Narzissmus ist seit Jahren Gegenstand intensiver Forschung und Diskussion. Die Persönlichkeitsstörung wirft noch immer ungeklärte Fragen über seine Ursprünge und Entwicklung auf. Eine zentrale Frage in diesem Kontext lautet: „Ist Narzissmus vererbbar?“ Um die Antwort zu finden, müssen wir verstehen, wie sich unsere Persönlichkeit überhaupt entwickelt und welche genetischen und umweltbedingten Faktoren dabei eine Rolle spielen.
Ist Narzissmus vererbbar oder anerzogen?
Sprechen wir von Narzissmus, meinen wir eine Persönlichkeitsstörung, die sich durch ein übermäßiges Selbstbewusstsein, fehlende Empathie und ein manipulatives Verhalten auszeichnet. Betroffene sind der festen Überzeugung, ihren Mitmenschen deutlich überlegen zu sein und sehen sich als deutlich schlauer, womit oft auch eine Kritikunfähigkeit einhergeht.
Das Problem: Aus genau diesen Gründen ist es schwierig, mit narzisstischen Menschen zu forschen. Sie möchten nicht an einer empirischen Untersuchung teilnehmen und lassen sich nicht zu einem wissenschaftlichen Experiment bewegen. Schließlich sind in ihren Augen die Forscher:innen, Ärzte und Ärztinnen unfähige Idioten – wie alle anderen Personen auch.
Auf die Frage „Ist Narzissmus vererbbar“ hat die Wissenschaft demnach keine eindeutige Antwort parat. Es gibt jedoch schon einige Forschungsansätze, die sich mit der Thematik auseinandersetzen.
Stress als Auslöser für Persönlichkeitsstörung
Was bisher bekannt ist: Stress gilt generell als ein Auslöser für verschiedene Persönlichkeitsstörungen wie beispielsweise Psychosen oder Borderline. Dies lässt sich folgendermaßen erklären: Eine Mutter, die unter einer Persönlichkeitsstörung leidet, ist aufgrund dieser enormem Stress ausgesetzt – hat möglicherweise jeden Tag Angst, verlassen zu werden oder sich mit einer tödlichen Krankheit anzustecken. Der Alltag wird so zu einer Belastungsprobe, die für Stress im Körper sorgt. Dieser Stress, gepaart mit den Persönlichkeitsmerkmalen, kann tatsächlich an das Kind weitergegeben werden. Sprich: Eltern, die Borderline haben, bekommen auch mehr Borderline-Kinder.
Bekommen Narzissten auch narzisstische Kinder?
Der Grundstein für die Entwicklung einer Persönlichkeitsstörung ist demnach angeboren, wird uns sozusagen in die Wiege gelegt. Wichtig ist, zu betonen, dass sie sich entwickeln kann, es aber nicht zwangsläufig dazu kommen muss. Die Bedingungen sind jedoch „günstig“. Dabei spielt neben der Genetik auch das Umfeld und die Erziehung eine entscheidende Rolle. Inwiefern die Eltern einen Einfluss auf die Entstehung von Narzissmus haben, ist in der Wissenschaft umstritten.
1. Genetische Vererbung
Zum Einen geht man davon aus, dass der Grundstein für die Wesensbildung das angeborene Temperament sei. Claas-Hinrich Lammers, Chefarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Asklepios Klinik Nord in Ochsenzoll, erklärt gegenüber dem Online-Magazin Quarks:
„Der genetische Anteil an der Entstehung von Persönlichkeitsstörungen wird gemeinhin unterschätzt. Bei der narzisstischen Persönlichkeit kann man davon ausgehen, dass sie etwa zu 50 Prozent erblich bedingt ist.“
Claas-Hinrich Lammers
Damit sei Narzissmus eine der Persönlichkeitsstörungen, die am stärksten genetisch vererbbar sind.
2. Erziehungsstil
Zum anderen glauben Expert:innen, dass Narzissmus begünstigt wird, indem das Kind den Eindruck bekommt, es sei nicht genug. Die Annahme basiert darauf, dass hinter der selbstbewussten Fassade des Narzissten ein geringes Selbstwertgefühl steckt, welches eher durch Erziehung und Missbrauch entsteht, als durch genetische Vererbung.
Eine Studie aus dem Jahr 2016 zeigt hingegen, dass mangelnde Kritik und übermäßiges Lob in der Kindheit mit einem höheren Risiko für die Entwicklung narzisstischer Persönlichkeitsmerkmale einhergehen. So nimmt man an, eine Umgebung, die das Selbstwertgefühl unterdrückt oder übermäßig füttert, kann die Entwicklung einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung begünstigen.
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Fazit: Ist Narzissmus tatsächlich vererbbar?
Die Persönlichkeitsstörung Narzissmus stellt die Forschung vor eine Herausforderung. Trotz der Schwierigkeiten gibt es Ansätze, die eine Kombination aus genetischen und umweltbedingten Faktoren nahelegen. Es scheint, als sei Narzissmus auf der einen Seite zu einem erheblichen Teil genetisch bedingt. Auf der anderen Seite spielen auch die familiäre Erziehung und das soziale Umfeld eine Rolle.
Insgesamt lässt sich sagen, dass Narzissmus durch eine komplexe Interaktion von genetischen Anlagen und Umweltfaktoren entsteht. Dabei ist wichtig zu betonen, dass das Vorhandensein dieser Faktoren nicht zwangsläufig zur Entwicklung der Störung führt, aber die Bedingungen dafür schaffen kann.