Veröffentlicht inInsights

Waris Dirie: “Sie gehören zur Rechenschaft gezogen & hart bestraft.”

Waris Dirie: “Sie tun es aus Ignoranz, Dummheit, Respektlosigkeit vor Frauen & Geldgier.” Das exklusive Interview mit der Autorin des Buches Wüstenblume.

Waris Dirie
Waris Dirie bei der Premiere des Musicals Wüstenblume am 22.02.2020 Foto: ANDOGRAPHIE /

Waris Dirie ist eine der wichtigsten Feministinnen unserer Zeit. Mit ihrem Buch Wüstenblume macht sie seit 1990 auf die sexuelle Unterdrückung junger Mädchen und Frauen aufmerksam.

In ihrem Heimatland Somalia wird noch immer vielerorts von der barbarischen Methode der weiblichen Genitalverstümmelung (Englisch: Female Genital Mutilation) Gebrauch gemacht. Waris Dirie selbst war und ist Opfer dieses brutalen Vorgehens. Alles, was du über weibliche Genitalverstümmelung wissen musst, findest du hier.

Waris Dirie ist bereits unsere heroine of the week, denn diese Frau hat es nicht nur geschafft, sich aus der Unterdrückung heraus zu kämpfen. Sie macht mit zahlreichen Aktionen auf das Thema aufmerksam und rettet so Menschenleben. Alles über das Leben von Waris Dirie liest du hier nach.

Waris Dirie
Waris Dirie ist bereits unsere heroine of the week!

Waris Dirie im Interview

Das Buch Wüstenblume ist nun auch ein Musical. Im Rahmen der Promotion des Stücks gab Wairs Dirie der wmn-Redaktion ein exklusives Interview via E-Mail. Ihre Antworten sind kritisch und haarscharf – genau wie sie selbst auch!

wmn: Wie glaubst du kann Sexismus und Antifeminismus bekämpft werden?

Waris Dirie: Jedes Problem hat seine Wurzeln. Wir müssen bei der Erziehung unserer Kinder beginnen. Und da appelliere ich an Mütter und Väter. Ihr könnt unsere Welt ganz einfach gerechter machen, indem ihr Euren Kinder lehrt, dass alle Menschen gleiche Rechte und gleiche Pflichten haben. Das Mindeste ist den anderen Menschen mit Respekt und Liebe zu begegnen.

wmn: FGM wird unter dem Deckmantel des Islams praktiziert. Obwohl man weder im Koran, noch in den Sunnahs etwas über die weibliche Beschneidung findet, wird die Prozedur noch immer mit Allahs Wille gerechtfertigt. 

Waris Dirie: Für mich hat FGM hat nichts mit Religion zu tun. Begonnen hat dieses grausame Verbrechen an Frauen im alten Ägypten. Pharaone ließen untreue Ehefrauen zur Strafe genital verstümmeln. 

Heute wird FGM sowohl von Muslimen, als auch von Christen zum Beispiel in Ägypten, Äthiopien, Nigeria, Mali oder Sierra Leone und von den äthiopischen Juden praktiziert. FGM hat für mich nichts mit Religion, Kultur oder Tradition zu tun. Es ist ein brutales Verbrechen an unschuldigen kleinen Mädchen. Die Täterinnen gehören zur Rechenschaft gezogen und hart bestraft.   

Waris Dirie
Waris Dirie zu Tränen gerührt bei der Premiere ihres Musicals „Wüstenblume“.

wmn: Du bist in einer Nomadenfamilie in der Wüste Somalias aufgewachsen. Deine Familie ist sehr religiös und auch du hast die Lehren des Islam mit der Muttermilch aufgenommen. Wieviel bedeutet dir der Islam heute noch persönlich?

Waris Dirie: Ich glaube an keine der herkömmlichen Religionen. Wer Gutes tut, bekommt gute Energie zurück, wer Böses tut, wird mit schlechter Energie bestraft. Ich glaube, dass es eine höhere Macht gibt, aber ich glaube nicht an deren „selbsternannte Repräsentanten“ auf Erden und an das, was sie hier so alles seit Jahrtausenden verbreiten.  

wmn: Wie sieht es bei deiner Familie mit Religiosität aus?

Waris Dirie: Ein Teil meiner Familie ist religiös, ein Teil interessiert sich dafür überhaupt nicht dafür.  

wmn: In all den Jahren, in denen du bereits für FGM kämpfst, hast du unzählige Menschen mit dem Thema der weiblichen Genitalverstümmelung konfrontiert. In vielen Ländern (z.B. Somalia und Gambia) ist FGM bereits verboten worden. Wie konnten diese Erfolge erzielt werden und welche Maßnahmen versprechen den meisten Erfolg?

Waris Dirie: Bildung ist der einzige Weg FGM nachhaltig zu beenden. Deshalb investiere ich mit meiner Desert Flower Foundation in den Bau von Schulen und unterstütze Mädchen finanziell, damit sie dort auch hingehen können.

wmn: Wer war am schwierigsten davon zu überzeugen, dass FGM grausam ist und verboten gehört?

Waris Dirie: Meine Mutter.

Naomi Simmonds
Naomi Simmonds spielt die junge Waris im Musical „Wüstenblume“.

wmn: Gab es viele Menschen, die auf ihrer eigenen Meinung beharrt haben und sich nicht überzeugen ließen? 

Waris Dirie: Am Anfang war es sehr schwer. Man hat mir vorgeworfen, dass ich in mit meinem Kampf gegen FGM „Kultur“ und „Tradition“ verraten würde, mich gegen die „Religion“ stellen würde.

Es hat einige Zeit gedauert, bis die Menschen verstanden haben, dass ich gegen ein abscheuliches Verbrechen kämpfe und nicht gegen Kultur, Religion oder Tradition.

wmn: Welche Argumente werden für die Ausübung weiblicher Beschneidungen herangezogen?

Waris Dirie: Es gibt viele lächerliche und idiotische Argumente. In Wahrheit geht es den Befürwortern um die totale sexuelle Kontrolle der Frau. Und nur darum. Schande über sie!

wmn: Wie viel wissen deine Kinder über das, was dir zugestoßen ist?

Waris Dirie: Meine Kinder kennen meine ganze Geschichte.

wmn: Statistiken zufolge geht die Zahl der weiblichen Beschneidungen in afrikanischen Ländern zurück. In westlichen Ländern ist die Tendenz jedoch steigend. Wie erklärst du dir das?

Waris Dirie: In Afrika geht die Zahl der von FGM bedrohten Mädchen in der Altersgruppe unter 14 Jahre dramatisch zurück. Immer mehr junge Mütter und Väter lehnen diese grausame Praxis ab und lassen ihre Töchter nicht mehr beschneiden. 

Die letzte große Studie, die weltweit alle Studien über FGM gesammelt und verglichen hat und die im renommierten British Medical Journal veröffentlicht wurde, weist nach, dass alleine in Ostafrika die FGM Rate von über 80% 1998 auf nun nur mehr 8% 2018 gesunken ist. Dies ist ein großer Erfolg und macht mich glücklich und stolz.

In Europa, Nordamerika, Australien und Südostasien scheint sich FGM wie ein Virus auszubreiten. Leider gibt es keine verlässlichen Studien, sondern nur Schätzungen.   

Kerry Jean
Kerry Jean spielt die erwachsene Waris Dirie im Musical „Wüstenblume“.

wmn: Du klagst an, dass Länder und Institutionen wie die Vereinten Nationen viel zu wenig Aufklärungsarbeit leisten. Vielerorts ist FGM noch immer lautlos. Was glaubst du wäre der beste Weg, um die Welt verstehen zu lassen, wie schwerwiegend das Problem tatsächlich ist. 

Waris Dirie: Die Menschen wissen heute überall auf der Welt über FGM Bescheid und über die schweren gesundheitlichen Folgeschäden, unter denen FGM Opfer leiden. Die, die FGM trotzdem praktizieren, wissen, dass sie eine Straftat begehen. 

Denn FGM ist in fast allen Ländern dieser Welt verboten. Sie wissen ganz genau, was sie den Mädchen antun. Sie tun es aus Ignoranz, Dummheit, Respektlosigkeit vor Frauen und Geldgier, denn für ein nicht beschnittenes Mädchen gibt es in manchen rückständigen Communities und Steinzeit-Clans keinen Brautpreis.

wmn: Deine Autobiografie Wüstenblume wurde bereits zu einem Blockbuster. Jetzt gibt es auch noch ein Musical, das 2020 im Theater St. Gallen aufgeführt wird.

Wieso hast du dich dazu entschieden, Wüstenblume als Musical erscheinen zu lassen? Ist es nicht ein viel zu fröhliches und buntes Format für eine so schwerwiegende Geschichte?

Waris Dirie: Musik ist die Sprache, die wir alle verstehen und über Theater lassen sich Botschaften und Informationen spielerisch vermitteln. Musical ist die perfekte Form, um meine Mission und meine Botschaften Menschen, egal aus welchem Kulturkreis sie kommen, zu vermitteln.

Beim Musical  „Wüstenblume“ geht es aber um viel mehr als um FGM.

Mit dem Musical „Wüstenblume“ will ich Frauen und Mädchen auf der ganzen Welt ermutigen, ihre Träume zu leben, ihre Ziele zu verfolgen und niemals aufzugeben, egal was andere Menschen sagen, egal welche Hürden es zu überwinden gibt. 

Ihr müsst nur an Euch glauben und ihr werdet es schaffen!     

wmn: Wie sehr warst du in die Entstehung des Musicals involviert? Haben die Regisseure und Schauspieler eng mit dir zusammengearbeitet?

Waris Dirie: Ich bin laufend über die Entwicklung des Skripts und der Musik informiert worden, war bei den Proben und in Studios immer wieder dabei. Unser „Wüstenblume“ Musical-Team hat großartig gearbeitet und ein phantastisches Stück auf die Bühne gestellt. Ich bin sehr glücklich!!  

Waris Dirie
Waris Dirie hätte sich das Stück nicht besser wünschen können.

wmn: Gibt es eine Szene im Stück, die dir am wichtigsten ist?

Waris Dirie: Alles ist wichtig und von den Schauspielerinnen grandios umgesetzt.

wmn: Warst du mit einer Idee oder einer Umsetzung im Musical nicht einverstanden?

Waris Dirie: Nein, es hat alles perfekt gepasst.

wmn: Wieso führt ihr das Stück in St. Gallen (Schweiz) auf deutsch auf? Wäre es nicht besser am Broadway aufgehoben?

Waris Dirie: Werner Signer, unser Schweizer Produzent war einfach schneller als andere, die auch über eine Produktion nachgedacht haben. Er hat ein großartiges Konzept und ein solides Budget vorgelegt. Seine „Wüstenblume“ Produktion kann sich international sehen lassen und wird ganz sicher auch am Broadway gezeigt.

wmn: Das Musical ist jetzt in trockenen Tüchern und du hast wieder Zeit, dich anderen Dinge zu widmen. Was planst du als nächstes zu tun?

Waris Dirie: Als Nomadenmädchen hatte ich immer eine starke Bindung zur Natur und zu Mutter Erde. Mutter Erde steckt in argen Schwierigkeiten und diese werden wir immer öfter und immer stärker zu spüren bekommen. Ich bin davon überzeugt, dass nur wir Frauen die Welt retten können und auch retten werden. Bei meinem nächsten Projekt wird es genau darum gehen.

Wüsenblume
Der komplette Cast und die Produzenten des Musicals „Wüstenblume“.

Mehr Feminismus gefällig? 

Diese Feministinnen aus Deutschland sollte jeder kennen! Lerne auch unsere weekly heroines Margarete Stokowski und Sophie Passmann kennen!