Hast du dich mal gefragt, warum du Horrorfilme so gerne guckst oder warum du immer schon mal einen Bungee-Jump absolvieren wolltest? Das kann daran liegen, dass du eine stark ausgeprägte Angstlust in dir trägst. Was das ist und woher die Lust an der Angst kommt, liest du hier.
Was du über die Angstlust wissen solltest:
Was ist Angstlust?
Ich bin ein absoluter Angsthase. Ich würde nie einen Fuß in ein Geisterhaus eines Jahrmarktes setzen. Und gucke ich einen Horrorfilm, muss immer ein Licht leuchten und meine Hände sind über die Hälfte des Films vor meinen Augen platziert. Wie Menschen daran Freude oder gar Lust empfinden können, sich zu ängstigen, war mir immer schon ein Rätsel. Doch dann las ich von der sogenannten Angstlust…
Lust und Angst scheinen auf den ersten Blick nicht miteinander vereinbar – immerhin wird die eine Emotion allgemein hin positiv und die andere negativ verstanden. Bei der Angstlust treten beide Emotionen allerdings zusammen oder besser gesagt nacheinander auf. Bei diesem Phänomen kann sich jemand nämlich dafür begeistern, Angst zu empfinden – aber in der Regel erst, wenn die Angst durchgestanden wurde.
Der Begriff der Angstlust stammt aus der Persönlichkeitspsychologie sowie der klinischen Psychologie und hat sich über Jahrhunderte herausgebildet. Das Phänomen dahinter war aber schon zu Zeiten von Aristoteles bekannt: Nach ihm sollte die griechische Tragödie Furcht (phobos) und Mitleid (eleos) erregen, was wiederum zur Reinigung der Emotionen (katharsis) führen sollte.
Erstmals gründlich erforscht wurde die Angstlust aber erst um 1950, als der ungarische Psychoanalytiker Michael Balint eine Abhandlung herausbrachte, die in der deutschen Fassung das Wort Angstlust enthielt.
Wie entsteht die Lust an der Angst?
Das Phänomen der Angstlust kann auf zweierlei Weisen entstehen. Entweder empfindet jemand während der Angstphase Lust an der Angst oder aber, jemand empfindet Angstlust, nachdem die Angstphase durchgestanden wurde. Für Ersteres ist es wichtig, dass man in Distanz zum Geschehen treten kann, also nicht emotional involviert ist.
Die zweite Form der Angstlust ergibt sich dagegen aus einem gefühlsmäßigen Kontrast: erst Gefahr, dann Entspannung. Wer froh ist, die Angst überwunden oder durchgestanden zu haben, kann aus diesem Grund Lust empfinden. Der Psychologe Peter Walschburger von der Freien Universität Berlin erklärt gegenüber der Deutschen Welle: „Etwas versetzt uns in Angst und Schrecken und kurz darauf wird uns klar, dass wir ja gar nicht in Gefahr sind“.
Nach dieser Erklärung leuchtet auch mir ein, warum ich Horror-Filmen zur Halloween-Zeit jedes Jahr auf Neue eine Chance gebe, trotz meiner ängstlichen Veranlagung. Etwas Lust bereitet es mir immerhin schon, am Ende den Film auszuschalten und mich meiner Angst gestellt zu haben.
Wann wird Angstlust verspürt?
Allgemein erfüllt Angst eine evolutionsbiologisch wichtige Funktion. Sie bereitet den Körper darauf vor, rasch Energie bereitzustellen, um zu kämpfen oder um zu fliehen. Um an dieser alarmierenden Emotion Lust zu empfinden, muss man laut Expert:innen allerdings als Kind Urvertrauen in einer sicheren Umgebung erlernt haben.
An dieser Stelle sei erwähnt, dass auch Menschen, die Urvertrauen erlernt haben, nicht zwingend gerne Lust an der Angst verspüren. Zudem wird man die Angstlust nicht in jeder Lebenslage spüren. Nur wer sich sicher fühlt und unterbewusst weiß, dass er keiner tatsächlichen Gefahr ausgeliefert ist, ist imstande, Angstlust zu empfinden. Das beste Beispiel dafür ist ein Horror-Film im Kino.
Warum schauen sich Menschen so etwas so gerne an? Das liegt zum einen daran, dass auf der Leinwand gesellschaftliche Grenzen übertreten werden dürfen (zum Beispiel Mord), die in der Realität Tabu sind. Und zum anderen kann hier Begeisterung am Gruseln aufkommen, eben weil die Leinwand Sicherheit und Distanz bietet. Wäre tatsächlich ein Axtmörder hinter einem her, würde wohl eher keine Angstlust aufkommen.
Diese Formen der Angstlust gibt es
Wir müssen an dieser Stelle aber auch zwei Formen der Angstlust abgrenzen, die sich vor allem aufgrund ihrer Mittelbarkeit unterscheiden. Nach dem Psychologen Siegbert A. Warwitz kann zwischen der Angstlust, die live erlebt wird und der, die medial vermittelt wird, unterschieden werden.
- Bei der authentischen Angstlusterfahrung versuchen die Menschen sich persönlich und körperlich in die Situation einzubringen. Die besten Beispiele dafür sind Mutproben, die vor allem im Kindes- und Jugendalter absolviert werden. In späteren Lebensjahren können auch lebensgefährliche Trends wie illegale Autorennen oder das U-Bahn-Surfen dadurch erklärt werden. (Bitte nicht ausprobieren!) Aber auch Abenteurer:innen- und Extremsportler:innen wollen ihre Angstlust live erleben.
- Die Lust an der Angst kann aber auch eine medial vermittelt sein. Das ist zum Beispiel bei dem Horror-Film im Kino der Fall. Aber auch Kriegsfotografien, Schauermärchen und Krimiromane zählen darunter. Computerspiele stellen im Übrigen eine interessante Mischung aus beiden Formen dar, da man sich hier virtuell körperlich einbringt.
Angstlust – ein bedenkliches Phänomen?
So einleuchtend die Lust um die Angst auch ist, komme ich zuletzt nicht umhin, mich zu fragen, ob etwas Verkehrtes daran ist, sich leidenschaftlich gerne zu ängstigen?
Die frühe Angstlustforschung war der Meinung, dass es sich bei der Angstlust um eine psychische Störung handeln muss. Balint, der das Thema erstmals erforschte, meinte beispielsweise, dass die Angstlust ihre Wurzeln in frühkindlichen Traumata haben muss.
Aufgrund zahlreicher Experimente und ethnologischer Untersuchungen weiß man es heute allerdings besser: Auch kerngesunde Menschen haben Freude daran, sich zu gruseln und zu ängstigen – immer unter dem Maßstab, dass die Angst überwunden werden kann.
Angstlust ist wohl für die meisten schlicht ein Mittel, um das Lebensgefühl und die Lebensqualität zu intensivieren. Und daran ist nun überhaupt nichts verkehrt. Auch wenn ich für meinen Teil die Angst auch künftig auf ein Minimum beschränken werde…
Ähnliche Artikel: