemeinsamen Wohnung habe ich gemacht und sie war enttäuschend. Heute streiten wir so gut wie gar nicht mehr, wir sind beieinander, wenn wir es wollen und haben Abstand, wenn wir ihn brauchen. Vielleicht wird es Zeit, den Mythos um das gemeinsame Wohnen etwas zu entzaubern.
Es kann toll sein, sein Leben auf so intime Weise mit jemandem zu teilen. Aber am Ende ist es doch eine individuelle Frage, ob man das überhaupt will. Meine Tante und ihre Partner haben sich dagegen entschieden und trotzdem (oder vielleicht genau deshalb) ziehen sie seit sechs Jahren ihren Sohn gemeinsam groß. Wie könnte das weniger „richtig“ sein als die klassische „Eltern, Kind, Haus und Garten“- Konstellation?
Trotzdem: Um ehrlich zu sein, wenn mein Freund ein festes Zusammenziehen in Zukunft ausschließen würde, wäre das für mich ein Trennungsgrund. Unseres halbwöchiges Fernbeziehungs-Konzept ist für den Moment in Ordnung und dank der Therapie habe ich auch keine Probleme mehr mit eingebildeten Einbrechern oder Panikattacken. Aber irgendwann, wenn wir beide bereit sind und die Umstände es ergeben, freue ich mich auf unsere zweite, diesmal richtige erste gemeinsame Wohnung – eine Wohnung, in die wir gemeinsam ziehen und in der ich nicht vorher schon gelebt habe und alles meins ist. Diesmal soll es wirklich unser Zuhause sein.
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