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Aldi-Möhrenfamilie: Der Discounter hat eine Chance zur Integration verpasst

Die süße Möhrenfamilie von Aldi zeigt, was „normal“ ist und was nicht. Der Meinung unserer Redakteurin zufolge wurde hier eine Integrationschance verpasst.

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Aldi: Die neue Maskottchen-Familie ist ein bisschen zu perfekt. Foto: Aldi Adventskalender

Aldi hat neue Maskottchen, die einfach zu süß sind, um wahr zu sein. Kai die Karotte (auf English: Kevin The Carrot) heißt das neue Maskottchen. Kai und seine Familie sind das perfekte Abziehbild des idealen Lebens.

Kai die Karotte und seine Möhrenfamilie sind sehr hübsch anzuschauen und sollen den Menschen in der Vorweihnachtszeit gute Laune bescheren. Das tun sie auch. Doch mir als Redakteurin gab die Aldi-Maskottchen-Familie einen bitteren Beigeschmack.

Was genau daran problematisch ist und was Aldi das nächste Mal besser machen kann. Die Meinung der wmn-Redakteurin.

Die neuen Gemüse-Maskottchen bei Aldi

Kai die Karotte führt uns dieses Jahr durch die Weihnachtsangebote von Aldi. So zeigt er uns beispielsweise die Zimtsterne für 1,99 Euro oder die Marzipankugeln für 0,99 Cent.

Viel wichtiger als die Angebote, die Kai die Karotte uns zeigt, ist aber die Geschichte, die um ihn und seine Karottenfamilie gesponnen wird.

Die Karotten-Familie bei Aldi – Ein wenig zu traditionell?

Kai ist in einer Karotten-Familie aufgewachsen, die beinahe zu perfekt ist, um wahr zu sein. Wir zeigen dir, warum dieses Bild ziemlich problematisch ist. Das sind die Mitglieder der Familie inklusive der Erklärung, die Aldi zu ihnen gibt. Die folgenden Beschreibungen sind Zitate der Aldi-Webseite:

Kai: Kai liebt Weihnachten und seine Familie. Sein größter Wunsch: Dass es auch für alle anderen dieses Jahr ein besonderes Fest wird.

Karla: Was auch immer die Karotten-Familie als Nächstes plant, Karla macht es möglich. Die liebevolle Mama von Michel, Mia und Merle ist Kais ganz große Liebe.

Michel: Wenn Michel seine Karottennase nicht gerade in eines seiner Detektivbücher steckt, sorgt er gerne für Weihnachtsstimmung bei seiner Familie und den Nachbarn.

Mia: Die freche Mini-Karotte spielt ihrer Familie gerne lustige Streiche und kann es kaum noch erwarten, dass es endlich Weihnachten wird.

Merle: Die jüngste Mini-Kartotte liegt Musik, tanzen und ganz besonders Weihnachtsplätzchen. Egal, was ihre großen Geschwister tun, Merle möchte immer dabei sein.

Die Karotten-Familie rund um Kai: ein traditionelles Rollenbild

Keine Frage: Es ist eine wirklich niedliche Familie, die hier porträtiert wird: Ein traditionelles Elternhaus mit einem Papa und einer Mama. Dazu drei glückliche und wohlerzogene Kinder. Doch ist das eigentlich noch zeitgemäß?

Traditionelle Rollenbilder einer „klassischen“ Familie gehören nach Ansicht vieler Menschen aus den jüngeren Generationen in die Vergangenheit. Heute wissen wir darum, dass es ganz normal ist, dass Ehen zwischen zwei Elternteilen scheitern können. In Deutschland werden gut 38 % der Ehen wieder geschieden. Gleichzeitig steigt die Anzahl der Patchwork-Familien in Deutschland an. Laut Apomio sind es 7 bis 13 %.

Wie viele Kinder haben die Deutschen eigentlich im Schnitt? Sind es drei Sprösslinge wie es die Aldi-Familie, oder sind es weniger? Ein paar Zahlen helfen uns da weiter. Im Jahr 2019 hatte über die Hälfte der deutschen Eltern (51,2 %) nur ein Kind. Zwei Kinder hatten gut ein Drittel der Haushalte bekommen (36,5 %). Familien mit drei Kindern gab es noch weniger, sie lagen bei gut 9,4 %.

Eine Ehe zwischen Kai und Karla deutet auf eine heterosexuelle Beziehung hin. Das sehen wir nicht nur an den traditionell männlichen (Kai) und weiblichen (Karla) Namen. Wir sehen es auch an den Pronomen „sie“ und „er“, die Aldi zur Beschreibung der Familie nutzt.

Auch das passt in ein traditionelles Rollenbild und wird hier reproduziert. Heterosexuelle Beziehungen sind die Norm. Beinahe bei 85% der Gesamtbevölkerung sind heterosexuell.

Queere Menschen machen also einen Anteil von gut 15% der Gesamtbevölkerung aus. Das ist beinahe jeder sechste Mensch. Meiner Meinung nach Grund genug, um sie auch mal in den Vordergrund zu stellen.

Aldi-Familie: Hier liegt die verpasste Chance

Das zeigt nicht, dass heterosexuelle Paare und traditionelle Eheleute nicht mehr in der Werbung gezeigt werden sollten. Familien mit Mama, Papa und drei Kindern sind wunderbar anzusehen. Doch sie sind nicht die einzigen Familien, die es gibt. Die hier aufgeführten Zahlen zeigen lediglich, dass auch „andere“ Familien ihren Platz in der Werbung und der Öffentlichkeit verdient haben.

Die Aldi-Maskottchen-Familie wird besonders liebevoll beschrieben. Allerdings sollten wir uns immer darüber im Klaren sein, dass das nicht für alle gilt. Keine Familie ist perfekt, kein Kind ist ideal erzogen, Scheidungen sind etwas ganz Normales und queere Menschen machen einen hohen Prozentsatz der Menschheit aus.

Aldi-Möhrenfamilie: Der Discounter hat eine Chance zur Integration verpasst

Aldi-Möhrenfamilie: Der Discounter hat eine Chance zur Integration verpasst

Die süße Möhrenfamilie von Aldi zeigt, was "normal" ist und was nicht. Der Meinung unserer Redakteurin zufolge wurde hier eine Integrationschance verpasst.

Leser:innen-Meinungen & „Normalität“

Die wmn-Redaktion erreichte aufgrund dieses Artikels einige Leser:innenmails, Instagram-Nachrichten und Twitter-Comments. Hier können leider nicht jede dieser Nachrichten widergespiegelt werden, doch für einen gesunden Diskurs ist es meiner Meinung nach wichtig, diese Menschen ebenfalls zu Wort kommen zu lassen. Die Namen wurden von mir geändert.

Emil schreibt: „Eine süße Karotten Familie ist bestimmt nicht der zentrale Punkt in einer so schnell drehenden Welt.“

Emil schreibt weiterhin: „Wie sieht denn für Dich die „perfekte“ Kampagne aus? (…) Sollte Aldi eine Kampagne für alle Möglichkeiten machen? Glaubst du nicht, dass die Moral der ganzen Geschichte ist, dass Weihnachten das Fest der Liebe ist. Es geht darum seinen Nächsten zu lieben. Egal welches Geschlecht. Dagegen zu hetzen scheint ein wenig kindisch zu sein, findest du nicht?“

Viele der Leser:innen-Mails gingen darauf ein, dass die Maskottchen-Familie nicht diskriminiere, sondern vielmehr eine „normale“ Familie zeigte. Immerhin sind 85% der Menschen heterosexuell und immerhin es gab im Jahr 2021 357.800 Eheschließungen.

Was ist eigentlich normal?

Das ist meiner Ansicht nach für jede Person unterschiedlich. Queer zu sein ist genauso normal wie heterosexuell zu sein. Auch wenn es weniger Homos als Heteros gibt. In der Werbung werden jedoch zumeist heteronormative Strukturen gezeigt.

Ein anderes Beispiel ist die berühmte Check24-Familie. Auch hier sehen wir das klassische Rollenbild von Mann, Frau und Kindern.

Außerdem ist die Check24-Familie mit einem eigenen Haus – auch das repräsentiert nicht das Gros der Gesellschaft, sondern lediglich 28 %. Der Rest der Deutschen wohnt in einer Wohnung oder in einer Wohngemeinschaft.

Dies ist nur eines von vielen Werbebeispielen, in denen ein traditionelles und langsam überholtes Klischeebild einer Familie dargestellt wird. Aldi und Check24 nehmen nur einen jahrhzehnte-, wenn nicht gar jahrhundertelangen Trend auf.

Weitere spannende Beispiele über die Heteronormativität in der Werbung kann man in unserem Interview mit Rebekka Endler nachlesen.

Woran erkennt man, was falsch und was richtig ist?

Samuel schreibt: „Woran erkennt man eine Bisexuelle Familie, in der der Mann und/oder die Frau Bisexuell ist? Zwei verheiratete Bisexuelle in einer monogamen Beziehung und meinetwegen auch mit Kindern, können weiterhin Bisexuell sein. Oder sind Asexuell, oder Pansexuell oder Omnisexuell. Klar ist das nicht „in your face“- lesbisch oder schwul, jedoch inklusiv im Biplusumbrella, absolut queer. Eine Ehe von Mann und Frau ist kein Ausschlusskriterium für queerness.

Janosch schreibt: „Der Fortschritt steht unaufhaltsam vor der Tür. Aber eine heteronormative Familie als „diskriminierend“ zu bezeichnen, weil queer fehlen würde, ist mehr als lächerlich.

Ich, als bisexueller Mann, bitte Sie daher, Ihren Artikel runterzunehmen. Sie repräsentieren damit nicht die Ansichten der LGBTQ+ Community, sondern werfen ein schlechtes Licht auf uns. Sie belästigen Aldi mit einem falschen Diskriminierungsvorwurf, der wiederum auf die LGBTQ+ Community zurückfallen könnte.

Unsere Community zielt aber nicht darauf ab, überall auf Zwang queer unterzubringen. Unsere Community zielt auf Toleranz und Akzeptanz ab. Beides wurde im Artikel kein Stück gezeigt. Das grenzt schon an Diskriminierung der Heteronormativen und ist damit genau die gegensätzliche Richtung, geht in Richtung dessen, was rechte Extremistengruppen, nämlich pseudolinke Neofaschisten, auf Twitter verbreiten.

Wie kann man es besser machen?

Die große Frage ist zum Schluss: Wie kann man es besser machen als Aldi, wenn man eine Weihnachtkampagne schalten will? Beim Schreiben dieses Artikels habe auch ich keine ideale Lösung gefunden. Wir müssen uns nicht einbilden mit einer einzigen Werbung alle Geschlechter, alle Identitäten und alle Lebensrealitäten einbeziehen zu können. Das muss auch gar nicht sein. Allerdings wäre es hin- und wieder wirklich schön zu sehen, dass von einer großen Supermarktkette, die alle Menschen gleichermaßen etwas angeht, nicht nur das traditionelle Bild reproduziert wird.

Ich bin selbst Scheidungskind und weiß ganz genau, dass das traditionelle Elternhaus nicht die Norm ist. Stattdessen gibt es ganz viele wunderbare Familienkonstrukte, die irgendwie alle normal sind.

Wichtig ist, dass wir nicht vergessen: Weihnachten ist für jede:n von uns ein Fest der Liebe. Jede Familie sollte die besinnlichen Tage so feiern dürfen, wie es ihr beliebt. Die Aldi-Weihnachtskampagne spricht einen Teil der Gesellschaft zwar nicht an, das bedeutet aber noch lange nicht, dass es eine schlechte Kampagne ist.

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