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Our weekly heroine Seyran Ates beweist, dass man als Muslim:a auch liberal sein kann

Seyran Ates ist unsere weekly heroine. Sie hat eine queerfreundliche Moschee eröffnet & uns verraten, wie man liberal und zugleich muslimisch sein kann.

Seyran Ates
Seyran Ates setzt sich seit Jahren für Frauenrechte ein und hat eine queerfreundliche Moschee eröffnet. Foto: IMAGO / epd

Feministisch, muslimisch und weltoffen: So lässt sich die Welt von Seyran Ates zusammenfassen. Seit Jahren macht sie sich für einen liberaleren Islam stark, hat mehrere Preise für ihr Engagement gewonnen und sogar ihre eigene queerfreundliche Moschee in Berlin eröffnet. Von allen Seiten bekommt sie hierfür Kritik, gegen die sie sich mit viel Mut und Stärke wehrt. So inspirierend ist unsere weekly heroine diese Woche.

Seyran Ates kurz und knapp:

Das sind alle Infos, die du über Seyran Ates wissen musst:

  • Die Autorin, Rechtsanwältin und Frauenrechtlerin engagiert sich seit fast 40 Jahren für queerfeministische Themen in Berlin
  • Eins ihrer sechs Bücher besagt, dass der Islam eine sexuelle Revolution braucht. Es gibt seit 2021 auch einen Film, in dem sie das als Protagonistin erklärt und darstellt.
  • 2017 hat sie die Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in Berlin-Moabit eröffnet, die offen für alle steht, auch für Nicht-Gläubige, queere Menschen oder gläubige Frauen ohne Kopftuch.

Seyran Ates im Interview: „Es ist ein Menschenrecht, seine Sexualität frei auszuleben.“

wmn: In ihrem Film sagen Sie, dass der Islam eine sexuelle Revolution braucht. Die sieht höchstwahrscheinlich anders aus, als man im Westen vermutet. Wie kann das tatsächlich funktionieren und warum braucht man eine?

Seyran Ates: Zunächst möchte ich erwähnen, dass ich nicht der Überzeugung bin, dass der Westen eine andere Revolution braucht als der Islam oder der Rest der Welt. Ich kämpfe nicht gegen den Islam, sondern gegen das Patriarchat. Für mich geht es bei der sexuellen Revolution darum, dass alle Frauen gleichwertig und gleichberechtigt zu Männern sind, überall auf der Welt. Dabei geht es besonders um die körperliche Selbstbestimmung und das Ausleben der Sexualität, wozu jeder Mensch das Recht hat.

Meiner Meinung nach hat auch der Westen die sexuelle Revolution auch nicht vollständig abgeschlossen. Daher würde ich mir wünschen, dass der Westen, die islamische Community und alle anderen diese gemeinsam durchführen. Bestenfalls unter der Berücksichtigung der Vor- und Nachteile, die schon im Prozess geschehen sind.

„Wir dürfen nicht jeden Menschen die Religion aufzwingen.“

wmn: Sie wollen gegen den politischen Islam kämpfen. Wie genau würden sie diesen definieren, was gehört für sie dazu?

Seyran Ates: Ich unterscheide zwischen dem politischen und spirituellen Islam. Ich war schon immer gläubig und wurde auch so sozialisiert und hinterfrage diesen Glauben ständig. Wenn ich mir die zwischenmenschlichen und konservativen Menschen anschaue, dann erkenne ich immer wieder, dass der Glaube benutzt wird, um Menschen zu kontrollieren und zu unterdrücken.

Von diesem Punkt an wird Glaube für mich Politik. Der politische Islam hegt einen Anspruch, eine Weltreligion für alle Menschen zu sein. Für sie gehört die Scharia auch zum Gesetz, egal welche nun damit gemeint ist. Wir dürfen nicht jeden Menschen die Religion aufzwingen. Daher mach ich da eine saubere Trennung, die ich nicht erfunden habe, die auch viele andere Menschen nutzen.

Seyran Ates Weekly Heroine Moschee
Seyran Ates predigt in ihrer Moschee als Imame. Foto: Sean Gallup / Getty Images

„Wir müssen die Aussagen des Korans in den historischen Kontext einordnen.“

wmn: Gibt es Stellen, wo sie mit ihrer liberalen Auslegung im Koran an ihre Grenzen kommen?

Seyran Ates: Es gibt definitiv Stellen, die wir diskutieren müssen, besonders wenn es um Frauenrechte geht. Im Koran steht, dass vor Gericht die Aussage von Frauen nur halb so viel Wert ist wie die von Männern. Einige lesen ebenfalls aus dem Koran heraus, dass Frauen geschlagen werden dürfen. Eine weitere Grenze für mich ist, wenn es um die Verfolgung und Tötung von Andersgläubigen geht oder Menschen gar versklavt werden dürfen.

Zudem müssen wir die Aussagen des Korans in den historischen Kontext einordnen, das versuche ich jedenfalls. Die Verfolgung von Polytheisten auf der arabischen Halbinsel ist entstanden, da Verträge zwischen ihnen und Muslimen gebrochen wurden. Ich als Anwältin im 21. Jahrhundert schließe nun daraus, dass es um Verträge einzelner Clans geht. Nun müssen wir schauen, was das mit uns heute zu tun hat. Ich bin dafür, es so stehenzulassen, wie es damals war.

Zudem waren Schritte wie die Aussagekraft von Frauen vor Gericht damals ein Fortschritt, da sie vorher gar nicht vor Gericht aussagen durften. Wenn Frauen sich zusammengetan haben, konnten sie sogar Männer überstimmen. Ich versuche solche Dinge einzuordnen und kritisch zu hinterfragen.

„Ich sehe es als Privileg an, in einer Großfamilie aufzuwachsen, die jeden toleriert.“

wmn: In dem Film „Sex, Revolution und Islam“ wird deutlich, dass sie früher ein schlechtes Verhältnis zu ihrer konservativen Familie hatten und nun sehr nah zueinander stehen und sie sogar in ihren Vorhaben unterstützen. Wie ist es dazu gekommen?

Seyran Ates: Ich habe die sehr patriarchalen Strukturen zu Hause nicht ausgehalten, weswegen ich damals abgehauen bin. Schließlich wollte ich frei und selbstbestimmt leben. Ich wollte mein eigenes Leben leben, nicht das meiner Eltern. Das war immer eine Entscheidung für mich, nie gegen meine Familie. Ich sehe auch das Privileg an, in einer Großfamilie aufzuwachsen, die jeden toleriert.

Es gibt auch negative Punkte, wenn es um soziale Kontrolle und Unterdrückung geht. Mit dem konservativen Teil habe ich den Kontakt abgebrochen, mit dem anderen, wie z.B. Geschwister, die Nähe gesucht. Das Verhältnis zu meinen Eltern war sehr zerrüttet, da sie auch Opfer ihres sozialen Umfeldes waren. Jedoch hatten sie so viel Liebe und innere Toleranz, weswegen eine Aussprache möglich war. Für das Verhältnis bin ich sehr dankbar und meine Mutter wohnt inzwischen sogar bei mir. Mein Vater ist leider schon verstorben.

„Ich weigere mich, die Empfängerin zu sein.“

wmn: Aus der muslimischen Community kommt immer wieder Kritik an ihrer Arbeit. Sogar Morddrohungen stehen an der Tagesordnung. Wie gehen Sie damit um?

Seyran Ates: Ich habe mich in den 15 Jahren geändert, in denen ich Personenschutz habe. Inzwischen ordne ich die Drohungen und Beleidigungen da ein, wo sie hingehören: zurück an den Absender. Ich weigere mich einfach, die Empfängerin dafür zu sein. Zum Beispiel wird mir sowas geschrieben wie „Ich will dich vergewaltigen, töten, und auf deine Leiche pissen“. Mit solchen Dingen wollen sie mich erniedrigen, dabei erniedrigen sie sich eher selbst.

Es gibt auch Menschen, die mir vorwerfen, ich sei islamophob. Diese sollen mir das doch bitte in einer direkten Konfrontation sagen und sich meine Arbeit vor Ort anschauen. Nur weil ich einen Vortrag 2018 vor der FPÖ über den politischen Islam gehalten habe, heißt das noch lange nicht, dass ich islamophob bin. Auch vorher wurde mir das immer wieder vorgeworfen. Ich habe 2013 den Strafstandbestand für Zwangsheirat gefordert, wofür ich rechts genannt wurde. Das verstehe ich nicht, gerade wenn ich gegen solche Sachen wie Ehrenmorde kämpfe. Der Zusammenhang ist sehr absurd.

Manches schicke ich tatsächlich auch zur Strafanzeige, damit man sehen kann wie die Gefährdungssituation ist.

„Homosexuelle wollen sich aber nicht in den Religionen, für ihre Religion oder sexuelle Identität entscheiden müssen.“

wmn: Warum braucht gerade die LGBT-Community im muslimischen Bereich einen Schutzraum?

Seyran Ates: Im Islam, dem Christentum und dem Judentum wird gerne die Geschichte von Loth herangezogen, um Homosexualität abzulehnen. Konservative Muslime sind der Meinung, dass man nicht homosexuell und Muslim sein kann, weswegen sie nicht willkommen sind. Jedoch gab es sie schon immer, weswegen ihnen das nicht zusteht. Homosexuelle wollen sich aber nicht in den Religionen, für ihre Religion oder sexuelle Identität entscheiden müssen, das muss jede Religion akzeptieren. Gerade für die konservative muslimische Gesellschaft sind wir eine Überforderung, weswegen wir trotzdem nie aufhören werden, uns für queere Menschen einzusetzen. Gerade in Europa und echten Demokratien ist es ein Menschenrecht, seine Sexualität frei auszuleben und das muss jeder, der hier leben will, akzeptieren.

„Dafür ist ein Demokratisierungsprozess in muslimischen Ländern wichtig.“

wmn: Haben Sie tatsächlich die Hoffnung, dass der Großteil der muslimischen Menschen mal liberal zur queeren Szene steht?

Seyran Ates: Wir werden niemals alle überzeugen können, da bin ich mir sicher. Trotzdem kann jeder sich unterschiedlich ausrichten, was akzeptiert werden muss. Sie müssen es nicht unglaublich toll finden. Dafür ist ein Demokratisierungsprozess in den muslimischen Ländern wichtig.

„Wir brauchen Unterstützung, auch in Form von Zustimmung.“

wmn: Wie kann man als Nicht-Gläubige:r queere Muslime unterstützen?

Seyran Ates: Ich würde mir wünschen, dass nicht-Gläubige die Moschee als Friedensprojekt ansehen, wie es schon einige tun. Natürlich brauchen wir Unterstützung in Form von Spenden, jedoch auch in Form von Zustimmung, zum Beispiel in Form von Kommentaren unter Social Media Postings. So können alle für eine gemeinsame Gesellschaft einstehen.

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„Die Freiheit fängt im Kopf an.“

wmn: Was würden sie denn gerade jungen Frauen raten, um in einem konservativen Lebensumfeld klarzukommen und sich frei zu entfalten?

Seyran Ates: Sie sollten so viel Kraft und Energie wie möglich in sich selbst stecken. Nur wenn man genug Kraft hat für sich selbst einzustehen, kann man andere überzeugen. Die Freiheit fängt im Kopf an, das ist am schwierigsten. Wenn man sich selbst liebt, funktioniert es auch mit der Familie. In einigen Fällen ist aber auch ein harter Bruch nötig, um sich später wieder anzunähern. Da ist die Sicherheit besonders wichtig, dafür gibt es aber auch in Deutschland genug Einrichtungen. Lebt euer eigenes Leben und nicht das der anderen.

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