Am Wochenende fängt die umstrittene FIFA Männerfußball WM in dem kleinen Golfemirat Katar an. Katar plant dieses Turnier schon seit 2010, als verkündet wurde, dass sie die Gastgeber der Weltmeisterschaft 2022 sind. Dennoch wird die WM von Fans seit Monaten heftig kritisiert. Das liegt vor allem an den Misshandlungen der Menschenrechte der Gastarbeiter:innen, die strengen Regeln für Frauen, die Umwelt und, dass Katar eigentlich gar keine Fußballnation ist.
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Müssen wir uns die WM in Katar differenzierter anschauen?
Seit Monaten ist die Diskussion groß, ob man sich die Spiele der diesjährigen WM überhaupt anschauen darf und viele boykottieren das Turnier öffentlich und laut. Die katarische Regierung spricht bei dieser Kritik von Doppelmoral. Generell liegt die Kritik der westlichen Welt bei dem kleinen Emirat und nicht bei der FIFA. Oliver Kalkofe hat das in einem kleinen Interview gut auf den Punkt gebracht:
„Es gibt jede Menge, was man an Katar kritisieren kann und muss, ein reines Katar-Bashing bringt allerdings niemand weiter. Meine Kritik und Wut richtet sich an die FIFA, die sich für diesen vollkommen absurden Katar-Zuschlag hat kaufen lassen. […] Die Korruption hat gesiegt, der Sport, der Spaß und das Miteinander bleiben auf der Strecke. Stattdessen wird das Spiele-schauen für viele Zuschauer:innen zu einer moralischen Frage und kann die Fans spalten.
Es war immer klar, dass es bei der FIFA und vergleichbaren Vereinigungen nicht um den Sport, sondern nur ums Geld geht. Aber diesmal hat man es wirklich übertrieben, denn es gibt und gab niemals auch nur ein einziges echtes Argument für Katar. Dass wir nun gezwungen werden, eine derart dreiste Korruptions-Komödie entweder mitzuspielen oder zu boykottieren, haben weder die Spieler noch das Publikum verdient. Für mich einer der größten Skandale der Sportgeschichte.“
„Frauen sind wie Süßigkeiten …“
Das Fass ist bei manchen Fans Anfang November zum Überlaufen gekommen, als das ZDF einen Film gezeigt hat, in dem der katarische WM-Botschafter Khalid Salman homophobe Äußerungen von sich gibt, in der er Homosexualität mit einem geistigen Schaden vergleicht.
Im selben Film gibt es auch eine Szene, die man nur als frauenfeindlich beschreiben kann. „Warum können Frauen nicht unverschleiert sein?“, fragt der ZDF-Journalist Jochen Breyer. Auf diese Frage folgt ein Vergleich von Frauen mit Süßigkeiten. Ein in Katar-lebender Mann sagt zu Breyer, dass er sich mal vorstellen soll, er hätte zwei Süßigkeiten vor sich: Eine offen und eine verpackt. Welche würde er nehmen? Hier würde wahrscheinlich jede:r die verpackte Süßigkeit nehmen – so auch Breyer.
Der gravierende Unterschied ist hier natürlich, dass Frauen Menschen sind und keine Süßigkeiten. Süßigkeiten können ja auch gegessen werden, Frauen somit auch? Dieser Vergleich an sich ist schon hinfällig. Das sagt auch Breyer, der zusätzlich noch fragt, warum Frauen nicht dieselben Rechte haben wie Männer? Daraufhin meinen die Männer, dass sie nicht verstehen, warum man überhaupt das Haus verlassen will, vor allem bei dem Reichtum? Na ja, es gibt da bestimmt auch neben Wohlstand einige Gründe, warum man als Mensch das Haus mal verlassen möchte.
Reichtum in Katar
Katar ist wegen ihrer großen Öl- und Erdgasfelder weltweit eines der reichsten Länder geworden. Zudem genießen katarische Bürger:innen steuerfreies Einkommen, gut bezahlte Arbeitsplätze in der Regierung, kostenlose Gesundheitsversorgung, kostenlose Hochschulbildung, finanzielle Unterstützung für frisch Verheiratete, Wohngeld, großzügige Subventionen zur Deckung von Nebenkosten und eine üppige Altersversorgung. Man kann also sagen, dass katarische Menschen somit reich geboren werden.
Zweiklassen-System in Katar
Wie oben schon erwähnt, kann man die Bewohner:innen des Landes Katar als reich-geboren einteilen. Dennoch trifft das nicht auf alle Einwohner:innen des Landes zu. Denn, in Katar leben viele Gastarbeiter:innen. Berichten zufolge lebten viele Arbeitnehmer:innen in herabgekommenen Unterkünften, mussten hohe Anwerbegebühren zahlen, ihre Löhne wurden nicht ausgezahlt und ihre Pässe beschlagnahmt.
Nach Angaben der katarischen Regierung wurden allein für den Bau der Stadien 30 000 ausländische Arbeitskräfte eingestellt. Die meisten kommen aus Bangladesch, Indien, Nepal und den Philippinen. Laut einer Recherche des Guardians von Februar 2021 sind um die 6 500 Gastarbeiter:innen in Katar gestorben.
Wie sehen die Frauenrechte in Katar eigentlich aus?
Von manchen Menschen wird Katar als eines der liberalsten Länder der Golfstaaten bezeichnet. Das liegt wahrscheinlich unter anderem daran, dass Frauen arbeiten dürfen, öffentliche Verantwortung haben und schon seit Jahrzehnten Auto fahren – anders als in Saudi-Arabien, wo Frauen erst vor ein paar Jahren das Recht dazu erhalten haben. Dennoch ist das Emirat seit Jahren am unteren Ende des Global Gender Gap Report des Weltwirtschaftsforums. Dieser Bericht erfasst die Unterschiede zwischen Frauen und Männern in den Bereichen Beschäftigung, Bildung, Gesundheit und Politik.
Das Gender-Gap gibt es übrigens auch in Deutschland: Gender Gaps: In diesen Bereichen sind Frauen noch immer benachteiligt
In der Verfassung von Katar ist die Gleichheit der Bürger:innen eine Grundregel. Dennoch können sich Männer laut dem Scharia-Gesetz beispielsweise problemlos von ihren Ehefrauen scheiden lassen. Frauen müssen dies bei einem Gericht anfragen. Männer können auch bis zu vier Ehefrauen heiraten, während Frauen die Zustimmung eines männlichen Vormunds brauchen, um zu heiraten – egal, wie alt sie sind.
Eine weitere Regel besagt, dass katarische Frauen unter 25 Jahren auch die Erlaubnis eines männlichen Vormunds brauchen, um das Land zu verlassen. Unverheiratete Frauen unter 30 dürfen auch nicht in Hotels einchecken und alleinstehende Frauen, die schwanger werden, werden wegen außerehelichen Geschlechtsverkehrs strafrechtlich verfolgt.
Welche Rolle spielen diese Regeln für Frauen, die zur WM reisen wollen?
Wir haben uns mit der Engländern Clarissa Bloom unterhalten, die zur WM nach Katar reisen wird. Clarissa arbeitet für eine Junggesellenabschieds-Firma, namens The Stag Company. Auf die Frage, ob die restriktiven Regeln einen Einfluss auf ihre Entscheidung hatten, nach Katar zu fliegen, antwortete sie: „Zu einhundert Prozent! Die widerlichen homophoben Ansichten zu hören, die sie haben, hat mich zutiefst traurig gemacht. Ich besuche Katar ganz sicher nicht wegen der politischen Ansichten und der kosmopolitischen Atmosphäre. Wenn nicht gerade die WM dort stattfinden würde, würde ich niemals nach Katar reisen – nicht bevor sie ihre Ansichten über Frauen und die LGBT+-Gemeinschaft geändert haben.“
Welche Regeln gibt es für Besucher:innen, die für die WM nach Katar fliegen?
Katar hat sich zwar bemüht, sich als gastfreundlich gegenüber Ausländer:innen darzustellen, dennoch sind die traditionellen muslimischen Werte in dem erblich regierten Emirat nach wie vor stark ausgeprägt. Demnach gibt es für Besucher:innen, die für die Weltmeisterschaft nach Katar fliegen, auch einige Regeln zu beachten.
1. Alkohol- und Drogenverbot
In Katar wird Alkohol generell nur in Hotelrestaurants und Bars verkauft, die eine Lizenz haben. Demnach ist es also illegal, ihn anderswo zu konsumieren. Bei der WM dürfen die Fans vor und nach den Spielen Budweiser-Bier auf dem Stadiongelände kaufen. In einer ausgewiesenen „Fanzone“ in der Innenstadt von Doha können die Fans auch abends trinken.
Update: Am 18. November wurde berichtet, dass die katarische Regierung nun den Verkauf von Bier an und in den Stadions verboten hat.
In einer ausgewiesenen „Fanzone“ in der Innenstadt von Doha können die Fans auch abends trinken.
Bei Drogen ist das kleine Emirat sogar noch strenger. Katar ist eines der restriktivsten Länder der Welt, wenn es um Drogen geht. Cannabis und sogar rezeptfreie Medikamente wie Narkotika, Beruhigungsmittel und Amphetamine sind absolut verboten. Der Verkauf, Handel und Besitz illegaler Drogen kann mit schweren Strafen geahndet werden. Darunter können beispielsweise langjährige Haftstrafen, gefolgt von Ausweisung und hohen Geldstrafen fallen. Zudem kann auf eine Anklage wegen Drogenschmuggels die Todesstrafe verhängt werden.
2. Dress Code
Die Tourismus-Website der katarischen Regierung fordert Männer und Frauen auf, die lokale Kultur zu respektieren, indem sie in der Öffentlichkeit auf allzu freizügige Kleidung verzichten. Besucher:innen werden gebeten, ihre Schultern und Knie zu bedecken. Wer kurze Hosen und ärmellose Oberteile trägt, wird möglicherweise aus Regierungsgebäuden und Einkaufszentren verwiesen. Frauen, die Moscheen in der Stadt besuchen, erhalten Schals, um ihren Kopf zu bedecken. In Hotels sieht das allerdings ganz anders aus – da sind auch Bikinis erlaubt.
Wir haben Clarissa Bloom gefragt, wie sie sich auf die Reise vorbereitet hat. „Es gibt ein Element des Ethnozentrismus, wenn wir ins Ausland gehen und denken, dass unser Weg der richtige ist und andere falsch„, sagt sie. „Aber in diesem Szenario sind definitiv einige beunruhigende und überholte Praktiken und Gesetze in Kraft.“ Vor lauter Vorfreude und Nervosität hat sie ihren Koffer schon längst gepackt. „Ich habe hauptsächlich Jeans, Leggings eingepackt und Oberteile, die meine Schultern bedecken. Das könnte natürlich bei den hohen Temperaturen unangenehm werden.“
3. Regeln für LGBTQIA+ – Community
Neben dem „Frauen sind wie Süßigkeiten“-Kommentar aus der ZDF-Doku hat der WM-Botschafter auch homophobe Äußerungen von sich gegeben. Er hat Homosexualität mit einem geistigen Schaden verglichen. In Katar ist Homosexualität illegal. Das Privatleben wird in Katar weitgehend respektiert, aber jede Intimität zwischen Personen in der Öffentlichkeit kann als beleidigend angesehen werden, unabhängig von Geschlecht, sexueller Orientierung oder Absicht.
Die gastgebenden Behörden haben zwar erklärt, dass bei der Fußballweltmeisterschaft „jeder willkommen“ ist. Sie haben öffentlich bestätigt, dass es keine Einschränkungen für nicht-verheiratete Freund:innen oder Paare, einschließlich LGBT-Personen, geben wird, die im selben Zimmer übernachten.
Wir haben Clarissa gefragt, was sie davon hält. „Ich bin nicht nur eine stolze Frau, sondern auch bisexuell, das ist in ihren Augen ein doppelter Schlag. Jedoch werde ich mich zurückhalten, wenn ich in ihrem Land bin, denn ich möchte im Urlaub keinen Aufstand machen und ihnen gegenüber meine Überzeugungen zum Ausdruck bringen, um sie zu beleidigen.“
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Es gibt viel zu kritisieren an der WM in Katar
Wer nach Katar reist, sollte sich bewusst sein, dass die Regeln dort anders sind als bei uns. Von vielen wird die WM in Katar unter anderem wegen der oben stehenden Gründe boykottiert. Es wird interessant werden, zu sehen, wie das kleine, konservative Land mit dieser riesigen Menge an Fußballfans zurechtkommt und ob diese sich auch an die Regeln halten werden.