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our weekly heroine Josephine Apraku: „Wie können wir zu mehr Menschlichkeit kommen?“

Josephine ist in Berlin geboren und aufgewachsen und setzt sich seit zehn Jahren in Form von Bildungsarbeit für Diskriminierung und Rassismus ein. Mit uns hat sie darüber gesprochen, wie alltäglich Rassismus eigentlich wirklich ist.

Josephine Apraku
Mit Josephine Apraku haben wir über Alltagsrassismus gesprochen. Foto: Daham Choi

„Woher kommst du wirklich?“, „Du bist aber hübsch für eine Schwarze! “, „Wow dein Deutsch ist ja akzentfrei!“ All diese Fragen und Aussagen muss ich mir schon mein ganzes Leben anhören. Gemeinsam mit Josephine Apraku habe ich darüber gesprochen, warum diese Fragen verletzend und rassistisch sind und warum Alltagsrassismus auch in Deutschland immer noch sehr präsent ist.

Josephine Aprakus Expertise in diesem Bereich hat uns so sehr beeindruckt, dass wir Josephine unbedingt zu unserer weekly heroine küren mussten. Jede Woche stellen wir bei wmn Frauen vor, die uns durch ihre Stärke nicht nur inspirieren, sondern auch empowern und von denen wir viel lernen können.

Josephine Apraku – kurz & knapp

Du hast noch nie von Josephine Apraku gehört? Das muss sich schleunigst ändern! 

  • Josephine Apraku ist in Berlin geboren und aufgewachsen.
  • Seit zehn Jahren macht Josephine Bildungsarbeit mit Blick auf das Thema Rassismus.
  • Studiert hat Josephine Apraku Afrikawissenschaften.
  • Die ersten Rundgänge hat Josephine zum Thema Kolonialismus in Deutschland gegeben.

Josephine Apraku: „Für Schwarze Menschen ist es immer noch schwieriger, eine Wohnung zu finden.“

wmn: Was ist Alltagsrassismus eigentlich? Was können sich unsere Leser:innen darunter vorstellen, die nicht tagtäglich damit konfrontiert werden? 

Josephine: Wenn wir über Rassismus sprechen, also gesamtgesellschaftlich betrachtet zumindest, dann sprechen wir in der Regel über Extremfälle. Wir sprechen zum Beispiel über terroristische Anschläge. Am 19. Februar jährt sich beispielsweise auch zum zweiten Mal der Anschlag in Hanau, als ein Beispiel von wirklich vielen aus Deutschland. 

Was darüber oft so ein bisschen vergessen wird, ist, dass Rassismus total alltäglich ist. Das heißt Rassismus aus einer wissenschaftlichen Perspektive betrachtet, das nennt sich dann sozusagen struktureller Rassismus, findet sich eben nicht nur in diesen krassen Situationen, ist also nicht nur die Spitze des Eisbergs. Darunter liegt noch viel, viel mehr, was wir im Alltag erleben. Das können ganz kleine Momente sein. Ein Begriff in diesem Zusammenhang ist zum Beispiel Mikroaggressionen. Das können Sachen sein, die vermeintlich als Komplimente gemeint sind, die aber eigentlich eine rassistische Zuschreibung sind. Etwa ein Satz wie: „Du bist aber hübsch für eine Schwarze Frau.“ Um ein Beispiel zu nennen. 

Sätze können nicht nur verletzend, sondern auch rassistisch sein. Foto: Daham Choi

Wir haben von alltäglichem Rassismus total viele unterschiedliche Aspekte. Wir haben einmal dieses interpersonelle auf der individuellen Ebene. Eine andere, die aber natürlich auch wichtig ist, ist auf der institutionellen Ebene. Das wären zum Beispiel, dass es Zugangsbeschränkungen gibt. Das kann sowas sein, wie dass es für Schwarze Menschen und Menschen of Color schwieriger ist, eine Wohnung zu finden. Oder dass Schwarze Schüler:innen bei gleicher Leistung schlechter bewertet werden und schlechtere Übergangsempfehlungen bekommen. 

Josephine Apraku: „Das ist die Art und Weise, wie unsere Welt funktioniert.“

Dann haben wir noch die strukturelle Ebene, wo wir eben sehen können, dass insgesamt der Zugang zu allen möglichen in der Gesellschaft, also gesundheitliche Versorgung, dem Arbeitsmarkt, dem Wohnungsmarkt etc. dass es dort schwieriger ist für Schwarze Menschen und Menschen auf Color. Und wir können wahrnehmen, dass es auch auf der strukturellen Ebene geteilte Wissensbestände gibt. Zum Beispiel die Vorstellung, dass bestimmte Arten von Kriminalität wie beispielsweise Drogenkriminalität vor allem von Schwarzen Menschen und Menschen of Color ausgeht. 

Und all das zusammen findet sich überall in unserem Alltag. Das heißt, hier geht es auch nicht so sehr darum, dass Menschen persönliche oder böse Absichten haben, sondern das sind Sachen, die in der Regel „normal“ erscheinen. Das ist die Art und Weise, wie unsere Welt funktioniert, wie sie strukturiert ist und wie wir uns selbst auch im Zusammenhang mit dieser Welt wahrnehmen und vorstellen. 

Josephine Apraku: „Rassismus findet sich auch auf der institutionellen Ebene.“

wmn: Hast du selbst schon einmal Alltagsrassismus erfahren, wenn ja, kannst du eine persönliche Geschichte erzählen, die dir im Gedächtnis geblieben ist?  

Josephine: Ich erzähle grundsätzlich keine persönlichen Geschichten mehr, verweise aber gerne auf den Instagram-Kanal @wasihrnichtseht. Hier können Leute anonymisiert Beispiele hinschicken und über ihre persönlichen Erfahrungen im Bereich Alltagsrassismus berichten. Ich meine hier auch ganz spezifisch Anti-Schwarzen Rassismus. Da sind wirklich mehrere hundert Beispiele dafür, wie sowas im Alltag aussehen kann.  

Rassismus-Studie
Der Großteil der Schwarzen Menschen erlebt Alltagsrassismus. Foto: IMAGO / Addictive Stock

Ein Beispiel könnte sozusagen sein, dass sich eine weiße Person wegsetzt, wenn eine Schwarze Person oder eine Person of Color sich in der U-Bahn neben sie setzt. Aber tatsächlich ist mir total wichtig, auch immer wieder mitzudenken, dass sich das auch auf der institutionellen Ebene findet, nämlich durch Regeln, Maßnahmen und Gesetzgebungen. Denn auch das sind alles alltägliche Formen davon, wie Rassismus funktioniert. 

Josephine Apraku: „Alle Formen von Diskriminierung sind strukturell.“

wmn: Ich persönlich habe immer ein großes Problem damit, wie ich Alltagsrassismus nicht-POC Menschen erklären soll, ohne, dass sie sich gleich angegriffen und als Rassist:in abgestempelt fühlen. Gibt es eine positive Art und Weise, darauf aufmerksam zu machen. Gerade wenn es sich um Freund:innen oder die Familie handelt? 

Josephine: Jein. Meiner bisherigen Erfahrungen nach in Hinblick auf meine Arbeit gibt es die nicht. Ich finde es aber auch wichtig, dass vielleicht ein bisschen anders zu rahmen. Es ist total wichtig, immer wieder darauf zu verweisen, wenn eine Person von Rassismus negativ betroffen ist und sich in Anführungszeichen wohl genug fühlt, dass auch anzusprechen. Dann ist das total wertvoll und ich glaube, es ist auch wichtig, dass wir das auch immer wieder in Gespräche einfließen lassen sollten. 

Nach dem Motto: Ich spreche das jetzt nicht an, weil ich dich fertigmachen will, sondern mir ist unsere Beziehung wichtig. Das ist der eine Punkt. Den anderen Punkt, den ich total wichtig finde, ist dieses strukturelle Rassismus-Verständnis, denn das gilt ja für alle Formen von Diskriminierung gleichermaßen. Alle Formen von Diskriminierung sind strukturell und das macht sie eben aus. 

Davon können wir auch ableiten, dass es eben nicht etwas ist, was an uns persönlich falsch ist, was nur wir als Einzelperson falsch machen, sondern das Gegenteil ist der Fall. Der einzige Grund, weshalb wir rassistische Vorstellungen haben, warum wir uns auf bestimmte Art und Weise verhalten ist, weil wir gesellschaftlich geprägt sind, und zwar wirklich von Kind auf an. 

Das heißt, es geht hier nicht so sehr darum, ob ich als Einzelperson etwas richtig oder falsch gemacht habe. Klar, die Frage können sich Leute stellen, aber ich glaube, es ist nicht zielführend. Worum es am Ende des Tages geht, sind die Werte, die ich nach außen vertrete und ob ich eigentlich in der Lage bin, diese auch einzuhalten, wenn ich ja überhaupt nicht auf dem Schirm habe, dass Diskriminierung ein normaler Tag des Alltags ist und eben auch durch mich wirkt. Und als weiße Person das auch mit Blick auf Rassismus zu denken, also ich finde diesen strukturellen Aspekt total wichtig. Nur so wird nämlich einfach klar, dass man sich überhaupt nicht entziehen kann. 

Josephine Apraku: „Es geht darum, dich an einen Ort zu verweisen, der nicht Deutschland ist.“

wmn: Eine beliebte Frage, die man mir oft stellt, wenn ich sage, dass ich aus Berlin komme, ist: „Nein, woher kommst du denn ursprünglich?“ Daher die Frage: Wo liegt die Grenze zwischen Neugier und Rassismus? 

Josephine: Ich glaube, die Grenze gibt es eigentlich nicht, also ich glaube, das ist die Herausforderung, mit der wir umgehen müssen. Das eben alle Formen von Diskriminierung und Rassismus systemisch sind und immer wirken und immer da sind und wir uns eben nicht komplett entledigen können. Dementsprechend ist es schwierig, einen Aspekt aus dem System rauszunehmen, der vermeintlich nicht davon eingefärbt ist. Das ist, offen gestanden, unehrlich, das zu behaupten, aber es weist für mich auch daraufhin, dass es Leute sind, die eben nicht verstehen, dass Rassismus eine strukturelle Form von Diskriminierung ist. 

Trotzdem finde ich es auch wichtig zu erklären, dass das Problem ja vor allem auch dann anfängt, wenn eine Person nicht stehen lassen kann, dass du zum Beispiel antwortest: „Ich komme aus Berlin“, weil theoretisch wäre damit die Frage ja beantwortet. Aber es wird total offensichtlich, dass es darum in der Frage nicht geht, sondern es geht darum, dich an einen Ort zu verweisen, der nicht Deutschland ist. Und dem sozusagen zugrunde liegt die Vorstellung, dass nur weiße Menschen Deutsch sein können. 

Nicht nur weiße Menschen stehen für Deutschland. Foto: Getty Images/ Willie B. Thomas Foto: Getty Images

Davon haben wir während der NS-Zeit und natürlich auch schon viel früher, nämlich während der Kolonialzeit einiges gehabt und tatsächlich wirklich auch Gesetzgebungen. Da gab es beispielsweise Gesetzgebungen, die besagten, dass Schwarze Kinder, die von weißen Kolonialsoldaten gezeugt worden sind, nicht deutsch sind. Dementsprechend wurden den Kindern auch bestimmte Zugänge und Rechte verwehrt. 

Josephine Apraku: „Was kann ich tun, um möglichst nah an Überwindung und Unterbrechung zu kommen?“

wmn: Wenn wir gerade von der Vergangenheit sprechen: Was muss sich ändern, um Rassismus zu bekämpfen und bist du der Meinung, dass wir in ein paar Jahren frei von Rassismus sind? 

Josephine: Also ich glaube in ein paar Jahren den Rassismus zu bekämpfen, ist unrealistisch. Ich glaube, wir bewegen uns eigentlich immer in einem Spannungsverhältnis zwischen der Beibehaltung eines rassistischen Systems und der Überwindung oder dem Unterbrechen eines rassistischen Systems. Daher würde ich aktuell sagen, dass mein Ziel mit Hinblick auf mein eigenes Leben ist, mich zu fragen: „Was kann ich tun, um möglichst nah an Überwindung und Unterbrechung zu kommen?“ 

Die Frage muss meiner Meinung nach überhaupt nicht sein, ob wir es komplett überwinden und alle Menschen auf der Welt werden nie wieder rassistische Vorstellungen haben, denn ich weiß nicht, ob das realistisch ist. Was aber tatsächlich ein Ziel sein muss, ist zuschauen, dass es Gesetzgebungen gibt, die auch eingehalten werden.

Wir haben zum Beispiel ein Antidiskriminierungsgesetz und wir hatten ja auch im Sommer 2020 eine riesige Diskussion um den Rassebegriff, aber gleichzeitig gibt es noch ein anderes Problem. Wir diskutieren nämlich nur darüber, wie es im Gesetz ausgelegt ist. Allerdings brauchen wir auch Richter:innen, die in der Lage sind solche Gesetze umzusetzen und einzuhalten. 

Beim Rassismus-Bericht der UN ist total klar geworden, dass Richter:innen und die Rechtsprechung hierzulande die Möglichkeiten, die theoretisch per Gesetz da sind, überhaupt nicht ausschöpfen. Daher glaube ich, dass ein Teil der Arbeit sein muss, dass es Maßnahmen und Organisationen gibt, die einen Umgang damit haben und dass auch einfach stärker mitgedacht wird, dass Rassismus alltäglich ist. Das heißt an Schulen sollte es Ansprechpartner:innen geben für den Fall, dass es beispielsweise einen Rassismus-Vorfall gibt. Im Moment geht es sehr stark darum, dass wir das institutionalisieren können, um größtmöglichen Schutz zu bieten. 

Josephine Apraku: „Wie können wir zu mehr Menschlichkeit kommen?“

wmn: Was würdest du sagen, wenn dir die ganze Welt für eine Minute zuhören würde? 

Josephine: Dass es wirklich dringend notwendig ist, dass wir uns von unterdrückerischen Binaritäten wie gut und böse, richtig und falsch, schwarz und weiß usw. trennen. Denn am Ende des Tages ist es ja so, dass unser aller Menschlichkeit beschnitten wird, dadurch, dass es Unterdrückung gibt.

Und zwar unabhängig davon, ob sie in der jeweiligen Form von Unterdrückung bevorzugt sind oder benachteiligt werden. Und deswegen ist es in unserem aller Interesse. Daher ist die Frage tatsächlich aus meiner Sicht zumindest und für meine Arbeit: Wie können wir zu mehr Menschlichkeit kommen? 

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