Der Ingenieur Mark Bryan geht auf High Heels zur Arbeit. Er ist hetero und glücklich verheiratet. Mit Drag hat sein Kleidungsstil nichts zu tun. Er definiert sich selbst klar als Mann – ein Mann, der trägt, was er will.
Wer ist Mark Bryan & wieso trägt er High Heels?
Mark Bryan ist 61 Jahre alt, trägt Glatze und lebt in einem kleinen Ort bei Stuttgart. Der gebürtige Texaner zog vor vielen Jahren in die süddeutsche Provinz, weil dort seine große Liebe wohnt – seine Frau. Wenn er sich morgens für die Arbeit fertig macht, überlegt er, wie viel er heute laufen muss. Denn danach richtet sich die Höhe der Absätze an den Schuhen, die er auswählt. An einem aktiven Tag sollten es nicht mehr als sieben Zentimeter sein, verrät er im Interview mit der deutschen Vogue.
Ergibt Sinn, denkst du dir jetzt als Frau. Wobei sieben Zentimeter schon ganz schön hoch sind. Das Ungewöhnliche – oder viel mehr Ungewohnte – an dieser Geschichte ist die Tatsache, dass Mark ein Mann ist. Und zwar ein ganz „normaler“, um im Bild des Gewohnten zu bleiben. Kein Travestiekünstler und keiner, der in einem männlichen Körper steckt, sich aber eigentlich als Frau fühlt. Mark Bryan liebt Frauen, seine Ehefrau ganz besonders, hat Kinder und trägt Krawatte. Und er liebt High Heels und enge Röcke.
Kein Crossdressing, kein Fetisch – einfach nur ein Geschmack
Mark Bryan, der sich inzwischen eine beachtliche Reichweite von über 400.000 Follower:innen auf Instagram aufgebaut hat, wird immer wieder gefragt, ob sein Kleidungsstil mit seiner Sexualität zusammenhänge. Dabei geht es Mark einzig und allein um Kleidung, die er mag und die ihm absolut steht. Als Frau wird man schließlich auch nicht gefragt, ob einen hohe Schuhe erregen.
Wenn ich keine Grenze zwischen den Geschlechtern sehe, welche sollte ich dann überschreiten?
Mark Bryan im Interview mit der deutschen Vogue
Diesen Unterschied zwischen Männern und Frauen und dem, was sie tragen „dürfen“, ohne dass einem direkt ein Fetisch unterstellt wird, lehnt Mark Bryan ab. Er sieht sich selbst auch nicht als Crossdresser, erzählt er der Vogue: „Das Wort impliziert ja schon per se eine Grenzüberschreitung. Wenn ich aber keine Grenze zwischen den Geschlechtern sehe, welche sollte ich dann überschreiten? Ich war immer der Meinung, dass Röcke und High Heels für alle da sein sollten, die sie tragen wollen.“
Das Besondere an Mark Bryans Stil sind nicht nur die High Heels
Mark Bryan zieht sich auch nicht einfach an wie eine Frau. Das ist ganz wichtig zu unterscheiden. Zwar hat er schon einmal Kleider anprobiert, hat aber festgestellt, dass sie am Oberkörper und den Schultern überhaupt nicht sitzen. Viel eher ist sein Stil ein „Hybrid-Look“, wie er ihn selbst bezeichnet. Obenrum trägt er traditionell männlich konnotierte Kleidungsstücke wie Hemd und Krawatte und untenrum eben feminine wie Röcke und High Heels. Damit kreiert er einen Look, der für viele auf den ersten Blick vielleicht irritierend wirkt, weil wir den ihn nicht gewohnt sind, der ihm aber absolut steht. Für seine extrem strammen Waden müht sich der 61-Jährige immerhin fleißig im Fitnessstudio ab. Und das sieht man!
Spannend ist auch seine Einstellung zum Thema Maskulinität und Feminität in der Mode generell. Er kritisiert, wie selten hinterfragt wird, dass es als empowernd und feministisch gilt, wenn Frauen männlich-konnotierte Kleidung wie Anzughosen tragen. Diese Kleidungsstücke haben ja auch eine enorme Rolle für die Emanzipation der Frau gespielt, keine Frage. Aber wenn ein Mann feminine Kleidung trägt, dann wird er eher als schwach wahrgenommen und von vielen als homosexuell vermutet – weil Heteros tragen ja kein rosa.
Der Unterschied zwischen „starker“ und „schwacher“ Kleidung
Das ist gleich auf doppelter Ebene problematisch. Nicht nur, dass als weiblich kategorisierte Kleidung das Attribut „schwach“ zu enthalten scheint. Auch dass umgekehrt Frauen in Männerkleidung als „stark“ gelten, impliziert (auf offenbar ungewollte Weise) das alte Rollenbild des starken Mannes.
Mark Bryan mit seiner Glatze, dem breiten Kreuz und den trainierten Beinen bricht auf einen Schlag mit all dem. Kleidung verliert an seinem Körper jegliche Art der Geschlechterzuschreibung. Er wählt nicht zwischen Herren- und Damenmode. Er wählt zwischen dem, was ihm steht und worin er sich wohlfühlt.
5 Short Facts über Mark Bryan
- Er wuchs in Texas auf und wurde praktisch in Cowboystiefeln geboren. Die meisten davon hat er vor seinem Umzug nach Deutschland verschenkt.
- Dass er sich in High Heels wohlfühlt, bemerkte er beim Rumalbern mit seiner ersten Freundin, die auf hohen Schuhen etwas größer war als er. Sie hatten die gleiche Schuhgröße und aus Spaß probierte er zum Tanzen ihre High Heels an.
- Seine größte Inspirationsquelle war die Serie „Suits“. Er war fasziniert von Meghan Markle und wie toll sie in Bleistiftrock und hohen Schuhen aussah. Das brachte ihn auf die Idee, enge Röcke mit Herrenhemden zu kombinieren.
- Ursprünglich war sein Instagram-Account als eine Art privates Archiv seiner Outfits gedacht. Erst als die Followerzahl immer weiter stieg, machte er es öffentlich. Inzwischen folgen ihm über 400.000 Menschen.
- Seine Frau und Familie unterstützen ihn ohne Einschränkungen. Das Motto seiner Frau ist „Man lebt nur einmal“ und damit hat sie völlig recht.
Mark Bryan liebt die Mode so, wie sie sein sollte – das, was du willst
Wir haben uns für Mark Bryan als unseren ersten „Weekly Hero“ entschieden, weil das, was er macht, so wichtig ist, und dabei einfach nur sein Leben lebt. Er hat keine große Kampagne gegen Stereotypen in Geschlechterrollen gestartet und auch keine genderneutrale Modekollektion herausgegeben. Er fährt einfach nur jeden Morgen mit der Bahn zur Arbeit und stellt Outfitfotos auf Instagram. Er hat Mode verstanden. Denn bei ihm ist sie das, was sie sein soll: nämlich genau das, was er will.
Wenn du dich noch ein bisschen weiter inspirieren lassen möchtest, stellen wir dir gern zwei unserer Weekly Heroines vor: Singer/Songwriterin Julia Kautz war bei uns im Interview und spricht über Berghain-Nächte mit Lady Gaga. Außerdem haben wir mit Unternehmensberaterin Natalya Nepomnyashcha über sozialen Aufstieg und Startbedingungen von Hartz-IV-Kindern gesprochen.