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9/11: Warum weiß jeder genau, was er an diesem Tag gemacht hat

9/11 war eine der schrecklichsten Tragödien dieses Jahrtausends. Doch es schon lange her. Wieso weiß dann trotzdem jeder, was er in diesem Tag gemacht hat?

zuschauer 9/11 11. September
9/11/2001 war ein Schock für uns alle. Hier stehen die Menschen in München vor einem öffentlich zugänglichen Fernseher. Foto: IMAGO / HRSchulz

Der 11. September 2001 war ein Dienstag. Um 14:46 Uhr rauschte das erste Flugzeug in die Türme des World Trade Center. Die Bilder gingen direkt um die Welt – Kurze Zeit später saßen alle vor den heimischen Fernsehern und starrten auf die Nachrichten. Mit 9/11 sind für immer Bilder von Explosionen, schrecklich verzerrten Gesichtern in unser Gedächtnis gebrannt.  

Aber warum wissen wir eigentlich so genau, was wir an diesem Tag gemacht haben? Wmn ist dieser Frage auf die Spur gegangen. Wir haben echte Erfahrungsberichte von Menschen gesammelt, die für uns an gedanklich zu diesem Tag zurückgekehrt sind. Aufgrund dieser Erfahrungsberichte haben wir weiter geforscht und herausgefunden, warum wir uns überhaupt so gut an solche Ereignisse erinnern können.

9/11: Was ist da nochmal genau passiert? 

  • 19 islamistische Terroristen entführten vier Flugzeuge der American Airlines und der United Airlines.
  • 2 Flugzeuge schlugen in die beiden Türme des World Trade Center (WTC) in New York ein.  
  • Das dritte Flugzeug flog in das Pentagon, den Sitz des US-Verteidigungsministeriums. 
  • Das vierte Flugzeug kam in Pittsburgh zu einer Bruchlandung. Es wird vermutet, dass das eigentliche Ziel das Pentagon in Washington D.C. war. 
  • Eine vierte Maschine stürzte bei Pittsburgh ab. Ihr vermutliches Ziel war das Weiße Haus oder das Kapitol in Washington D.C. 
  • Gut 3.000 Menschen aus 92 Ländern starben insgesamt bei den Anschlägen von 9/11.  
  • Verantwortlich für diese Tragödie war das islamistische Terrornetzwerk “al-Qaida” unter der Führung von Osama bin Laden. Er war noch nach den Anschlägen viele Jahre lang der meistgesuchte Terrorist der Welt. Erst 2011 wurde er von US-Soldat:innen gefunden und getötet.  
  • Seit 9/11 hat sich in der Welt einiges geändert. Vorurteile gegen Muslime sind da nur die Spitze des Eisberges. Auch die Flugsicherheitskontrollen haben seither rapide zugenommen. 
  • 9/11 hatte gravierende politische und militärische Folgen, unter anderem den Einmarsch in Afghanistan im Herbst 2001 und den Irak-Krieg im Jahr 2003. 
9/11: Warum weiß jeder genau, was er an diesem Tag gemacht hat

9/11: Warum weiß jeder genau, was er an diesem Tag gemacht hat

9/11 war eine der schrecklichsten Tragödien dieses Jahrtausends. Doch es schon lange her. Wieso weiß dann trotzdem jeder, was er in diesem Tag gemacht hat?

9/11/2001 Erinnerungen: 9 Menschen erinnern sich an diesen Tag

Wir haben in unserer Redaktion herumgefragt, was die Menschen bei 9/11 getan haben. Wir alle wurden aus unserem Alltag herausgerissen und mussten auf einmal mit einer der größten Tragödie dieser Zeit klarkommen. Hier sind unsere Eindrücke:

Das ist Mona. Foto: Mona Schäffer

Mona, 27: Ein Actionfilm in der Küche

9/11 war ich gerade einmal sieben Jahre alt. Damals war ich mit meinem Vater beim Essen im Café der münsteraner Kletterhalle. Wir hatten Pommes bestellt und ich wartete sehnsüchtig auf die Mayonnaise, die der Kellner vergessen hatte.  

Irgendwann fiel meinem Vater auf, dass sich Kellner:innen um den kleinen Fernseher in der Gastro-Küche drängten. Mein Vater quetschte sich dazu. Ich wartete noch ein paar Minuten ungeduldig auf die Mayonnaise, doch als ich verstand, dass sie nicht kommen würde, ging auch ich in die Küche.  

Als ich die Bilder sah, dachte ich zunächst es sei ein Actionfilm mit krassen Explosionsszenen. Es dauerte eine Weile, bis ich verstand, dass das echt war. Einordnen konnte ich die Tragödie dennoch erst viel später.  

(Beispielbild) Foto: IMAGO / Westend61

Lena, 20: In was für einer Welt wird mein Kind aufwachsen?

Wie man meinem Alter vielleicht entnehmen kann, war ich ein Baby als 9/11 die Welt veränderte – genauer gesagt sogar erst 2 Wochen alt. Dementsprechend habe ich keine Erinnerungen an diesen Tag, weiß aber sehr wohl, wie meine Mama sich gefühlt hat. Sie war an diesem Tag alleine mit mir zu Hause und hat das getan, was Mütter mit Neugeborenen eben tun

Als dann um kurz vor 15 Uhr das erste Flugzeug in den Turm einschlug, hat sie es ziemlich schnell mitbekommen. Die Angst, die sie gefühlt hat, als klar war, dass es sich nicht um einen grausamen Unfall handelt, mag ich mir gar nicht vorstellen. Ich glaube viele Mütter mit Kindern in meinem Alter haben sich bei 9/11 gefragt: “In was für einer Welt wird mein Kind aufwachsen?!”. 

Erst viel später, als ich schon zur Schule gegangen bin, ist mir der 11. September wieder begegnet und ich weiß, wie absolut surreal mir diese Tat vorkam. Als ich dann in den USA war und mir meine Gastmutter erzählt hat, dass auch sie enge Freunde im World Trade Center verloren hat, wurde mir das erste Mal richtig bewusst, was dieser Tag mit den USA und der ganzen Welt angestellt hat. 

Frau Meditation
(Beispielbild) Foto: max-kegfire / Getty Images via canva.com

Nadja, 42: Eingebrannt auf Ewigkeit. 

Ich war 22 Jahre alt und kam gerade aus der Berufsschule als dies passiert ist. Den Nachmittag verbrachte ich nur noch vorm Fernseher und konnte mich nicht mehr loseisen. Es war so unfassbar tragisch, wie man live im Fernsehen den Anschlag des zweiten Flugzeuges sehen konnte. Die Bilder sind auch gerade im jetzigen Moment wieder im Kopf. Die Frage, warum ich mich noch so genau an diesen Tag erinnern kann, ist wirklich spannend. Eingebrannt auf Ewigkeit. 

Das ist Anika.

Anika, 22: Das Gesicht vom Fernseher wegdrehen

Ich war erst 3 Jahre alt, als das schreckliche Unglück passierte. Natürlich kann ich mich selbst nicht genau daran erinnern, wie es mir ging und was geschehen war. Doch meine Mama hat mir weitaus später genau erzählt, wie sie sich gefühlt hat, weshalb es sich so anfühlt, als wären ihre Erinnerungen nun auch meine. Wir saßen vor dem Fernseher und meine Mama hat mich ganz fest an sich gedrückt und geweint, mein Gesicht die ganze Zeit vom Fernseher weggedreht. Sie meinte später zu mir, dass sie Angst hätte, die Welt würde nun in Chaos versinken und ihr kleines Kind mittendrin. Sie hatte schreckliche Angst, wie die Zukunft nun aussehen würde und wie genau ein Kleinkind in dieser Zukunft Platz hätte. 

Jahre später war ich dann zusammen mit meiner Mama in New York und wir haben das 9/11 Memorial besucht, um den Verstorbenen und den Opfern unseren Respekt zu zollen. Mit ihr gemeinsam dort zu sein, nach all den Jahren, war ein unglaubliches Gefühl. Wir standen mit Tränen in den Augen dort und waren für einige Minuten einfach nur still und dankbar, dass wir nach all der vergangenen Zeit die Möglichkeit hatten, diese Menschen und dieses Unglück vor Ort zu betrauern. Es war ein Moment, den ich nie vergessen werde. 

Das ist Jegan.

Jegan, 35: Einfach surreal

Ein surrealer Tag. Ich war damals 16. Nach der Schule bin ich in einen Elektrofachhandel gegangen um mir Fernseher anzuschauen. Diese befanden sich in der zweiten Etage. Als ich mit der Rolltreppe hochfuhr blickte ich auf eine sich aufbauende Wand von Großbildfernsehern die denselben Film abspielten. Oben angekommen schaute ich auf die riesige Landschaft von Fernsehern und fragte mich was das für ein Actionfilm sei, bis ich das Logo eines deutsche Nachrichtensenders und einen bekannten deutschen Nachrichtensprecher erkannte. Da wurde mir schlagartig bewusst, dass es sich um ein geschichtsträchtiges Ereignis handelte. 

Frau Telefon lächelt
(Beispielbild) Foto: IMAGO/ Westend61

Hannah, 39: Was bleibt, ist bis heute Fassungslosigkeit. 

Ich kann mich noch sehr gut an den 11. September 2021 erinnern. Ich war 19 und steckte mitten im Abitur. Ich legte mich nach der Schule für ein paar Minuten hin und zappte zu dieser merkwürdige Game-Show Der schwächste fliegt auf RTL, als plötzlich Anchorman Peter Klöppel auf dem Bildschirm erschien und die Breaking News verkündete. Zwei Flugzeuge seien in die Türme des World Trade Center geflogen. Ich saß wie gebannt vor dem Fernseher, sah Explosionen, Rauch, springende Menschen.

Eine unwirkliche Szenerie. Auch Stunden später war ich nicht vom TV wegzubekommen. Es war für mich das erste Mal, dass ich an einer Sache, die live passierte, so teilhaben konnte. Und da damals unser Internet unfassbar lahm war und Newsseiten auch noch nicht so schnell lieferten wie heute, musste das Fernsehen als einzige Informationsquelle herhalten. Warum es letztlich so in Erinnerung geblieben ist, liegt wahrscheinlich in der Natur der Sache: Die Folgen des Terroranschlags waren direkt sichtbar: Das Wahrzeichen New Yorks brannte und stürzte schließlich ein. Tausende Menschen starben in den Trümmern. Was bleibt, ist bis heute Fassungslosigkeit. 

Das ist Anni.

Anni, 28: Ein Bild wie beim Kabuler Flughafen

Ich erinnere mich nur sehr schemenhaft an diesen Tag. Ich ging zur Grundschule bei uns im Ort und wir wurden plötzlich alle nach Hause geschickt, soweit ich mich erinnere. Zu Hause war aber niemand, meine Eltern haben beide gearbeitet. So kamen die Bilder erst am Abend, als die Tagesschau eingeschaltet wurde. Ich erinnere mich an die Menschen, die man hat aus den Fenstern fallen sah wie kleine, leblose Fliegen. Ein Bild, das zuletzt bei den Berichten vom Kabuler Flughafen durch die Taliban wieder wachgerüttelt wurde. Ich denke, damals war ich zu klein, um zu verstehen, was da passiert ist. Aber ich erinnere mich an eine ganz tiefe Trauer in mir – und an meine akute Flugangst, die bis heute geblieben ist. 

dana neumann
Das ist Dana.

Dana, 39: Bei 9/11 war ich in der Schule

Ich weiß tatsächlich gar nicht mehr genau, was ich bei 9/11 gemacht habe, bevor mir die Ereignisse bewusst geworden sind. Ich war auf jeden Fall in der Schule. Als ich nach Hause gekommen bin, habe ich den Fernseher angemacht und es liefen die Nachrichten auf RTL.

Ich glaube es hat eine Weile gedauert bis ich verstanden habe, was da gerade genau passiert, die nächsten Stunden saß ich auf jeden Fall vor dem TV und hab versucht, die gezeigten Bilder zu verarbeiten. Absolut surreal. 

Das ist Arabella.

Arabella, 28: Unter Tränen am Fenster

Ich erinnere mich nur noch schwach an den Tag. Acht Jahre alt muss ich gewesen sein und ich weiß noch, dass ich so verwundert darüber war, dass um diese Uhrzeit fast auf allen Sendern der gleiche Actionfilm lief. Was passiert ist und warum meine Mama wie gebannt und unter Tränen vor dem Fernseher stand, das habe ich damals noch nicht verstanden.  

Siebzehn Jahre später flog ich nach New York und besuchte das 9/11 Memorial und ich glaube erst da wurde mir so richtig klar, was an diesem Tag überhaupt passiert ist. Ich konnte die ganze Führung lang nicht aufhören zu weinen und hatte noch lange nach meinem Aufenthalt in New York die Bilder und Stimmen der Menschen im Kopf, die in meiner Kindheit nichts anderes waren als Schauspieler:innen in einem Actionfilm. 

Warum erinnern wir uns alle so gut an 9/11?

Die Erinnerung wird in das Kurz- und das Langzeitgedächtnis unterteilt. Der Tag von 9/11 wurde für immer in unser Langzeitgedächtnis abgespeichert. Seit Platon sich um Jahr Null das erste Mal eingehend mit dem menschlichen Gedächtnis beschäftigte, ist der Mensch der Frage auf der Spur, wie es funktioniert.

Wir wissen heute, dass das Gedächtnis uns ein Schnippchen schlagen kann, wenn es will. Oft erinnern wir uns zwar an ein Ereignis, doch wir erinnern uns nicht ganz richtig. Unser Gedächtnis erfindet einfach etwas dazu oder lässt etwas weg. So ist es durchaus möglich, dass unsere Erfahrungsberichte, die wir dir oben gezeigt haben, von den eigentlichen Geschehnissen des Tages 9/11 abweichen können.

Unser Gedächtnis ist aber nicht nur manchmal ein Betrüger, es ist auch dafür zuständig, dass wir nicht verrückt werden. Wenn wir uns an alles erinnern, würden wir wahrscheinlich sehr schnell verrückt werden. So erinnern wir uns nur an die Dinge, die sich maßgeblich in unser Gehirn eingebrannt haben. Was uns wichtig ist, bleibt. Was unwichtig ist, wird herausgefiltert.

Allerdings werden negative Erinnerungen oft weniger präsent abgespeichert. Sie können sogar komplett verdrängt werden.

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In unserem Podcast „Wein & Weiber“ sprechen wir über Grenzerfahrungen.

Sinnesansprüche bei 9/11

Je mehr Sinne bei einem Ereignis angesprochen werden, desto einfacher und prägnanter kann man sich an sie erinnern. Wer in einer Situation den Seh-, Tast-, Geruchs-, Geschmacks- und den Hörsinn aktiv beansprucht, dem wird sich eine Erinnerung eher einprägen als der, der weniger Sinne ansprechen musste. 9/11 war für uns alle ein großer Schock. Dieser wurde durch alle unsere 5 Sinne befeuert:

  • Sehnsinn: Wir haben es im Fernsehen geschaut.
  • Hörsinn: Wir haben direkt mit anderen über die Katastrophe gesprochen.
  • Tastsinn: Wahrscheinlich haben wir bei den schrecklichen Bildern sogar Gänsehaut gehabt.
  • Geruchs- und Geschmackssinn: Auch wenn diese beiden Sinne nicht aktiv durch 9/11 getriggert werden, können sie dennoch passiv ausgelöst werden. Durch aufregende Ereignisse werden alle anderen Sinne geschärft.

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