Die dänische Insel Tuno ist ein Ort der Ruhe und der Beschaulichkeit. Auf gerade einmal 3,5 Quadratkilometern wohnen 100 Dänen in hübschen Holzhäuschen mit direktem Blick auf die Dünen und die raue See.
Hier wohnen vor allem Senioren und Familien mit kleinen Kindern. Tagestouristen nehmen die einstündige Überfahrt auf sich, um einen Dünenspaziergang zu machen, oder sich im Dorfkrug mit kleinen Krabben den Bauch vollzuschlagen. Idylle. Pure Idylle.
Niemand würde auf die Idee kommen, dass gerade Alkohol hier in Dänemark ein Problem für die Bewohner sein könnte.
Alkohol in Dänemark: Das Geheimnis der Inselbewohner
Ein hutzeliges Hexenhaus im Ortskern. Das Dach ist aus Stroh; das Feuer prasselt selbst im Hochsommer im Kamin. Die beiden älteren Herrschaften, die hier wohnen, glänzen mit ihren weißen Haaren und noch weißeren Zähnen um die Wette. Das perfekte Idyll, so scheint es.
Touristen würden niemals auf die Idee kommen, dass dieses Kleinod in der Nordsee ein dunkles Geheimnis hat. Hier wohnen 111 Menschen (Stand 1. Januar 2020). Wer sonst noch auf die Insel wagt, sind Natursüchtige wie ich, die ihre freien Tage am liebsten im Matsch verbringen.
Autos sind nicht erlaubt, nur Golfcaddies und Traktoren dürfen die Insel passieren. Niemand bleibt länger als ein paar Tage. Denn ganz ehrlich: Viel zu tun ist hier nicht. Und genau da scheint das Problem zu liegen …
Den allabendlichen Treffpunkt nennen alle nur “Den Dorfkrug”. Nachdem ich mit den beiden weißbehaarten Herrschaften den Krug betrete und mich an einem blank geputzten Holztisch niederlasse, wird mir keine vier Sekunden später die Weinkarte gereicht.
Schnell ist entschieden: Wir sind zu dritt. Das macht also zwei Weinflaschen. Eine zur Vorspeise, eine zum Hauptgang. Als gestandene Deutsche komme ich damit schon klar. Den über 80-jährigen Dänen hätte ich das weniger zugetraut.
Das Essen ist reichhaltig, das Fleisch zart und saftig und die Soße fettig. So wie es sich für ein echt dänisches Gericht gehört. Als wir uns durch circa zwei Drittel der zweiten Weinflasche gekämpft haben, wird das Gespräch immer angeregter. Ich frage: „Ist es denn normal, dass man hier so viel Alkohol trinkt wie ihr?“
Ist es denn normal, dass man hier so viel Alkohol trinkt wie ihr?
Die beiden lachen. “Viel? Das war doch nicht viel. Schau dich doch mal um, Mädchen.”
Ich schaue mich um und tatsächlich steht auf jedem der umliegenden Tische eine Weinflasche. Ich schaue verwirrt drein. “Das ist die vierte Flasche” flüstert meine Gastgeberin verschmitzt und deutet auf unsere nächsten Nachbarn. “Und da kommt auch schon nummer fünf.” Als die Kellnerin die neue Flasche bringt, wird die alte schnell und subtil vom Platz entfernt.
Eine Stunde später sind wir zurück im Garten des Hexenhauses. Vor uns steht ein 3 Liter-Tetrapack Rotwein und eine Flasche Linie Aquavit, an denen wir abwechselnd nippen. Noch immer bin ich beeindruckt von der Trinkfestigkeit der Hausherren.
“Hier auf Tuno trinkt man immer ein bisschen. Es gibt kein Saufgelage, das würde sich nicht gehören.“ Doch komplett nüchtern waren die 111 Einwohner wohl schon lange nicht mehr.
Dänemark & der Alkohol
Tatsächlich sind die dänischen Jugendlichen die europäischen Spitzenreiter, was das Trinken von Alkohol angeht. Ganze 92 % trinken mit 15 Jahren in Dänemark zu viel.
Um den Alkoholkonsum in Skandinavien einzudämmen haben die Regierungen von Schweden, Norwegen, Finnland und Dänemark zu drastischen Maßnahmen gegriffen und alkoholische Getränke so teuer versteuert, dass der Alkoholverbrauch tatsächlich um 25 % gefallen ist.
Hier auf der Insel ist das wohl noch nicht ganz angekommen. Die Menschen hier sind recht wohlhabend und leben zudem im Paradies. Da wird auch gerne mal ein Gläschen mehr getrunken.
Selbstbeherrschung wahrt den Schein
“Du wirst hier niemals Einheimische sehen, die sich daneben benehmen, lallen oder gar herumpöbeln.” werde ich belehrt. “Wenn im Dorf gefeiert wird, dann werden zwar die Flaschen fleißig geleert, aber der Schlips bleibt an. Niemand liegt mit dem Kopf auf der Tischplatte.”
Mir sind die inzwischen bestimmt 1,5 Liter Wein in meinem Schädel bereits ziemlich zu Kopfe gestiegen und ich kann meine Gastgeber nur noch mit zugekniffenem Auge schemenhaft erkennen. Mein letzter Aquavit steht sogar noch unangetastet vor mir. Sie hingegen scheinen putzmunter, obwohl sie mindestens genauso viel getrunken haben wie ich. Sie sitzen nur ein wenig steif da und halten sich etwas unbeholfen an der Tischplatte fest.
Seit 30 Jahren wohnen die beiden auf der Insel. Eine ewig lange Zeit, in der sie das Weintrinken und sich Beherrschen wohl perfektioniert haben. Ich bin beeindruckt und etwas stutzig zugleich. Denn Alkoholexzesse waren bei mir noch immer als nicht zu vertuschen abgestempelt. Wer besoffen ist, der kann sich nicht beherrschen. Oder doch?
So etwas tut man nicht.
Die Inselbewohner scheinen sich jedenfalls unter Kontrolle zu haben. Sie trinken zwar bis zum Anschlag, lassen es sich aber nicht anmerken. Grölen, Johlen, unkoordiniertes Lallen und natürlich die Katerstimmung am nächsten Morgen: All das gehört doch zu einem feuchtfröhlichen Abend dazu. “So etwas tut man hier einfach nicht.” Sich zu beherrschen ist hier wohl Volkssport.
Noch mehr Insider-Themen
Warum ist die Lebenserwartung der Japaner eigentlich so hoch? Wir sind der Sache mal auf den Grund gegangen.
Gibt es eigentlich auch gesunden Alkohol? Gute Frage. Hier die Antwort!
Im Interview mit Bernard Hoffmeister erfahre ich, wie die Coronakrise sich auf die Kleinkunst auswirkt.