Meine Reise führte mich weiter nach Nord Wales. Der Plan: Einfach abschalten, drei Wochen auf dem Land ganz allein mit meinen Gedanken und mich einfach mal von dem hektischen Leben und Trubel in Berlin abschotten. Eine absolute Challenge auf eine Art und Weise von kompletter Reizüberflutung in die absolute Stille. Aber vielleicht ist das genau das, was der Kopf ab und zu braucht.
Nord Wales: Warum eine Gastfamilie die beste Option ist
Zugegebenermaßen: Komplett allein war ich natürlich nicht. Denn als ich aus dem Flugzeug stieg wartete meine Gastfamilie mit einem Schild mit meinem Namen auf mich – wie im Film. Jack und Megan* sind ein älteres Ehepaar aus Nord Wales. Vor einigen Jahren haben sie sich dazu entschieden, Menschen aus aller Welt zu hosten. Was man dafür tun muss? Etwas auf ihrem Grundstück für sie arbeiten. Tatsächlich muss die Suche einer Gastfamilie gut geplant sein. Ich hatte das Glück, dass eine Freundin von mir vor Jahren schon einmal bei Jack und Megan zu Besuch war und sie mir deshalb wärmstens empfohlen hat. Es gibt einige Websiten im Internet, die genau solche Gastfamilien mit Reisenden zusammenbringen, so beispielsweise auch workaway.info.
Ich habe mich sofort bei den beiden wohlgefühlt. Sie nahmen mich vom Flughafen mit dem Auto mit in ihr kleines Dorf. Auf dem Weg konnte ich beobachten, wie die Lichter der Stadt immer weniger wurden, die Straßen immer schmaler wurden und wir uns schlussendlich im Stockdunkeln wiederfanden. Ich kann mit großer Sicherheit sagen, dass ich noch nie in meinem Leben so viele Sterne auf einmal gesehen habe.
Stadtkind trifft auf Stille auf dem Land
Grundsätzlich kann ich sagen, dass ich mit meiner Gastfamilie das absolute große Los gezogen habe. Denn ich hatte mein eigenes Zimmer, musste am Tag insgesamt zwei Stunden für sie arbeiten und wir haben jeden Tag gemeinsam zu Abend gegessen. Und genau wie zu erwarten und wie man es sich vorstellt: In meinem Zimmer gab es kein Wlan. Ich hätte erwartet, dass das für mich ein Problem darstellen würde, denn so disconnected war ich schon seit Jahren nicht mehr. Doch ich habe es genossen. Es gab keinen Moment, in dem ich mich verloren gefühlt habe. Vielleicht lag es an der herzlichen Aufnahme der Gastfamilie, oder daran, dass ich wusste, meine Zeit auf dem Land ist begrenzt. Natürlich habe ich meine Freund:innen vermisst und der Kontakt zu Gleichaltrigen fehlte.
Doch langweilig war mir nicht. Jeden Tag standen Aufgaben für mich an, bei denen ich teilweise ein Stück über meine eigenen Grenzen hinaustreten musste. Natürlich bedeutet ein kompletter Tapetenwechsel von der Großstadt aufs Land ein Heraustreten aus der eigenen Komfortzone. Quasi ein Sprung ins kalte Wasser. Alles fing damit an, dass ich zunächst bemerkte, dass ich eigentlich körperlich gar nicht mehr für physische Arbeiten gemacht bin. Denn spätestens als ich mich mit Jack auf dem Kartoffelacker wiederfand und mit einer Harke das komplette Beet umgraben sollte bemerkte ich: Mein Rücken dankt es mir jetzt schon – mit meinen zarten 26 Jahren. Verwunderlich ist dies nicht, denn nach zwei Jahren Homeoffice dank der Pandemie war mein Körper natürlich nichts anderes gewöhnt als stundenlang sitzen.
Tatsächlich kann man es sich also genau so vorstellen: Das Stadtkind kommt aufs Land und ist zunächst völlig überfordert. Muskelkater hatte ich nach jedem Tag stärker als nach allen Home Workouts der letzten zwei Jahre. Doch das nahezu stumpfe Herumbuddeln im Beet, Unkrautzupfen oder Holzblöcke stapeln war meditativer als jegliche geführte Meditation auf gängigen Streaming-Plattformen. Denn tatsächlich konnte man von Jacks und Megans Grundstück meilenweit in die Berge schauen. Keine anderen Häuser weit und breit in Sicht. Und auch keine Geräuschkulisse, denn außer dem Zwitschern der Vögel, hört man dort nichts. Frische Landluft atmen, gemischt mit etwas Rauch, der aus dem Schornstein steigt.
Nord Wales: Mein Eat.Pray.Love-Moment
Am Anfang meiner Kolumne hatte ich mir nicht vorstellen können, dass ich auf meiner Reise irgendwann einen Moment hätte, in dem ich denke: Ja, genau das hier ist ein Eat.Pray.Love-Moment. Doch tatsächlich hatte ich diese Momente in Nord Wales fast jeden Tag. Egal ob es beim simplen Kuchenbacken war, auf meinen täglichen Spaziergang durch die Berge, beim Sitzen vorm Kamin mit einer Dokumentation über Wölfe, beim Streicheln der vier Pferde oder als Jack mir bis ins kleinste Detail auf dem Acker den Unterschied zwischen dem Anbau von normalen Kartoffeln und Süßkartoffeln erklärte.
In diesen Momenten realisierte ich: Das Leben kann so einfach sein. Fernab von allem sensorischen Überfluss, dem wir uns tagtäglich aussetzen ist meiner Meinung nach das Beste, was man tun kann, sich noch einmal auf die Kleinen Dinge im Leben zu fokussieren und im Moment zu leben. Und das geht manchmal nur ganz fernab der eigenen Komfortzone.
* Namen von der Redaktion geändert.
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