Jede Woche lassen wir uns bei wmn von einer besonderen Frau beeindrucken und inspirieren. Lena Jüngst ist Gründerin, Innovatorin und Vollzeitvisionären; und genau deswegen ideal als weekly heroine. Wenn jemand Business, Nachhaltigkeit und Trend verbindet, dann sie.
Lena hat ein Unternehmen aus dem Boden gestampft, das seinesgleichen sucht: Erst im Sommer 2019 wurde das Startup air up gegründet, in dem Lena Jüngst Co-Founderin und Chief Evangelist ist. Heute arbeiten dort 70 Mitarbeiter:innen, die bereits mehr als 400.000 Produkte verkauft haben und ganz nebenbei den Getränkemarkt revolutionieren.
Was ist air up überhaupt?
air up ist gerade dabei das Wassertrinken zu revolutionieren: Wir trinken Wasser, haben aber das Gefühl ein süßes Getränk zu konsumieren. Die Innovation besteht aus den nachhaltigen Flaschen und den sogenannten „Duftpods“. Man füllt normales Leitungswasser in die Flasche und steckt oben einen Duft seiner Wahl auf. Beim Trinken schmeckt man dann nicht mehr nur das Wasser, sondern nimmt auch den Duft als Geschmack war.
Klingt unglaublich? Ist es aber nicht. Lena Jüngst erklärte wmn im Interview, wie das sogenannte „retronasale Schmecken“ funktioniert.
Lena Jüngst von air up, kurz & knapp
- Lena ist Gründerin, Produktdesignerin & Inspiratorin
- Ihre Firma air up revolutioniert gerade die Getränkebranche
- Während ihres Studiums hat Lena bereits den Prototypen für air up entwickelt
- Ihre Produkte sind nachhaltig, gesund & auch noch richtig sexy
- Zu ihren Investoren zählen Ralf Dümmel und Frank Thelen von “Die Höhle der Löwen“.
wmn: Die meisten, die das Produkt sehen, werden wahrscheinlich erstmal überhaupt nicht verstehen, worum es dabei geht. Was ist das Besondere an air up?
Lena: Das Krasse an air up ist, dass wir es geschafft haben, Wasser nur durch Duft zu aromatisieren. Das bedeutet, dass man keinen Zucker, Zusatzstoffe und so weiter zu sich nimmt – aber auch, dass das ganze System nachhaltiger ist als die Getränke, die man im Supermarkt mit Geschmack bekommt.
Der Gedanke dahinter war, dass wir die Bedürfnisse der Konsumenten beachten, indem wir ihnen ein gesundes Geschmackserlebnis bieten. Auch mit dem Produkt an sich respektieren wir die Umwelt, denn unsere Trinkflasche ist wiederbefüllbar und unsere Duft-Pods, die man oben auf die Flasche steckt, sind zu 100 % recycelbar.
Die Technologie dahinter ist echt abgefahren, obwohl das Prinzip an sich ganz simpel ist. Sie arbeitet mit dem, was wir aus unserer normalen Geschmackswahrnehmung auch kennen: Wenn wir Lebensmittel konsumieren, dann werden Aromen freigesetzt, die durch den Rachenraum hoch zu den Riechrezeptoren steigen.
wmn: Das nennst du retronasales Riechen?
Lena: Genau, so wird das genannt. Das retronasale Riechen macht etwa 80 % unserer Geschmackswahrnehmung aus. Nur ungefähr 20 % schmeckt man über die Zunge. Das wissen viele nicht: Nur süß, salzig, sauer, bitter und umami schmeckt man über die Zunge. Alles andere schmeckt man über die Nase.
Die Aufteilung unserer Geschmackswahrnehmung war den Menschen schon lange klar. Aber es war nicht klar, wie dieser Duft aufgenommen wurde. Man stellt sich vor, man hat eine Orange unter der Nase und dann riecht diese Orange besonders stark, weil du es durch die Nase einatmest. Das ist das orthonasale Riechen, was aber nicht so gut funktioniert. Denn damit atmest du den Duft nur ein und nimmst ihn nicht durch den Rachen auf.
Beim retronasalen Riechen nimmt man den Duft durch über den Rachenraum auf und atmet ihn durch die Nase wieder aus. Das ist ein viel intensiveres Geschmackserlebnis als das normale (orthonasale) Riechen.
wmn: Kann man den Geschmack von air up wirklich mit normalem Schmecken vergleichen? Habe ich das Gefühl eine Coca Cola zu trinken, wenn ich air up-Cola trinke?
Lena: So ganz kann man es nicht vergleichen, denn die Grundgeschmäcker fehlen. Bei der Cola schmeckt man vor allem die Süße aus Zucker oder Süßstoffen, die man nur über die Geschmacksnerven in der Zunge aufnimmt. Diesen Geschmack wollen wir aber auch gar nicht ersetzen, stattdessen wollen wir Wassertrinken attraktiver und spannender machen.
wmn: Ihr probiert die verrücktesten Geschmacksrichtungen aus und experimentiert viel herum. Neben den ganzen Fruchtsorten gibt es Cola, Kardamom und zu Weihnachten gab es sogar mal Keksgeschmack. Was ist bis jetzt der verrückteste Geschmack?
Lena: Wir haben für eine Weihnachtsedition Eierlikör ausprobiert. Das hat komischerweise richtig gut funktioniert. Ich dachte, dass Eierlikör allein wegen des milchartigen Geschmacks nicht als Duftgeschmack funktionieren kann. Aber unsere Flavoristen haben das so gut hinbekommen, dass selbst ich erstaunt war.
Es ist aber sehr individuell, was jeder gut findet. Ich stehe auf Pfirsich, andere lieben Limette. Manche schmecken gar nicht so viel. Vor allem Raucher schmecken air up oft nicht so intensiv, weil sie eben nicht mehr so gut riechen können.
wmn: Kannst du mich einmal durch den Entstehungsprozess der air up Duft-Pods mitnehmen?
Lena: In jedem Duft-Pod stecken rein natürliche Aromen, die aus ausgewählten Früchten, Pflanzen und Gewürzen gewonnen werden. Jeder Geschmack ist eine einmalige Kreation. Die flüssigen Aromen werden dann auf einen Filter geträufelt, der den Duft speichert. Bis heute gibt es kein anderes System, das Düfte so verwendet wie wir.
Es gab also auch keinen Standardprozess, an dem wir uns hätten orientieren können, als wir das Projekt begannen. Wir kaufen auch Aromen ein, die in andere Getränke gemischt werden und entwickeln sie weiter. Manche Aromen schmecken nämlich komplett anders, als sie riechen.
Wir orientieren uns immer am Markt: Welche Aromen funktionieren, was ist gerade im Near Water Bereich hip und trendy und was sich unsere Kunden sich wünschen.
wmn: Noch keine große Getränkeherstellerfirma ist auf die Idee gekommen, das retronasale Riechen auszuprobieren? Woran liegt das deiner Meinung nach?
Lena: Wie retronasales Riechen mit unserer Geschmackswahrnehmung zusammenhängt, war im Fachbereich schon lange bekannt. Ich dachte es müsse schon sehr viele Unternehmen geben, die in diesem Bereich geforscht haben. Das hat aber offensichtlich nicht stattgefunden. Da gibt es bestimmt verschiedene Gründe für.
Beispielsweise ist in so großen Unternehmen der Freiraum für Kreativität nicht gegeben. Ich habe den ersten Prototypen von air up während meines Produkt-Design Studiums als Bachelor-Arbeit entwickelt und hatte ganz viel Zeit und Muße, um mich mit allen Tücken der Produktion und Finanzierung auseinanderzusetzen.
wmn: Die meisten Firmen nutzen Süßungsmittel wie Zucker und andere Stoffe, die uns abhängig von ihren Getränken machen. Von air up wird man wahrscheinlich nie abhängig werden, weil man einfach nur Wasser trinkt. Kann es sein, dass das auch ein Faktor ist, warum in der Richtung noch nicht geforscht wurde?
Lena: Ja, ich glaube schon. Unser Gedanke war tatsächlich: Wir wollen dem Konsumenten was Gutes tun. Wir waren vor allem begeistert von den Neurowissenschaften und wie Geschmack und Wahrnehmung zusammenhängen.
Dann haben wir uns bewusst für das Thema “moderne Ernährung” entschieden, denn das ist der größte Faktor, warum unsere Gesellschaft heute noch gefährdet ist. Die moderne Ernährung mit viel Fett und Zucker sorgt dafür, dass die Leute überall auf der Welt herzkrank werden, Diabetes bekommen und so weiter.
Während wir aktiv gegen diese Entwicklung arbeiten, haben große Firmen früher extra viel Zucker in die Produkte gemischt. Denn wenn die Leute einmal abhängig von Zucker sind, dann kaufen sie die Getränke nach. Je mehr Zucker reingemischt wird, desto schneller werden die Menschen abhängig. Mittlerweile findet aber auch bei den großen Konzernen ein Umdenken statt.
Doch man weiß oft nicht, wie man sich als Unternehmen nachhaltig und gesund positionieren und dabei trotzdem noch profitabel sein kann. Das ist eine schmale Gratwanderung.
wmn: Die Gratwanderung scheint ihr hinzubekommen. Ihr positioniert euch ja ganz clever: Ihr seid ein sehr hippes Unternehmen, die Produkte sehen aus wie Deko-Artikel, euer Instagram-Account ist mit Hipster-Models und coolen Fotoshootings übersät. Ist es eure Strategie, hip und trendy zu sein?
Lena: Klar wollen wir hip und trendy sein! Aber vor allem wollen wir zu einem gesunden und nachhaltigen Lifestyle inspirieren. Wir haben eine sehr junge Zielgruppe zwischen 18 und 34. Für uns ist es am sinnvollsten, online zu verkaufen, denn unsere junge Zielgruppe ist auch online unterwegs.
Außerdem wollen wir ja gerade die jungen Menschen dazu inspirieren, auf nachhaltige Getränkelösungen umzusteigen. Damit die jungen Leute das tun, müssen wir ihren Ansprüchen an Lifestyleprodukte gerecht werden.
air up funktioniert nach dem Prinzip des „Life-centered Design“. Darunter versteht man den Ansatz, dass Produkte nicht mehr nur den Ansprüchen der Menschen gerecht werden sollen, sondern auch unserer Umwelt und unserer Gesundheit zugutekommen.
air up erfüllt das menschliche Bedürfnis nach Geschmack und Genuss, will die Kunden aber nicht zu einem bestimmten Lebenswandel überreden oder zwingen sondern sie zu einem gesunden und nachhaltigen Lebensstil inspirieren.
wmn: Wird man euch auch bald in den Supermärkten finden oder findet ihr nur online statt?
Lena: Wir haben 3 Säulen: Unsere Website, Amazon und die Supermärkte. Im Offline-Handel ist es aber schwieriger an die Menschen heranzukommen, denn man muss sich ja erstmal mit dem Produkt beschäftigen. Sonst weiß niemand, was er da kaufen soll. Auf der Website ist es einfacher zu erklären, was air up überhaupt ist.
Im Supermarkt ist die Kommunikationshürde viel größer.
wmn: Wie sieht die Produktion aus? Was ist daran so nachhaltig?
Lena: Die Aromen werden hier in Deutschland von unserem Aromalieferanten angefertigt. Außerdem haben wir es bereits geschafft, innerhalb weniger Monate die Verpackungen unseres Startersets und der Duft-Pods noch kleiner und ressourcenschonender zu gestalten, um noch mehr Karton und Kunststoff einzusparen.
Die Produktion der Flasche ist aus produkttechnischen Gründen derzeit noch nach China ausgelagert, wir hoffen aber, dass wir nächstes Jahr schon einen Großteil in Europa fertigen können. Unser Anspruch war von Anfang an, die Produktion schnellstmöglich zu uns zu holen und die Transportwege zu verkürzen.
Frauen werden schon oft in die Marketing- oder Kommunikationsschiene geschoben.
wmn: Hattest du jemals damit zu kämpfen, dass du dich als Frau in der Businesswelt bewegst? Hast du je mit Diskriminierung zutun gehabt?
Lena: Frauen werden schon oft in die Marketing- oder Kommunikationsschiene hineingeschoben. Viele gehen davon aus, dass die Produktinnovation nichts mit mir zutun hat, sondern eher von den männlichen Gründern im Team.
Wir hatten einmal einen prominenten Investor bei uns im Büro, der mit unserem Finanzer ein Gespräch über mögliche Invests gesprochen hat. Als er aus dem Büro kam, stellte ich mich ihm vor. Er wusste wohl nicht, wer ich bin und sagte: “Du hast so ein Glück, dass du in dieser Firma arbeiten darfst.”
wmn: Oh, wie unangenehm. Und da musstest du ihm erstmal erklären, dass dir der Laden hier gehört?
Lena: Ich war viel zu perplex, um schlagfertig zu antworten. Im Nachhinein sind mir natürlich Tausende Dinge eingefallen, die ich hätte sagen können.
Obwohl es bei uns im Team überhaupt nicht so gehandhabt wird, gibt es immer noch große Vorurteile gegen Frauen in der Businesswelt. Nicht umsonst sind nur gut 15% der Gründer*innen Frauen. Ich denke, das liegt zu einem großen Teil daran, dass Männer die Investoren sind und lieber in andere Männer investieren würden.
wmn: Eine letzte Frage noch, Lena: Wie sieht die Zukunft aus? Inwieweit geht ihr noch weiter in die Forschung des retronasalen Riechens? Wie kann man das noch auf andere Bereiche ausweiten?
Lena: Im Moment konzentrieren wir uns vor allem auf neue Geschmacksrichtungen und Weiterentwicklungen der Flasche. Aber es gibt unfassbar viele Schnittstellen mit anderen Branchen. Ein Zahnarzt fragte beispielsweise nach, da bei Zahnbehandlungen der Patient oft mit unangenehmen Gerüchen zutun hat und die die Behandlungen umso schlimmer machen. Inwiefern man da mit retronasalem Riechen Abhilfe schaffen kann, ist noch nicht klar, aber es ist ein sehr spannendes Forschungsthema für mich.
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