In Texas gilt ab sofort die Regel, dass alle Abtreibungen nach der 6. Schwangerschaftswoche verboten sind. Es gibt keine Ausnahmen für Opfer von Inzest oder Vergewaltigung. Die Nachricht klingt für uns Europäer und Europäerinnen wie ein Schritt ins Mittelalter. Dabei müssen wir uns nur nach links und rechts umschauen, um die erschreckenden Rechtslagen zur Abtreibung in Europa zu erkennen. Und auch Deutschland hinkt noch hinterher.
Die europäische Rechtslage zur Abtreibung: Teils ähnlich schlimm wie Texas
Um dich kurz abzuholen: Texas hatte bereits vor einigen Monaten angekündigt, dass die Abtreibungsgesetze verschärft werden sollen. Mit der Heartbeat-Bill sind Abreibungen nur noch bis zur 6. Schwangerschaftswoche möglich. Das problematische ist dabei, dass viele Frauen nichts von ihrer Schwangerschaft wissen innerhalb der ersten sechs Wochen.
Denn eine Schwangerschaft wird immer ab dem Beginn der letzten Periode gezählt. Eine reguläre Periode geht 28 Tage. Vier Wochen also. Auch Schwangerschaftstests sind erst ab ca. vier Wochen zuverlässig. Frauen und Mädchen haben also 2 Wochen, um die Schwangerschaft zu erkennen und zu handeln. Frauen mit einem längeren Zyklus haben gar keine Chance, ihre Schwangerschaft überhaupt zu bemerken. Die US-Staaten Alabama, Georgia, Mississippi, Kentucky und Ohio ziehen hinterher. Besonders schlimm: In Texas gibt es bis zu 10.000 € für Menschen, die eine Abreibung anzeigen und viele Kliniken wurden geschlossen, in denen sichere Abtreibungen durchgeführt wurden. Aber wie ist die Rechtslage zur Abtreibung in Europa?
Rechtslage zu Abreibungen in Deutschland: geduldet, aber nicht legal
Schauen wir uns zuerst Deutschland an: Dass Abreibungen hier möglich sind, wissen wir alle. Was die meisten Deutschen nicht wissen: Legal ist sie nicht. Bis heute gelten Schwangerschaftsabbrüche als illegal, außer in bestimmten Fällen. Diese Ausnahmeregelungen erlauben eine Abreibung bis zur 12. Schwangerschaftswoche und auch darüber hinaus, wenn die medizinische Notwendigkeit gegeben ist.
Um einen Schwangerschaftsabbruch durchführen zu lassen, müssen Frauen und Mädchen in Deutschland einen langen Weg zurücklegen, der nicht immer transparent ist. Denn Frauenärzten und -ärztinnen dürfen zwar auf ihrer Website vermerken, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen (erst seit 2019!), doch die Methoden dürfen nicht aufgelistet werden. Das würde dann als „Werbung“ zählen.
Die Problematik an der jetzigen Situation ist Folgende: Das Gesetz, welches Abtreibungen als rechtswidrig einstuft, ist höher als das Gesetz, welches die Ausnahmeklauseln beinhaltet. Es kann also leichter gekippt werden, sollte eine Partei an die Macht kommen, die konservative Werte vertritt. Eine grundsätzliche Legalisierung unter bestimmten Voraussetzungen ist schon längst überfällig. Aber wir sind nicht das einzige europäische Land, was noch Nachholbedarf hat.
2020: Nordirland legalisiert Abtreibungen & ist Deutschland einen Schritt voraus
Noch bis 2018 war die rechtliche Lage zur Abtreibung in Irland und Nordirland gleich: Abtreibungen waren nur bei der gesundheitlichen Gefährdung von Kind oder Mutter erlaubt. Mehr als 700 nordirische Frauen sollen deshalb jährlich nach Großbritannien zu Abtreibungskliniken gereist sein.
Seit dem 31. März 2020 sind Abtreibungen legal und werden bis zur 12. Schwangerschaftswoche durchgeführt. Auch darüber hinaus ist ein Abbruch möglich bei gesundheitlichen Bedenken der Mutter oder des Kindes. Die Legalisierung kam allerdings nicht von der nordirischen Regierung, sondern wurde durch einen Volksentscheid festgelegt. Nordirland ist mit den neuen Regelungen weitaus progressiver als unsere Rechtslage in Deutschland.
In diesen Ländern sind Abtreibung (immer) noch illegal
Besonders katholisch geprägte Länder kriminalisieren den gewollten Schwangerschaftsabbruch noch, teils sogar bei traumatischen Erlebnissen wie Vergewaltigung! Diese Länder verstoßen damit sogar gegen die Menschenrechte der EU:
- Andorra: Hier dürfen Abbrüche nur bei akuter Gefahr für das Leben der Mutter durchgeführt werden.
- Liechtenstein: Lichtenstein hat 2014 die strafrechtliche Verfolgung von Frauen, die abgetrieben haben, eingestellt. Ärzt:innen ist es allerdings weiterhin untersagt, Abtreibungen vorzunehmen. Liechtensteinerinnen müssen in die Schweiz reisen, wenn sie sich für einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden. Grund für die Entscheidung ist maßgeblich der Fürst von Lichtenstein, der ein Veto gegen die Legalisierung von Abtreibungen aussprach.
- Monaco: Ein weiteres Fürstentum reiht sich in die Hall Of Shame: In Monaco ist seit 2009 ein Schwangerschaftsabbruch nur dann erlaubt, wenn die Gesundheit von Frau oder Fötus besteht, oder eine Vergewaltigung vorliegt. Die Voraussetzungen müssen von mindestens zwei Ärzt:innen bestätigt werden. Ein Schwangerschaftsabbruch bis zur 12. Woche wird nicht strafrechtlich verfolgt, sie werden aber nicht in Monaco durchgeführt. Frauen und Mädchen müssen dafür ins Ausland reisen.
- Malta: Hier ist Abtreibung, egal aus welchen Gründen, illegal. Ja, auch bei Minderjährigen und Vergewaltigungsopfern. Und auch wenn das Kind oder die Mutter sterben wird.
- Polen: In unserem Nachbarland Polen dürfen Schwangerschaftsabbrüche ebenfalls nur bei gesundheitlicher Gefährdung der Mutter oder sexuellen Gewaltdelikten durchgeführt werden .. theoretisch. Denn entsprechende Vorschriften existieren nicht und das Schicksal der Frauen liegt in den Händen von Ärzten und Staatsanwälten. Seit 2020 sind Abbrüche auch bei Fehlbildungen des Fötus nicht mehr erlaubt.
- San Marino: Auch im Kleinstaat San Marino sind Abtreibungen nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich. Seit 2016 darf die Mutter sich für einen Schwangerschafsabbruch bei Vergewaltigung, gesundheitlicher Gefahr oder Schädigung des Fötus entscheiden. Im September 2021 soll ein neues Referendum zur Rechtslage abgehalten werden.
Leider gibt es besonders in den europäischen Fürstentümern keine Aussicht auf die komplette Legalisierung von Abtreibungen. Hoffnung besteht für unser Nachbarland Polen durch die Richtlinien der EU. Allerdings muss die Bewegung aus dem Land selbst kommen. Bisher machte Polen besonders durch Negativschlagzeilen in Bezug auf Abtreibung und LGBTQ-Rechte auf sich aufmerksam.
Die europäische Rechtslage zur Abtreibung bleibt alles andere als vorbildlich
Wir feiern einen kleinen Schritt in die richtige Richtung: Zur Achtung der Menschenrechte jeglicher sexuellen Orientierung und zur Selbstbestimmung über den eigenen Körper. Trotzdem muss noch viel getan werden, um die Rechtslage zur Abtreibung überall in Europa und auch weltweit unserer Vorstellung von Menschenrechten anzupassen.