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Experteninterview: Hat die Kleinkunst gegen Corona eine Chance?

Poetry Slammer & Moderator Bernard Hoffmeister über die Folgen der Coronakrise für die sterbende Kleinkunst-Szene.

Bernard Hoffmeister
Im Expterteninternvie über Kleinkunst erklärt Bernard uns, was die Szene nach der Coronazeit erwartet. Foto: Anna-Lisa Konrad /

wmn fragt nach: Was ist eigentlich mit der deutschen Kleinkunst zu Zeiten von Corona? Kann sie die Krise überstehen, wenn es monatelang keine Auftritte geben darf? Welche Online-Alternativen gibt es und wie sehr leidet die Kreativität unter der Isolation?

Kleinkunst zu Zeiten von Corona: Interview mit Bernard Hoffmeister

All diese Fragen habe ich Bernard Hoffmeister, dem Poetry Slam-Guru und Bühnenpoeten, gestellt. Bernard lebt in Düsseldorf und hostet dort sein eigenes Slam-Format, den Pitcher Poetry Slam. Außerdem ist er Unternehmer, Quiz-Fragen-Schreiber, Autor er kennt sich generell in der Szene ziemlich gut aus.

Bernard Hoffmeister
Bernard Hoffmeister ist Slammaster in Düsseldorf.(Photo: Anna-Lisa Konrad)

wmn: Bernard, wie steht es um die deutsche Kleinkunst?

Bernard: Im Moment sehr schlecht. Da niemand weiß, was in den nächsten Monaten passiert, können wir nicht abschätzen, wann wir wieder spielen dürfen. Momentan ist der 19.04. unser Stichtag, aber das kann sich auch wieder ändern. Wir alle leiden darunter, dass wir keine Auftritte bekommen.

Ich hoffe, dass die Allgemeinheit trotz der Krise erkennt, dass Kunst nicht nur Spaß und Luxus ist. Es muss klar werden, dass es auch unsere Berufe zu schützen gilt. Künstler ist ein ähnlich systemrelevanter Job wie Kassierer oder Krankenpfleger. Kultur muss trotz Corona weiterleben, denn sie macht das Leben lebenswerter. 

Keiner weiß, was in den nächsten Monaten passieren wird.

wmn: Was gibt es denn für Optionen für Kleinkünstler, um nicht pleite zu gehen?

Bernard: Es gibt zum Beispiel das Kulturprogramm NRW. Das zahlt jedem Künstler bis zu 2.000 € aus, um ausgefallene Auftritte zu kompensieren. Dieses Geld wird zusätzlich zu den 9.000 € Soforthilfe ausgeschüttet. Das ist aber von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich.

(Update: Nach diesem Interview wurden die Soforthilfezahlungen bis auf weiteres eingestellt. Aber das ist ein ganz anderes Kapitel…)

Davon profitieren speziell Kleinkünstler. Nicht die großen Rockstars, aber die brauchen die Kohle wahrscheinlich sowieso nicht. 

wmn: Und die 9.000 € Soforthilfe reichen nicht?

Bernard: Das Problem bei der Soforthilfe: Die sind nur für Betriebskosten gedacht. Da gerade Kleinkünstler sehr wenige Betriebskosten haben (essen und wohnen gehört nicht dazu), stehen wir vielleicht am Ende doof da. Da müsste die Bundesregierung noch einmal nachbessern.

wmn: Es gibt aber auch Online-Kulturveranstaltungen, mit denen die Kleinkünstler Geld verdienen können.

Bernard: Besonders Poetry Slammer und Comedians machen gerade viel auf Instagram oder Twitch. Twitch ist eigentlich eine Streaming-Plattform für Gamer, aber derzeit werden dort Online-Lesungen veranstaltet. Man kann da zum Beispiel seinen PayPal-Account verlinken und die Leute zahlen das, was sie geben möchten.

wmn: Und kommt da was bei herum?

Bernard: Ein guter Freund von mir, der Slammer und Autor Johannes Floehr, hat da kürzlich eine Veranstaltung gestartet. Für ihn kamen gut 1 € pro Zuschauer heraus…

wmn: Glaubst du, dass Online-Slams eine Alternative zu echten Poetry Slams sein können?

Bernard: Nur bedingt. Es gehört zum Slam einiges mehr dazu, als nur den Text zu hören. Selbst den Künstler im Video zu sehen ist nicht das Gleiche. Was fehlt ist das Publikum. Bei guten Slams fühlt man eine magische Stimmung. Da gehört natürlich dazu, dass alle Bier trinken und in gelöster Atmosphäre dasitzen. 

Jeder Poetry Slam ist nur so gut wie das Publikum Bock auf den Abend hat.

wmn: Kann es sein, dass man manchmal einen Text nur gut findet, weil ihn der Rest des Publikums gerade abfeiert?

Bernard: Ja, das ist ein Faktor, der viel wichtiger ist, als man glaubt. Bei jeder Show, die ich moderiere, ist einer meiner ersten Sätze auf der Bühne: “Jeder Poetry Slam ist nur so gut wie das Publikum Bock auf den Abend hat.” Du kannst einen fantastischen Text lesen, wenn das Publikum nicht reagiert, geht die Magie vollkommen flöten. 

Es muss nicht immer johlendes Gelächter sein. Auch bei einem ruhigen Text fühlt man oft ein angespanntes Knistern im Raum. Man hört sehr genau, ob die Leute zuhören oder in Gedanken schon beim Zähneputzen sind. Das kommt online einfach nicht so rüber. 

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Drei Szenegrößen: Johannes Floehr, Jean Philippe Kindler, Bernard Hoffmeister

wmn: Meinst du die Fans der Poetry Slam-Szene sind euch treu, wenn ihr endlich wieder spielen dürft?

Bernard: Ich glaube nach Ende der Coronakrise wird die Sehnsucht nach genau solchen Kulturveranstaltungen so groß sein, dass wir auf jeden Fall wieder eine große Zuschauerschaft bekommen. Das Problem für manche Künstler ist aber immer, dass das Publikum genau das feiert, was gerade am präsentesten ist. 

wmn: Du meinst also die, die sich jetzt nicht bemühen im Gedächtnis zu bleiben, die werden nach der Coronakrise in Vergessenheit geraten? 

Bernard: Ja, das passiert aber auch ohne Corona. Ich kenne das noch von früher: Wenn ein Slammer öfter mal Auftritte abgesagt hat, wurde er schnell nicht mehr gebucht. Wer nicht am Ball bleibt, ist raus. 

Es wird ein Kampf um Aufmerksamkeit.

wmn: Wen wirst du buchen, wenn der erste Slam nach der Krise ansteht?

Bernard: Das kann ich jetzt noch nicht sagen. Wahrscheinlich werden mir die Leute die Bude einrennen. Es ist schon jetzt ein Kampf um Aufmerksamkeit. Ich denke ich werde keine Special Guests einladen, sondern einfach die Leute, deren Auftritt ich wegen Corona absagen musste.

wmn: Theoretisch können jetzt viel mehr Leute Poetry Slam konsumieren als je zuvor – online. Ist es für Slammer nicht logisch, zu Coronazeiten viel Zeit in Social Media-Auftritte zu investieren, um danach weiterhin gebucht zu werden?

Bernard: Ja, das stimmt. Theoretisch. Aber es gibt einige Punkte, die dagegensprechen, dass das wirklich funktionieren kann. 

Bernard Hoffmeister
Bernard Hoffmeister ist Fan von Live-Slams. Online-Auftritte sind für ihn nicht das Gleiche.(Photo: Ben Mischke)

wmn: Warum funktionieren manche Online-Slams nicht?

Bernard: Erst einmal sind gute Online-Auftritte teuer. Es sollte schon professioneller aufgezogen werden, als ein Handyvideo in der eigenen Küche. Da sollten ein paar Kamerawechsel drin sein und eine gute Tonqualität ist auch essentiell. 

Zweitens haben einzelne Poetry Slammer meist eine zu kleine Fangemeinde, als dass genug Leute zuschauen würden. Über Crowdfunding kann man zwar einiges erreichen, aber dafür braucht man auch erst einmal die Aufmerksamkeit. 

Drittens sind die Zuschauer an gute Fernseh- und YouTube-unterhaltung so sehr gewöhnt, dass Poetry Slammer da nicht mithalten können. Slammer sind auf der Bühne gut. Sie können mit dem Publikum agieren und lieben Live-Auftritte. Sich vor der Kamera selbst zu inszenieren ist eine ganz andere Kunstform.  

Poetry Slammer spielen mit dem Publikum, nicht mit der Kamera. 

Viertens wundert es mich generell, dass diese ganzen Instagram-Livevideos gerade so gehyped werden. Die Generationen Y und Z sind doch gerade die, die das lineare Fernsehen verteufeln und viel lieber streamen wann sie gerade Lust haben. Und jetzt sollen auf einmal Livestreams der Shit werden? Wie soll das denn bitte funktionieren? Das ergibt doch keinen Sinn!

wmn: Was macht der Coronavirus generell mit der Kreativität? Werden die Künstler kreativer, oder fällt ihnen vor Langeweile die Decke auf den Kopf?

Bernard: Wer weiß das schon. Ich kann nur für mich sprechen. Ich bin seit Jahren ans Homeoffice gewöhnt und trotzdem schleicht sich eine leise Lethargie in meinen Alltag ein. Da ich keine Termine mehr habe, dümple ich oft viel länger an Projekten herum als vorher. 

wmn: Kreative Arbeit fällt bei dir also im Moment generell aus? 

Bernard: Nein, das nicht. Ich werde die nächste Zeit nutzen, um an meinem Roman weiterzuschreiben. Außerdem hatte ich letzte Woche Veröffentlichung in dem Online-Magazin tegelmedia.net. Manchmal sind es die kleinen Freuden im Leben eines Künstlers.

Bernard Hoffmeister
Bernard empfiehlt gern seine liebsten Slam-Alternativen.(Photo: Anna-Lisa Konrad)

Bernards Kleinkunst-Empfehlungen für die Coronazeiten

  • Die Twitterpage #streamkultur empfiehlt täglich die besten virtuellen Küchenslams und Online-Kulturveranstaltungen. Kostenlos!
  • Das Literaturgebiet.ruhr veranstaltet seine Lesungen jetzt einfach auf YouTube.
  • Tereza Hossa macht sich auf die ehrlichste Art über die Coronakrise lustig.
  • Frühstücken mit Simon (auf Facebook) ist der beste Begleiter durch den Morgen. Oder den Abend. Oder wann auch immer.
  • Eine unangenehme Wahrheit. Die tägliche Kolumne des Satirikers Paul Bokowski. Zu finden in seinen Instagram-Storys. 
  • Bernards liebste Coronasongs: Simon Slomma – Lockdown & Fat Toni – Zuhause
  • Die Deutschsprachigen Poetry Slam Meisterschaften (27.10 – 31.10.2020) sollen dieses Jahr in Düsseldorf stattfinden. Dort kann man Bernard Hoffmeister (hoffentlich) bald live und in Farbe sehen.

Noch mehr Online-Kultur gibt es hier

Diese Museen, Theater und Clubs haben bereits fleißig Online-Auftritte gebastelt. Das meiste gibt es ganz umsonst.

Umsonst presigekrönte Drehbücher lesen kannst du hier.

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