In unserer Reihe Corona-AlltagsheldInnen sprechen wir mit Menschen, die die Coronakrise auf eine ganz besondere Art erleben. Für jeden von uns hat die Krise riesige Einschränkungen im täglichen Leben und im Arbeitsalltag mit sich gebracht. Gerade deswegen ist es umso wichtiger, dass auch die Menschen zu Wort kommen, die sich gerade noch mehr als sonst den Hintern aufreißen und einen einigermaßen normalen Arbeitsalltag herstellen wollen.
Wertevermittlung ist Coronakrise: Was ist jetzt wichtig?
Journalisten haben während der Krise besonders viel zu tun gehabt. Ständig gab es neue Informationen und Meinungen, die es darzustellen gab. Viel zu oft haben wir es in der Krise mit Fehlinformationen und falschen Theorien zu tun, die es auszuhebeln gilt. Düzen Tekkal ist Journalistin, Autorin, Kriegsberichterstatterin und Menschenrechtsaktivistin. Ihr Job normalerweise? Wichtig. Ihr Job während der Coronakrise? Noch viel wichtiger.
Corona-AlltagsheldInnen: Düzen Tekkal
Düzen Tekkal ist vieles: Als Tochter einer 13-köpfigen jesidisch-kurdischen Familie hat sie sich zu einer bissigen und passionierten Unternehmerin hochgekämpft. Aufgrund ihrer Wurzeln setzt sie sich für eine bessere Wahrnehmung ethnischer Minderheiten in Deutschland ein und gründete die Organisation #GermanDream, die sich für die richtige Wertevermittlung innerhalb Deutschlands stark macht. Sie kämpft für die Freiheit, immer und überall.
wmn: Düzen, kannst du mir erklären, was der #GermanDream ist und was die Organisation tut?
Düzen Tekkal: #GermanDream ist eine Bildungsinitiative, die ich ins Leben gerufen habe. Das ist auf tiefen persönlichen und emotionalen Gründen passiert, denn ich habe das Gefühl, dass wir in Deutschland zwar frei leben können, aber dennoch Hilfe beim Vermitteln unserer eigenen Werte brauchen.
Und da dachte ich: Wir müssen das einfach selber machen. Ich bin in einer jesidisch-kurdischen Großfamilie aufgewachsen und habe 10 Geschwister. In meinem Heimatland hätte ich nie die Chancen wahrnehmen können, die ich hier in Deutschland genossen habe. Die Freiheiten, mich so zu entwickeln, wie ich will, ist ein großes Privileg.
Das ist mein persönlicher #GermanDream, der bereits in Erfüllung gegangen ist. Mit der Organisation #GermanDream will ich auch andere Menschen zu Wort kommen lassen und dafür sorgen, dass ihre Geschichten gehört werden.
wmn: Unter anderem sind Prominente wie Sara Nuru und Jasna Fritzi Bauer als Wertebotschafterinnen für euch dabei.
Wie werden denn die Werte an die SchülerInnen herangebracht?
Düzen Tekkal: Das Konzept sieht so aus: Wir haben einige WertebotschaftlerInnen, die ihre persönlichen Erfahrungen, ihren eigenen German Dream teilen. Wir gehen in Schulen, um dort in einen Dialog mit den Menschen zu treten.
Dabei geht es nicht nur darum, schreckliche Geschichten von Gewalt und Krieg zu erzählen. Natürlich müssen wir diese Themen adressieren, denn wir haben in Deutschland noch immer große Probleme mit Antisemitismus und Rassismus, wir müssen wissen, wie man damit umgeht. Doch es können und dürfen auch durchaus positive Erzählungen sein. Beispielsweise wenn Integration oder Inklusion wunderbar funktionieren.
Als Journalistin weiß ich ganz genau, dass sich vor allem schlechte Geschichten besser verkaufen. Die Menschen lechzen nach negativen Geschichten. Aber ich habe mir gedacht: Die positiven Geschichten sind es genauso wert, erzählt zu werden. Deswegen gehen wir in sogenannte Wertedialoge, die dabei helfen können, die richtigen und modernen Werte verständlicher und erklärbarer zu machen.
wmn: Wie funktionieren die Wertedialoge denn in der Coronazeit?
Düzen Tekkal: Vor Corona haben wir das alles natürlich vor Ort gemacht. Doch seitdem alle im Homeoffice sind, mussten wir auch auf Remote-Work umstellen. Zum Glück sind wir da flexibler als die meisten Schulen und können alles auch online anbieten. Es ist natürlich etwas anderes, vor Ort bei den Menschen zu sein, doch im Grunde funktionieren die Gespräche ähnlich. Wir wollen vermitteln, dass die Menschen stolz auf Deutschland sein dürfen. Denn Patriotsísmus an sich ist ja nichts Schlechtes. Nur müssen wir den schlechten vom guten Patriotismus unterscheiden.
wmn: Und wie unterscheidet man schlechten von gutem Patriotismus?
Düzen Tekkal: Alles was völkisch ist, ist schlechter Patriotismus. Dort, wo der Patriotismus aber dazu führt, dass wir weltoffener werden und unsere Werte mit denen anderer Länder verknüpfen und zusammenbringen, wird Patriotismus zu etwas Schönem. Wir dürfen nicht vergessen, dass Kulturen sich unterscheiden, aber genauso wenig, dass keine wertiger ist als die andere.
Während wir über Werte sprechen, werden immer wieder einige Menschen vergessen. Denn manche sind lauter und andere werden einfach überhört. Dabei ist es so wichtig, dass wir auch den Stillen zuhören.
In Deutschland haben wir das Grundgesetz, welches das wichtigste Papier überhaupt ist. Jedes Land sollte und muss sich auf die Menschenrechte, die im Grundgesetz verankert sind, verlassen können.
wmn: Seit dem Beginn der Coronazeit melden sich immer wieder laute Stimmen zu Wort, die sich in ihren Grundrechten eingeschränkt fühlen.
Viele sind der Meinung, dass zum Beispiel durch das Infektionsschutzgesetz unsere Freiheit beschnitten wird.
Wie stehst du als Verfechterin der Freiheit dazu?
Düzen Tekkal: Gerade in der Coronakrise sehen wir, dass der öffentliche Diskurs über diese Werte in eine völlig falsche Richtung abdriftet. Die neuen Regeln, die uns seit dem Lockdown verfolgen, sind natürlich für alle Menschen einschränkend und schlimm.
Doch wir müssen versuchen, das in die richtige Perspektive zu setzen und relativ zu sehen. Dankbarkeit ist hier das Stichwort. Die meisten Menschen in Deutschland sind in der Krise wahnsinnig priviligiert. Wir haben ein Dach über dem Kopf, genug zu essen, viele können weiterarbeiten oder werden vom Staat unterstützt. Wenn wir das mit den Menschen vergleichen, die seit Beginn der Krise noch tiefer in die Existenzangst und die Überlebensangst reingerutscht sind, werden wir schnell viel stiller.
wmn: Also haben wir eigentlich nur Erste Welt-Probleme?
Düzen Tekkal: Schon. Wer beim Einkaufen eine Maske tragen soll und sich damit in seinen Grundrechten eingeschränkt fühlt, der hat es definitiv mit First World Problems zutun.
Aber ganz so einfach ist das auch wieder nicht. Denn durch die Krise haben sich ja auch psychische Probleme wie Depressionen viel weiter herauskristallisieren können und das ist definitiv kein Erste Welt-Problem.
wmn: Themenwechsel: Du bist Kriegsreporterin, Journalistin, Filmemacherin UND Chefin eines Unternehmens mit mittlerweile 30 MitarbeiterInnen.
Ist es dir schon einmal passiert, dass dir als Frau dabei Steine in den Weg gelegt wurden oder du es extra schwer hattest, dich in deinem Job zu behaupten?
Düzen Tekkal: Definitiv. Viele, viele Male.
Ich habe mich in eine sehr männerdominierte Arbeitswelt vorgewagt, in der Frauen einfach viel weniger stattfinden. Deswegen musste ich ein tough cookie, um mich nicht einschüchtern zu lassen.
Nehmen wir mal ein Beispiel: Als ich als Kriegsreporterin im Irak war, war die Rollenverteilung zwischen Frauen und Männern sehr eindeutig. Die der Aktiven, der Helfer, der Journalisten: Das waren alles Männer. Frauen gab es dort nur als Opfer des Krieges. Als ich dort ankam, konnte niemand etwas damit anfangen, dass ich kein Opfer war, sondern mich mit an den Tisch setzte, die Ärmel hochkrempelte und meine Arbeit tun wollte. Das sind sehr patriarchalische Strukturen, die nur schwer zu durchbrechen sind.
wmn: Und wie hast du da reagiert? Wie hast du es geschafft, dass man dich ernst nimmt?
Düzen Tekkal: Mit meiner Leidenschaft für die Sache. Ich lege so viel Herzblut und Passion in meine Arbeit, dass die Männer mich gar nicht ignorieren können.
wmn: Also würdest du sagen, dass man als Frau in einer solchen Situation noch viel mehr Passion und Arbeitsethos zeigen muss, um sich in der Männerwelt zu behaupten?
Düzen Tekkal: Ja, genau. Das ist leider so.
Du willst noch mehr Corona-AlltagsheldInnen kennenlernen?
Wie fühlen sich eigentlich LehrerInnen in der Coronakrise? Vor welchen Problemen stehen sie und wie schaffen sie es, sich selbst zu helfen?
Die Arbeit einer Arbeitsvermittlerin hat sich in der Krise um 180 Grad gedreht. Wir haben mit einer Ärztin, einem Psychologen, einer Apothekerin, der Polizei, Menschen aus der Veranstalungsbranche, Servicedienstleistern, Gastronmen und einer Politikerin gesprochen. Ihre Geschichten sind faszinierend.