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Our weekly heroine Gina Rühl über Ableismus: „Nur weil viele Probleme Minderheiten betreffen, dürfen diese Minderheiten nicht ausgeschlossen werden.“

Our weekly heroine ist diese Woche Gina Rühl. Mit ihr haben wir über Selbstakzeptanz, Barrieren im Alltag und Ableismus gesprochen.

Gina Rühl
Vor gut 2,5 Jahren hat Gina bei einem Verkehrsunfall ihren Arm verloren. Foto: Gina Rühl

Gina Rühl ist Influencerin und Motivationsrednerin und klärt auf ihrem Instagram-Kanal über ihre eigene Behinderung auf. Sie möchte Menschen zu mehr Sensibilität, Akzeptanz und Feinfühligkeit im Zusammenhang mit Ableismus bewegen und trotzdem klarstellen: Wir sind alle gleich! Bei wmn küren wir jede Woche eine starke und inspirierende Frau zu unserer wöchentlichen Heldin. Diese Frauen empowern uns und reißen uns mit ihren starken Aussagen mit. Darüber, was Ableismus überhaupt bedeutet und wo einem Menschen mit Behinderung überall Barrieren begegnen, haben wir mit Gina gesprochen.

Gina Rühl: Kurz & knapp

2019 hatte Gina zusammen mit ihrem Freund einen schweren Motorradunfall. Ihr Becken war gebrochen und der rechte Unterschenkel komplett. Außerdem war ihr linker Arm so schwer verletzt, dass er nach einigen Tagen im Krankenhaus amputiert werden musste. Nach drei Monaten konnte sie dann endlich entlassen werden. Anschließend musste sie normale Dinge wie Gehen erst wieder ganz neu erlernen.

  • Gina ist 23 Jahre alt, kommt aus Wuppertal und ist Studentin, Motivationsrednerin und Influencerin – auch wenn sie die Bezeichnung nicht so gerne mag…
  • Sie hat vor gut zweieinhalb Jahren ihren linken Arm bei einem Verkehrsunfall verloren.
  • 2022 ist Gina Vize-Miss-Germany geworden.
  • Ihr Motto: Man sollte sehen, was man hat und nicht, was man nicht hat. Aus diesem Grund hat sie sich auch das Wort „Dankbarkeit“ tätowieren lassen.
Miss Germany Wahlen
Durch ihre Teilnahme bei den Miss Germany Wahlen konnte Gina Sensibilität und Reichweite für ihre Geschichte schaffen. Foto: Gina Rühl

Wichtig zu wissen: Ableismus leitet sich vom englischen Wort ableism ab und beschreibt die Diskriminierung und Ungleichbehandlung von Menschen mit einer Behinderung. Außerdem werden unter dem Begriff die Stereotypisierungen und Grenzüberschreitungen gegenüber beeinträchtigten Menschen verstanden.

„Ich habe bestimmt ein Jahr gebraucht, bis ich mich wieder schön gefühlt habe.“

wmn: Warum hast du dich dazu entschlossen, an der Miss Germany Wahl teilzunehmen?

Gina Rühl: Generell möchte ich zeigen, dass es nicht schlimm ist, eine Behinderung zu haben. Gerade bei Miss-Wahlen sind solche Dinge aber unterrepräsentiert und es wird den Leuten vermittelt: „Du musst zwei Arme und zwei Beine haben, um schön zu sein.“ Als ich dann auf Instagram gesehen habe, dass Miss-Germany jemanden mit einer Message sucht, habe ich mich direkt angesprochen gefühlt.

wmn: Wie lange hat es gedauert, bis du dich auch ohne Arm schön gefühlt hast?

Gina Rühl: Ich habe mich schon vor Miss-Germany ohne Prothese gezeigt, die Wahlen waren also nicht der ausschlaggebende Punkt. Aber natürlich war das ein langer Weg. Ich habe bestimmt ein Jahr gebraucht, bis ich mich wieder schön gefühlt und angenommen habe. Aber ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass ich nicht bis heute manchmal Selbstzweifel habe. Gerade im Fitnessstudio tue ich mich teilweise schwer, meinen Arm ohne Prothese zu zeigen. Das liegt nicht daran, dass ich mich nicht traue, sondern eher daran, dass ich Personen nicht vor den Kopf stoßen möchte. Man kann nämlich auch ehrlich sein und sagen, dass mein Ärmchen nicht besonders ästhetisch ist und mitunter sehr brutal aussieht. Natürlich möchte ich, dass es normal wird, aber ich habe nicht immer Lust auf die Blicke und das Mitleid der anderen und möchte niemanden ins kalte Wasser werfen.

Mein Weg geht eher über Instagram. Dort möchte ich es normalisieren und somit dafür sorgen, dass eine Behinderung auch im realen Leben normaler wird.

Gina Rühl
Bis Gina ihren Stumpf ansehen und sich mit ihm schön fühlen konnte, ist über ein Jahr vergangen. Foto: Gina Rühl

„Ich bekomme häufig einen „Behindertenbonus“ und das will ich auf keinen Fall.“

wmn: Wie reagieren Menschen auf deine Behinderung? Wie würdest du dir wünschen, dass sie reagieren?

Gina Rühl: Im Internet sind die Reaktionen tatsächlich immer positiv. Ich habe einmal einen Kommentar bekommen, wo gesagt wurde wie eklig das aussieht, aber dann finde ich den Menschen eher eklig. Ich merke, dass besonders ältere Menschen oftmals nicht so gut damit umgehen können. Junge Menschen sind dem gegenüber viel offener. Die erste Reaktion, wenn Leute mich nicht kennen, ist meistens Mitleid. Das finde ich grundsätzlich auch gar nicht schlimm, da ich weiß, dass das wahrscheinlich auch meine erste Reaktion wäre. Trotzdem würde ich mir wünschen, dass Leute mich nicht anstarren oder geschockt reagieren, denn das erschrickt mich wiederum.

Auf Instagram versuche ich es immer zu erzählen, wenn mir eine solche Situation passiert ist und somit zu sensibilisieren, wie man besser reagiert hätte.

wmn: Hast du die Erfahrung gemacht, dass du seit deinem Unfall anders von der Gesellschaft wahrgenommen wirst, oder dass du sogar schon mal Ableismus erfahren hast?

Gina Rühl: Von meinem Umfeld werde ich überhaupt nicht anders wahrgenommen. Es ist sogar oft so, dass meine Freunde und Familienmitglieder vergessen, dass mir ein Arm fehlt. Das ist mir tatsächlich am liebsten. Es passiert aber auch, dass ich manchmal einen „Behindertenbonus“ bekomme, was auch Abelismus ist und ich auf keinen Fall will. Es ist mir zum Beispiel schon mal passiert, dass eine Frau unfreundlich zu mir war und als sie meine Prothese gesehen hat, plötzlich wie ausgetauscht war. Das erlebe ich tatsächlich häufiger und finde es sehr unangenehm. Ich denke mir dann immer: „Wenn du zu mir als vermeintlich ‚nicht-behinderter‘ Mensch nicht freundlich bist, dann sei auch nicht freundlich zu mir, nur weil ich eine Behinderung habe.“

Gina Rühl
Ginas Weg, über ihre Behinderung aufzuklären: Instagram und Fernsehsendungen Foto: Gina Rühl

„Ich habe oft das Gefühl, zusätzlich beeinträchtigt zu sein, weil ich nach Hilfe fragen muss.“

wmn: Barrierefreiheit ist immer wieder ein großes Thema. Welche Barrieren fallen dir in deinem Alltag immer wieder auf und hättest du einen Vorschlag, wie man sie einfach entfernen könnte?

Gina Rühl: Mir fallen in meinem Alltag ständig Barrieren auf. Zwei Beispiele sind Brotklappen im Supermarkt und Handtuchspender, an denen steht „Bitte mit beiden Händen ziehen“. Beides sind Dinge, die man ganz leicht lösen könnte, indem sich die Brotklappen zum Beispiel von oben nach unten öffnen lassen oder die Handtuchspender eine Kurbel an der Seite haben. Ich habe oft das Gefühl, zusätzlich beeinträchtigt zu sein, weil ich nach Hilfe fragen muss. Das will ich aber auf keinen Fall.

Ich würde mir einfach wünschen, dass in Zukunft häufiger an alle Menschen gedacht wird. Nur weil viele Probleme Minderheiten betreffen, dürfen diese Minderheiten nicht ausgeschlossen werden.

wmn: Du inspirierst auf Instagram täglich 65k Follower:innen. Bist du dankbar, dass alles so gekommen ist, wie es ist oder wünschst du dir manchmal dein „altes“ Leben zurück?

Gina Rühl: Das ist wirklich schwierig. Ich bin ganz ehrlich: Ich würde immer wieder meinen Arm zurückhaben wollen. Allerdings habe ich mich auch ganz neu kennengelernt und das, was ich dadurch jetzt bewegen kann, würde ich nicht wieder abgeben wollen. Gefühlsmäßig ist mein Leben heute besser, weil ich viel besser weiß, worauf es im Leben ankommt und ich dankbarer bin.

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