Das Outing ist auch in einer angeblich aufgeschlossenen Gesellschaft wie unserer gar nicht so einfach. Als ich mich das erste Mal vor meiner Familie geoutet habe und ihnen gesagt habe, dass ich eine feste Freundin habe, kamen komische Sprüche wie: „Das ist doch nur eine Phase, die hatten wir alle schon mal.“ Noch komplizierter ist das Outing in der Arbeitswelt. Leni Bolt aus der Serie Queer Eye Germany hat auch eine Menge Erfahrung mit Outings gesammelt, denn sie ist nicht-binär.
Jede Woche kühren wir eine Weekly Heroine, die uns inspiriert und empowert. Zum Beginn des Pride Months lassen wir es uns nicht nehmen, Leni als Weekly Heroine zu kühren. Nicht-binäre Personen sind sowohl in der deutschen queeren Community als auch in unserer Gesellschaft unterrepräsentiert. Deswegen freuen wir uns, ihr bei uns eine Stimme geben zu können.
Leni Bolt kurz & knapp
- Leni ist Teil der Fab 5 von Queer Eye Germany. In der Makeover-Serie verwandeln fünf queere Expert:innen das Leben einer anderen Person zum Positiven.
- Leni übernimmt in der Serie die Rolle als Work-Life-Coachin. Sie arbeitet seit über vier Jahren in diesem Bereich.
- Davor hat Leni Modedesign studiert und in der Branche gearbeitet.
- Ihr Lebensmittelpunkt befindet sich seit mehreren Jahren auf Mallorca.
Wir konnten in einem Interview bei uns in der Redaktion darüber sprechen, wie ihre Outings abgelaufen sind und was sie anderen queeren Menschen empfehlen würde.
„Ich fände es schön, wenn wir alle uns mit unseren Pronomen vorstellen würden.“
wmn: Leni, was sind denn eigentlich deine Pronomen? Meine sind sie/ihr.
Leni Bolt: Meine Pronomen sind sie/they. Das kann ich direkt erklären: Im deutschsprachigen benutze ich eher das Pronomen sie, im englischsprachigen they, weil ich mich eben als nicht-binär identifiziere.
wmn: Benutzt du denn auch die Neopronomen dey/deren oder eher nicht?
Leni Bolt: Eher nicht, wobei ich das Konzept sehr cool finde und auch unterstütze. Ich hab auch Menschen in meinem Freundeskreis, die diese Neopronomen verwenden. Ich verwende sie nicht.
Nicht-binär bedeutet, dass die Person sich weder als komplett weiblich noch als komplett männlich identifiziert. Im Englischen werden in dem Fall die Pronomen they/them benutzt. Im Deutschen benutzen die meisten Personen keine Pronomen oder nutzen Neopronomen wie dey/deren. Das entscheiden die Personen selbst.
wmn: Findest du es eigentlich wichtig, dass wir als cis-Personen unsere Pronomen bei so einer Vorstellung auch sagen oder eher nicht? Sollten das alle Personen tun?
Leni Bolt: Also ich fände es schön, wenn wir alle uns mit unseren Pronomen vorstellen würden, das würde es uns queeren Menschen so viel leichter machen. Deswegen mein Appell an alle da draußen: Stellt euch einfach mit eurem Namen und euren Pronomen vor, dann hat sich das Ganze. Du kannst ja auch deine Pronomen in deine Instagram-Biografie schreiben, WhatsApp oder als E-Mail-Signatur. Es gibt so viele Möglichkeiten, sie unterzubringen.
„Viele Leute haben den Begriff nicht-binär noch nie gehört.“
wmn: Du bist ja nicht-binär. Was bedeutet das Label für dich?
Leni Bolt: Ich hab irgendwie nie ein richtiges Label für mich gefunden. Ich dachte viele Jahre, dass ich trans bin und sozusagen diese Reise von Mann zu Frau machen möchte. Auf diesem Weg hab ich gemerkt, dass ich da nicht reinpasse. Dann irgendwann hab ich diesen Begriff nicht-binär kennengelernt. Damit konnte ich mich identifizieren. Das war so eine Realisation, dass ich mich zwischen Mann und Frau bewege und dass das total okay ist.
wmn: Wie reagieren Leute, wenn du dich mit deinen Pronomen vorstellst und sagst, dass du nicht-binär bist? Gerade in Kreisen, wo das noch nicht so angekommen ist?
Leni Bolt: Da kann ich dir ein Lied von singen. Ich wohne ja seit zwei Jahren auf Mallorca. Du kannst dir vielleicht vorstellen, dass die Menschen da nicht so aware und woke sind wie hier in Berlin. Da muss ich schon leider immer ein bisschen Aufklärungsarbeit leisten, um es auch mir leichter zu machen. Das heißt, viele Leute haben den Begriff nicht-binär noch nie gehört, daher muss ich mich immer erst einmal erklären.
„Ich hatte aber keine Lust, mich zu erklären, das ist nicht mehr zeitgemäß.“
wmn: Wir müssen uns ja alle, obwohl wir wollen oder nicht, gerade als queere Person outen. Wie war denn dein erstes Outing?
Leni Bolt: Tatsächlich war mein erstes Outing als Schwul, mit 18 vor meiner Familie. Ich hatte Angst und die schlimmsten Szenarien in meinem Kopf. Die Gedanken kommen ja auch nicht von irgendwo. Ich kenne sie aus Stories von anderen Menschen. Das die irgendwie nichts mehr mit ihren Kindern zu tun haben wollen. Das war bei mir zum Glück nicht so. Meine Familie ist super supportive. Danach hat mich das Thema Outing auch selbst beschäftigt. Ich habe gemerkt, dass ich mich in eine weiblichere Richtung verändere. Ich hatte aber keine Lust, mich zu erklären, das ist nicht mehr zeitgemäß. Ich will mich nicht mehr outen. Wenn jemand fragt, dann erkläre ich das auch. Warum muss ich mich outen, wenn eine Hetero-Person sich nicht outen muss?
wmn: Gab es da besonders schreckliche Reaktionen, wenn du die erzählen möchtest?
Leni Bolt: Klar, es gibt auf jeden Fall manchmal komische Reaktionen von Menschen. Das sind meistens die Menschen, die ich nicht so gut kenne, die nicht in meinem Freundeskreis sind. Guess why? Die halt meine Identität nicht akzeptieren. Das finde ich sehr schade und so blöd, da habe ich auch keine Lust zu diskutieren.
wmn: Was war denn bis jetzt so die schönste Reaktion, die du darauf bekommen hast?
Leni Bolt: Ich muss ja sagen, dass durch Queer Eye Germany, wo ich ja auch ein Teil der Fab 5 bin, gerade so viel Liebe empfange. Das ist so schön zu sehen, dass sich andere Menschen, die sich vielleicht ähnlich fühlen und sich ähnlich identifizieren, sich so gesehen fühlen. Nicht-binäre Menschen sind noch so unterrepräsentiert in Deutschland und in den Medien.
„Ich verstehe auch, dass Menschen sich manchmal gerade in der Arbeitswelt outen müssen, damit sie mehr sie selbst sein können.“
wmn: Wie wichtig findest du, dass so ein Outing abgeschafft wird? Oder sollen sich Heteros auch outen?
Leni Bolt: Das ist natürlich eine Utopie. Meine Utopie ist, dass wir uns alle nicht mehr outen müssen. Es ist leider noch ein langer Weg dahin. Ich verstehe auch, dass Menschen sich manchmal gerade in der Arbeitswelt outen müssen, damit sie mehr sie selbst sein können. Ich finde diese Gegenfrage auch total cool; „Warum muss ich mich denn outen? Hast du dich irgendwo geoutet?“ So kann man den Ball auch zurückspielen.
wmn: Musstest du dich mal in einem professionellen Kontext outen? Wie war die Reaktion dabei?
Leni Bolt: Tatsächlich, ja. Ich weiß noch, das war direkt nach meinem Studienabschluss. Ich hab einen Job gesucht, ich habe ursprünglich Modedesign studiert. Bedauerlicherweise hab ich einfach partout keinen Job gefunden. Leider kann man ja die Diskriminierung in der Arbeitswelt kaum nachweisen. Das meine Genderidentität ein Problem für sie war, kam aber hier und da bei den Bewerbungsgesprächen durch. Bei einem Bewerbungsgespräch war das wirklich merkwürdig. Die hat so intime, komische Fragen gestellt. Da hab ich mich gefragt, das gehört hier doch gar nicht hin? Vor allem in diesem Beruf als Verkäufer:in.
„Ein guter Ally ist eine Person, die sehr wachsam mitbekommt, was gerade passiert.“
wmn: Wie gehst du denn mit solch unangemessenen Fragen um? Die begegnen einem ja sowohl in der Arbeitswelt auch außerhalb im Privatleben.
Leni Bolt: Damals war ich zu schüchtern, deswegen habe ich nichts gesagt. Ich war darauf angewiesen, einen Job zu bekommen. Deswegen habe ich meine Klappe gehalten. Das möchte ich aber Menschen heute sagen: Bitte sagt etwas! Wenn irgendetwas passiert oder ihr euch diskriminiert fühlt, versucht einen Ally zu finden, um mit der Person zu sprechen. Versuche, die Person anzusprechen, die dir ein ungutes Gefühl gibt.
wmn: Was wäre denn in deiner Sicht ein guter Ally, der denn in solchen Momenten zu dir steht? Sowohl in der Arbeitswelt als auch außerhalb der Arbeitswelt?
Leni Bolt: Ich glaube, ein guter Ally ist eine Person, die sehr wachsam mitbekommt, was gerade passiert. Die geht auch dazwischen, wenn du verbal angegriffen wirst. Sei als Ally einfach da, um danach mit ihr zu reden. Der Austausch ist wichtig. Das hilft in solchen Momenten. So fühlt sich die betroffene Person nicht so alleine.
Allies sind heterosexuelle Menschen, die die LGBTQIA*- Community unterstützen und für ihre Rechte kämpfen.
„Ich finde sowieso, dass das eine Reise ist, Sexualität und Identität.“
wmn: Was würdest du Menschen mit auf den Weg geben wollen, die sich noch outen und noch gar nicht selbst von solchen Situationen betroffen sind? Die selbst vielleicht noch in dieser Findungsphase sind und früher oder später sich outen? Es gibt ja einmal das innere Coming-out und das äußere Coming-out.
Leni Bolt: Ich würde den Menschen auf jeden Fall empfehlen, lasst euch erstmal Zeit. Entdeckt euch selber und eure Identität. Ich finde sowieso, dass das eine Reise ist, Sexualität und Identität. Das kann sich aber auch verändern, weswegen ich Outing auch einfach so bescheuert finde. Wer weiß, was in zehn Jahren ist, willst du dich dann wieder outen für irgendwas anderes? Ich würde den Menschen auf jeden Fall raten, dass sie sich Zeit lassen sollen. Sprecht erstmal mit Menschen, wo ihr das Gefühl habt, dass die euch verstehen.
Hier findet ihr weitere Weekly Heroines:
our weekly heroine Hadnet Tesfai: „Es reicht nicht, wenn er nicht rassistisch ist.“