Eine Schlampe im Bett und eine Heilige am Herd. Noch immer gibt es (misogyne*) Männer, die hierin das Idealbild einer Frau sehen. Und in etwa mit dieser Beschreibung ließe sich der Madonna-Hure-Komplex aufs Einfachste runterbrechen. Das wirft bei dir eher Fragezeichen als Aha-Momente auf? In diesem Artikel verrate ich dir, was genau hinter dem Begriff steckt und wieso manche (!) Männer so denken.
*misogyn = frauenfeindlich
Was dich in diesem Artikel erwartet
Was steckt hinter dem Madonna-Hure-Komplex?
Frauen wissen um die Ansprüche, die tagtäglich an sie gestellt werden. Wir sollen waschen, kochen, putzen und dabei am besten scharf aussehen – aber bitte nicht zu viel Make-up, das kommt billig. Wir sollen rein, brav, treu und liebevoll sein und bitte auch eine wahre Sau im Bett – aber Vorsicht: Sind wir zu gut, kommt der Verdacht auf, wir hätten etwas zu viel Übung.
Frauen leben in einer männerdominierten Welt, die selbst das dickste Lexikon uns nicht erklären könnte, so verquer sind die Ansprüche an uns.
Um diese Erwartungen nicht unkommentiert im Raum stehen zu lassen: Liebe Frauen, ihr müsst nur eines. Und zwar euch selbst und euren Ansprüchen gerecht werden. Was Männer von euch erwarten, sollte in euren Gedanken keinen Platz haben. You do you.
Eine Theorie Sigmund Freuds, die man kennen sollte
Aber weiter im Text. Denn manche Männer wollen gar nicht, dass eine Frau all ihre Wünsche erfüllt. Sie gehen die Sache getrennt an – und zwar dann, wenn sie vom Madonna-Hure Komplex betroffen sind. Der Begriff stammt aus der Psychoanalyse und wurde von Sigmund Freud begründet, als er sich über die psychische Impotenz ausließ.
Dahinter steckt nach Freud das Unvermögen eines Mannes, von einer Frau in einer liebevollen und engagierten Beziehung sexuell erregt zu werden oder diese Erregung über Jahre aufrechtzuerhalten. So setzt der Madonna-Hure-Komplex häufig ein, wenn ein Paar beispielsweise heiratet oder Kinder bekommt. Benannt wurde der Begriff so, da Männer, die von diesem Komplex betroffen sind, von diesem Tag an Frauen in zwei verschiedene Rollen einteilen: in Huren und in Madonnen. Die Heilige Madonna meint dabei Maria von Nazareth, die bekannterweise laut Neuem Testament die Mutter Jesu Christi war.
Betroffene sehen in einer Frau also entweder eine sexuell anziehende Sünderin oder eine liebenswerte Heilige. Erstere können sie nicht lieben, mit Letzterer können sie nicht schlafen. Damit gehen eine Degradierung und Objektivierung all jener Frauen einher, welche vom Mann als Hure erkoren werden. Die Heiligen werden dagegen emporgehoben und eine sexuelle Ader wird ihnen abgesprochen.
Wo Männer, die am Madonna-Huren Komplex leiden, lieben, haben sie kein Verlangen und wo sie Verlangen haben, können sie nicht lieben.
Sigmund Freud
Wenngleich zu Zeiten Freuds beschrieben, als Frauen noch klareren Rollenzuweisungen ausgesetzt waren, ist dieser Komplex auch heute noch anzuwenden. So meint unter anderem der klinische Psychologe Uwe Hartmann, dass der Komplex noch immer zahlreiche Patienten betreffe.
Welche Ursachen hat der Madonna-Hure-Komplex?
Um zu verstehen, woher der Komplex rührt, muss man auch mit weiteren Theorien Freuds vertraut sein. Zum Beispiel mit dem Ödipus-Komplex, der hierbei eine entscheidende Rolle spielt. Dabei geht es um die unterbewusste Angst vor dem Inzest mit der eigenen Mutter. Diese entstehe Freud zufolge in der späten Kindheit und sei eine ganz natürliche Entwicklungsstufe in der psychologischen und auch sexuellen Entwicklung eines Kindes. In dieser Zeit würden sich Söhne in ihre Mütter verlieben und Töchter in ihre Väter. So verrückt diese Theorie auch klingen mag: Zahlreiche spätere Psychologen knüpften an die Theorie an und betonten, dass hierin der Grund für den Madonna-Hure-Komplex liegen müsse.
Aber wie kommt es nun dazu, dass betroffene Männer Frauen in die zwei Lager aufteilen? Vor allem Männer, die eine kalte und strenge mütterliche Erziehung bekamen, würden nun im Erwachsenenalter nach einer Frau suchen, die ihnen das gibt, was sie in ihrer Erziehung nie bekamen: mütterliche Liebe und Fürsorge.
Da sie mit dieser idealen Frau mit mütterlichen Qualitäten allerdings niemals schlafen würden bzw. aufgrund von inzestuösen Ängsten keine sexuellen Fantasien mit ihr ausleben würden, kommt es zu dieser Spaltung. Sex holen sich Betroffene lieber von Frauen, die sie als Sünderin abstempeln und zahlen dafür auch gerne gutes Geld. Beim Madonna-Hure-Komplex geht es also nicht darum, dass Frauen Männer nicht sexuell befriedigen können, sondern darum, dass das Begehren bei „heiligen Frauen“ gar nicht erst entsteht.
Welche Probleme bringt das mit sich?
Betroffene des Madonna-Hure-Komplexes idealisieren die eigene Partnerin ohne Ende. Sie setzen also völlig unrealistische Erwartungen an ihre Frau, die ihnen das geben soll, was sie in ihrer Kindheit nie bekamen. Dass dieses Verhalten Partnerschaften und Ehen auf Dauer belastet, zu Unverständnis, Streitigkeiten und Scheidungen führt, liegt auf der Hand. Das Problem: Betroffene sind sich meist nicht im Klaren darüber, dass der Madonna-Hure-Komplex bei ihnen greift und auch Frauen wissen nicht, welchen Ansprüchen sie genügen sollen.
Der Komplex hat zur Folge, dass Männer ihre Partnerin nicht sexuell begehren und sich vor intimer Nähe fürchten. Das führt dazu, dass ihre Sexualität deutlich beeinträchtigt ist. Das konnte im Übrigen auch eine Studie aus dem Jahr 2019 beweisen, die im Psychology of Women Quarterly erschien. Zudem konnte diese aufzeigen, dass der Komplex vor allem in Gesellschaften auftritt, die das Patriachat unterstützen.
Der Madonna-Hure-Komplex ist auch ein Problem der Gegenwart
Zugegeben: Die Theorien Freuds sind mit Vorsicht zu genießen und muten teilweise etwas befremdlich an. Dennoch sind sich Wissenschaftler:innen einig, dass auch viel Wahres in ihnen steckt. Ich für meinen Teil nehme eine wichtige Information aus dem Madonna-Hure-Komplex mit: Das Patriarchat schadet nicht nur uns Frauen, sondern letztlich auch den Männern. Und wie denkst du über die Theorie?
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