Ricarda Lang, die Bundesvorsitzende und frauenpolitische Sprecherin der Grünen, sah sich in den letzten Tagen mit einem Shitstorrm konfrontiert, der tief blicken lässt. Allerdings sagt er nur wenig über Ricarda aus, dafür aber sehr viel über die Twitter-User:innen. Hier erfährst du, wie eine Politikerin sich auch heute noch mit Fettfeindlichkeit herumschlagen muss und was das angeblich mit der Coronapandemie zu tun haben soll.
Ricarda Lang: Das ist passiert
Eine Frau im Bundestag zu sein, ist schwer. Eine Frau im Bundestag mit einer Meinung zu sein, ist noch schwerer. Eine Frau im Bundestag mit einer Meinung und Übergewicht zu sein, ist der Entgegnerinnenmodus. Ricarda Lang hat am Mittwoch, den 26.01.2022, eine Rede zur Impfpflicht in Deutschland gehalten und wurde dafür angefeindet.
Triggerwarnung: Dieser Artikel könnte triggernd auf Übergewichtige wirken. Lies ihn im Zweifelsfalle lieber mit einer Person, der du vertraust.
Das Folgende spiegelt die Meinung der Redakteurin wider und ist kein Tatsachenbericht.
Ricarda Lang: Eine Übergewichtige im Bundestag. Und eine Meinung hat sie auch noch.
Die Rede im Bundestag fand Anklang. Doch irgendwie ging es bei den Kommentaren nicht darum, WAS gesagt wurde, sondern beinahe ausschließlich darum, WELCHE KLEIDERGRÖSSE DIE SPRECHERIN HAT. Twitter-User:innen haben dem Bodyshaming freien Lauf gelassen und dabei komplett vergessen, was gerade Thema war.
Darum ging es in Ricarda Langs Rede
In der Bundestagsrede geht es um die Impfpflicht, die gerade zur Debatte steht. Sollte es eine Impfpflicht geben und wenn ja, ab wann? Ricarda Lang plädiert dafür, dass die Menschen sich in Deutschland wieder sicher fühlen können und nicht bei jedem Schritt darauf achten müssen, dass sie sich anstecken könnten. Sie geht auf spezifisch auf die Frauen ein, die innerhalb der Pandemie in einen Teilzeitjob hineingewechselt sind und nun ein noch höheres Risiko der Altersarmut tragen. Sie spricht auch von der Jugend und den Kindern, die einen großen Teil ihrer jungen Jahre in Isolation verbracht haben.
Ricarda Lang vertritt die Menschen, die die Leidtragenden der Pandemie waren und sind. Durch eine Impfpflicht, so ihre Meinung, könne das Leben dieser Menschen sich verbessern. Die Impfpflicht war auch für Ricarda Lang noch vor wenigen Monaten ein No-Go. Doch die junge Politikerin erklärt, dass auch und gerade in der Politik Meinungen korrigiert und geändert werden können.
Das waren die unsäglichen Reaktionen aus dem Netz
Meiner Meinung nach gibt es ein gutes, wenn auch vielleicht veraltetes Prozedere, wie man mit politischen Reden umgehen sollte. Man hört sich die Rede an, recherchiert, welche Informationen neu waren, evaluiert, ob das der eigenen Meinung entspricht und danach wird (wenn überhaupt) ein Kommentar dazu verfasst.
Nach der Rede von Ricarda Lang scheint aber genau das nicht passiert zu sein. Hier sind Meinungen durch den Äther geflogen, dass einem schwindelig wird. Die prominenteste Meinung: Ricarda Lang hat Übergewicht und hat sich deswegen nicht mit der Impfpflicht zu beschäftigen.
Hier sehen wir einige Beispiele:
Dieser User verwechselt sachliche Kritik mit Annahmen und Vermutungen über die Körper anderer Menschen.
Dieser User unterstellt Lang sogar, dass sie auf der Intensivstation landen wird.
Was hat die Impfpflicht mit Diäten zutun?
Dieser User kreiert einen Vergleich zwischen Übergewicht und der Corona-Pandemie. Es schlägt statt einer Impfpflicht eine Diätpflicht vor. Dieser Vorschlag ist aus vielen Gründen paradox. Am meisten verwundert es mich aber, dass dieser Mann durch seinen Tweet die gesellschaftlichen Zwänge, die heute bereits für Übergewichtige bestehen, dabei vergisst.
Obwohl wir eine so aufgeklärte Gesellschaft sind, sind Fatshaming und die Heroisierung von dünnen Menschen noch immer allgegenwärtig.
Die negativen Kommentare, der Hass und die Diskriminierung, mit denen „dicke“ Menschen sich heute herumschlagen müssen, sind meiner Meinung nach durchaus mit einem „Zwang zur Diät“ zu vergleichen.
Dieser User hat voll und ganz den Boden des Argumentativen verlassen.
Fazit: Kritik an Ricarda Lang ist okay, aber bitte richtig
Was wir gestern auf Twitter gesehen haben, war keine Kritik an der Rede von Ricarda Lang. Es war ein ekelhaftes Potpourri aus Misogynie und Fatshaming. Der Unterschied ist einfach festzustellen: Hätten die Twitter-User:innen eine Kritik an Langs Meinung und Maßnahmenvorschlägen gehabt, wären sie auf ihre Argumente eingegangen. Tatsächlich aber hagelte es abfällige Äußerungen über das Aussehen einer jungen Frau.
Ricarda Langs Rede muss man weder als Meisterstück der Redekunst sehen, noch muss man mit ihren Vorschlägen zur Impfpflicht übereinstimmen. Sollte die Twitter-Community aber das nächste Mal versuchen, Kritik zu üben, dann sollte sie sich auf Argumente stützen und nicht auf Kleidergrößen.
Das war die Meinung der Redakteurin der wmn-Redaktion.
Noch mehr über Fatshaming?