Angst ist eine lebensnotwendige Emotion, die uns befähigt, zu kämpfen oder zu fliehen. Aber was passiert, wenn sie irrational wird und außer Kontrolle gerät? Wenn Menschen unter ihrer Angst leiden und zulassen, dass sie ihr Leben bestimmt, spricht man von einer Angststörung.
Im vorherigen Interview hat uns Dr. Greetfeld, Facharzt für psychosomatische Medizin, Psychotherapie, Psychiatrie und Psychotherapie, bereits erklärt, was sich hinter dieser psychischen Erkrankung verbirgt und warum sie wirklich jede:n von uns betreffen kann. In diesem Artikel folgt der zweite Teil des Interviews, in dem er erläutert, wie eine Therapie bei Angststörungen aussieht und wie vielversprechend sie ist.
Dr. Martin Greetfeld im Interview über die Therapie von Angststörungen: „Der Patient soll Selbstwirksamkeit erfahren“
Dr. Greetfeld ist Facharzt für psychosomatische Medizin und Psychotherapie sowie Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. Seit 13 Jahren arbeitet er an der Schön Klinik Roseneck. Er ist Chefarzt an der Schön Klink Roseneck in Prien am Chiemsee und der Schön Klinik Tagesklinik in München. In einem Telefoninterview stand er uns Rede und Antwort zum Thema der Angststörungen und ihrer Therapie…
wmn: Was sollten Menschen tun, die bemerken, dass die Angst sie fest im Griff hat? Ist eine Therapie bei Angststörungen immer vonnöten?
Dr. Greetfeld: Wenn wir davon ausgehen, dass jemanden die Angst schon fest im Griff hat, würde ich auf jeden Fall dazu raten, sich professionelle Hilfe zu suchen. Das beinhaltet ja, dass es erhebliche Auswirkungen auf die Lebensqualität hat.
Angst ist ein Symptom, das es bei ganz vielen psychischen Erkrankungen gibt. Auch Menschen mit Depressionen oder Zwängen haben Angst. Es lohnt sich also zunächst einmal zu gucken, was ist es denn eigentlich: Ist es eine Angststörung oder ist es eine andere psychische Störung?
Die zwei großen Behandlungsmöglichkeiten, die es gibt, sind psychotherapeutische und medikamentöse Ansätze. Insbesondere die psychotherapeutischen Ansätze haben das Ziel, dass man Experte für das eigene Problem wird und die Angst vor der Angst verliert. Das Stichwort hier: Abbau von Vermeidungsverhalten.
„Die Angst ist rein biologisch limitiert und flacht wieder ab.“
wmn: Welche Therapieform hat sich in ihren Augen am besten bewährt?
Dr. Greetfeld: Die Therapie der Wahl ist die kognitive Verhaltenstherapie. Da geht es darum, die Lernprozesse genau anzugucken und ein Umlernen zu ermöglichen. Das Stichwort lautet hier Exposition. Hierbei wird die Angst provoziert, indem bestimmte Situationen mit dem Therapeuten begleitet aufgesucht und provoziert werden. Der Patient erlebt die Angstattacke also begleitet.
Zumeist hegt der Patient den Gedanken, die Angst steigt ins Unermessliche und er wird das nicht überleben. Die Angst ist aber rein biologisch limitiert und flacht wieder ab. Wenn man es schafft, den Menschen dadurch zu begleiten und er merkt, es passiert nichts, folgt bei wiederholten Einheiten ein Umlernen. Das ist heftig für Therapeut und Betroffenen. Davon profitieren die Patienten aber sehr stark.
„Ich würde den Akzent aber auf die Psychotherapie setzen.“
Und zur medikamentösen Behandlung: Primär kann man Antidepressiva zur Behandlung von Angststörungen einsetzen. Das ist beispielsweise eine gute Option, wenn die Angststörung so stark ausgeprägt ist, dass man noch gar nicht an eine Psychotherapie denken kann, wenn der Patient es explizit wünscht oder wenn die Psychotherapie aus Versorgungssicht noch nicht verfügbar ist. Leider ist es Realität, dass es nicht überall Zugang zu Therapieplätzen gibt.
Ich würde den Akzent aber auf die Psychotherapie setzen. Immer mit dem Ziel, dass der Patient Selbstwirksamkeit erfährt. Dann kann er es von innen beeinflussen und nicht irgendein Medikament von außen. Dabei kommt es aber auch immer auf den Schweregrad an. Wenn jemand so eine starke Panikstörung hat, dass er überhaupt nicht mehr vor die Tür gehen kann, kann es sinnvoll sein, erst mal mit einer medikamentösen Behandlung zu starten und dann mit der psychotherapeutischen einzusteigen.
„Es kann sein, dass immer eine gewisse Verletzlichkeit im Bereich Angst bleibt.“
wmn: Können Angststörungen in der Therapie, insbesondere die Panikstörung nur behandelt oder auch geheilt werden?
Dr. Greetfeld: Es besteht eine wirklich gute Chance, bei einer adäquaten Behandlung eine Panikstörung auch ganz loszuwerden. Da besteht auch die Frage, woran macht man das fest? Ob nie wieder eine Panikattacke auftritt? Das kann zum Beispiel ein Zielkriterium sein.
Viele Menschen schaffen es, dass die Angstattacken erheblich weniger werden. Natürlich kann es immer auch mal wieder zu einem Angstzustand kommen. Da wäre dann der große Therapieerfolg, dass das nicht wieder dazu führt, dass die Betroffenen sich zurückziehen und die Situationen vermeiden.
Es kann natürlich sein, dass immer eine gewisse Verletzlichkeit im Bereich Angst bleibt. Der Heilungsbegriff ist generell schwierig. Es ist ja kein Knochenbruch, der wieder zusammenwächst. Vieles ist auch im Menschen angelegt und diese Veranlagungen sind auch nach einer guten Therapie nicht komplett weg.
Es geht bei der Therapie vor allem darum, die Menschen zum Experten eigener Sache zu machen und ihnen das richtige Handwerkszeug mitzugeben. Wenn sich die Angst also mal wieder meldet, sollen sie diese in ihre Schranken weisen können. Zum Beispiel kann man da präventiv arbeiten und den Betroffenen Entspannungsübungen an die Hand gaben, um das Anspannungsniveau im Körper zu senken.
„Ich wünsche mir, dass die Menschen sich frühzeitig Hilfe suchen.“
wmn: Was wünschen Sie sich zukünftig mit dem Blick auf Angststörungen für Ihre Patient:innen?
Wie bei vielen psychischen Erkrankungen ist mir vor allem das Thema Anerkennen als Krankheit wichtig. Also diese Erkrankungen raus aus der Stigma-Ecke zu holen und Bewusstsein dafür zu schaffen, dass die Menschen sich frühzeitig Hilfe suchen. Häufig schleppen sich Betroffene jahrelang rum und lassen die Einschränkungen immer größer werden. Je länger eine Angststörung allerdings besteht, desto schwieriger wird es, psychotherapeutisch etwas zu bewirken.
Das andere, was ich mir wünschen würde ist, dass die Patienten den Mut mitbringen, sich auf die Exposition einzulassen. Das ist natürlich keine angenehme Therapie, weil es hier zu heftigen Angstreaktionen kommt. Aber diese Form ist nicht nur wirksam, sondern man entwickelt sogar euphorische Momente, weil die Patienten wieder zurück ins Leben finden. Nur Mut also für die ersten Schritte, um wieder mehr Lebensqualität und weniger Einschränkungen zu haben!