„Ich liebe meine Mutter, ich liebe meine Familie und ich liebe Afrika! Seit über 3000 Jahren sind die Familien der festen Überzeugung, dass eine Tochter, die nicht beschnitten ist, nicht rein ist. Weil das, was zwischen unseren Beinen ist, unrein ist, deshalb wird es entfernt und verschlossen, als Beweis ihrer Jungfräulichkeit und Tugend, und in der Hochzeitsnacht nimmt der Mann eine Rasierklinge oder ein Messer und schneidet sie auf, bevor er mit Gewalt eindringt.“
Die Zeilen von Waris Dirie, einer aus Somalia stammenden Menschenrechtsaktivistin, lassen einem das Blut in den Adern gefrieren. Und doch entsprechen sie der Realität. Laut UNICEF sind weltweit bis zu 200 Millionen Mädchen und Frauen von der weiblichen Genitalverstümmelung betroffen. Jährlich kommt man auf eine Anzahl von drei Millionen Betroffenen – alle elf Sekunden eine. Die Altersspanne reicht von wenigen Tagen bis hin zum 18. Lebensjahr.
Hier findest du alles zur weiblichen Genitalverstümmelung:
- Alle elf Sekunden wird eine Frau Opfer von weiblicher Genitalverstümmelung
- Waris Dirie: Aktivistin im Kampf gegen weibliche Genitalverstümmelung
- Weibliche Genitalverstümmelung: Glaube oder sexuelle Unterdrückung?
- FGM ist kein afrikanisches Problem
- Aufklärungsarbeit ist bei der weiblichen Genitalverstümmelung enorm wichtig
- Genitalverstümmelung ist ein weltweites Problem
Alle elf Sekunden wird eine Frau Opfer von weiblicher Genitalverstümmelung
Doch was genau passiert bei der Female Genital Mutilation, kurz FGM, wie sie international genannt wird? Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zählt zu diesem grausamen Ritual, welches vorwiegend in muslimisch-afrikanischen Staaten durchgeführt wird „alle Verfahren, die die teilweise oder vollständige Entfernung der weiblichen äußeren Genitalien oder deren Verletzung zum Ziel haben. Sei es aus kulturellen oder anderen nicht therapeutischen Gründen.“
Wie Waris Dirie bereits in ihrer UN-Rede erklärte, ist das Ritual der weiblichen Genitalverstümmelung tief verankert, aber eben nicht nur in Afrika. Es gab bereits Fälle aus der Sowjetunion in den 1930er-Jahren. Und auch in England und Frankreich wurde bereits im Jahre 1864 Frauen in psychiatrischen Kliniken die Klitoris entfernt. Als Begründung wurde genannt, dass man die Frauen so vor der Masturbation schützen wolle. Auch in Brasilien, Peru, Mexiko und Australien findet man bei den Stämmen der Eingeborenen ähnliche Bräuche.
Die Formen der weiblichen Genitalverstümmelung
Die WHO teilt die weibliche Genitalverstümmelung in verschiedene Typen ein. So wird beim Typ 1, der sogenannten Klitoridektomie, die Klitoris-Vorhaut, die Klitoris selbst oder Teile davon weggeschnitten und beim Typ 2, der Exzision, zusätzlich die inneren Schamlippen. Diese beiden Arten der weiblichen Genitalverstümmelung erleiden gut achtzig Prozent der betroffenen Mädchen und Frauen. Bei weiteren fünfzehn Prozent wird Typ 3 angewandt, der „Infibulation“ genannt wird. Hier werden die gesamten äußeren Geschlechtsteile bis auf ein kleines Loch weggeschnitten und dann zusammengenäht. Nach diesem Martyrium müssen die Mädchen noch wochenlang mit zusammengebundenen Beinen liegen bleiben.
Damit die Vagina nicht vollständig zusammenwächst, wird meist ein Strohhalm oder Streichholz eingeführt, damit ein kleines Loch nicht größer als ein Reiskorn entsteht. Dadurch fließen dann der Urin und später auch die Monatsblutung ab. Die Beschneidung wird unter den schlimmsten und unhygienischsten Bedingungen durchgeführt – für das westliche Gesundheitssystem unvorstellbar.
Die Beschneiderinnen sind meist Hebammen oder ältere Frauen aus dem Dorf. Um die weibliche Genitalverstümmelung durchzuführen, benutzen sie Rasierklingen, Messer, Scheren oder Glasscherben und scharfe Steine – in manchen Regionen sogar Zähne.
Die Folgen der Female Genital Mutilation
Die Folgen, die mit der weiblichen Genitalverstümmelung einhergehen, sind gravierend. So kommt es während und nach dem Eingriff häufig zu:
- Schockzuständen
- Infektionen
- Schädigungen an Harnröhre und After
- Vernarbungen
- Tetanus
- Blasenentzündungen
- Blutvergiftungen
- Aids
- Hepatitis
Und auch noch Jahre nach dem Eingriff leiden die Frauen an den Folgen von FGM die teilweise zu Unfruchtbarkeit, Zysten und Abszessen an der Vulva führen können. Weitere Schäden sind:
- Schmerzhafte Neuronen
- Probleme beim Wasserlassen
- schmerzhafte Regelblutungen
- Stauung von Menstruationsblut in der Bauchhöhle
- kein Lustempfinden beim Geschlechtsverkehr
- Depressionen bis hin zum Tod
Waris Dirie: Aktivistin im Kampf gegen weibliche Genitalverstümmelung
Waris Dirie, die erste Frau, die die Weltöffentlichkeit auf die weibliche Genitalverstümmelung aufmerksam machte, beschrieb ihre eigene Verstümmelung in ihrem autobiografischen Buch Wüstenblume bis ins kleinste Detail:
„Dann spürte ich, wie mein Fleisch, meine Geschlechtsteile, fortgeschnitten wurden. Ich hörte den Klang der stumpfen Klinge, die durch meine Haut fuhr. Wenn ich heute daran zurückdenke, erscheint es mir schlechtweg unfassbar, dass mir dies widerfahren ist, und ich habe das Gefühl, als würde ich von jemand anderem sprechen.
Es gibt keine Worte, die den Schmerz beschreiben könnten. Es ist, als ob dir jemand ein Stück Fleisch aus dem Oberschenkel reißt oder dir den Arm abschneidet, nur dass es sich dabei um die empfindsamsten Teile deines Körpers handelt. „Herr im Himmel, lass es rasch vorüber sein“, betete ich.
Und das war es auch, denn ich verlor das Bewusstsein. Als ich aufwachte, dachte ich, ich hätte es hinter mir, doch da begann erst der schlimmste Teil. Mit den Dornen stach sie mir Löcher in die Haut, durch die sie einen festen weißen Zwirn schob, um mich zuzunähen. Der Schmerz in meiner Scheide war so furchtbar, dass ich nur noch sterben wollte.“
Weibliche Genitalverstümmelung: Glaube oder sexuelle Unterdrückung?
Doch womit wird dieses grausame Ritual begründet? Die weibliche Genitalverstümmelung wird in den praktizierenden afrikanischen Ländern ähnlich gefeiert wie ein Geburtstag. Die kleinen Mädchen freuen sich schon wochenlang auf diesen Tag. Meist gehen die Mütter mit ihren Töchtern am Tag davor noch ein schönes, neues Kleid kaufen und abends gibt es ein schönes Festmahl. Den Mädchen wird eingetrichtert, dass man nur durch die Beschneidung später eine gute Ehefrau sein könnte.
Charlotte Weil, Fachreferentin bei Terre des Femmes, sieht FGM als Mittel für die sexuelle Kontrolle der Frau: „Dahinter steckt immer ein patriarchalisches Interesse zur Unterdrückung weiblicher Sexualität: Die Jungfräulichkeit soll bewahrt und die Treue der Frau garantiert werden. Es kursieren auch Mythen, etwa dass eine Klitoris immer weiterwächst oder jeden Mann tötet, der sie berührt.“
Frauen, deren Genitalien nicht verstümmelt werden, gelten daher als unrein und werden auf dieselbe Stufe wie eine Prostituierte gestellt. Weitere Gründe für dieses grausame Ritual seien angeblich Hygiene, Ästhetik und die Gesundheit. Darüber hinaus gibt es eine Menge Mythen, die FGM notwendig machen sollen. Einer davon ist, dass unbeschnittene Frauen keine Kinder zur Welt bringen könnten und dass der Kontakt des Babys mit der Klitoris tödlich sei.
Meist wird die weibliche Genitalverstümmelung auch mit der Religion gerechtfertigt, obwohl diese in keiner heiligen Schrift vorkommt. Im Gegenteil – denn im Koran heißt es in Sure 95,4: „Wahrlich, wir haben den Menschen in bester Form erschaffen“.
FGM ist kein afrikanisches Problem
Doch die weibliche Genitalverstümmelung ist bei Weitem kein rein afrikanisches Problem. Obwohl Afrika mit rund 29 Ländern im Mittelpunkt steht. So findet man FGM auch im Jemen, in Pakistan, Indonesien und Malaysia. Aber auch in den USA, Kanada und Australien ist dieses menschenunwürdige Ritual verbreitet. Schaut man sich die Zahlen in Europa an, traut man seinen Augen kaum: Denn hier leben rund 500.000 Frauen, deren Genitalien verstümmelt worden sind.
Idah Nabateregga, Fachreferentin für FGM bei der Menschenrechtsorganisation Terre des Femmes, geht sogar noch weiter: „Wir schätzen, dass die Zahl aufgrund von Migration mittlerweile auf 700.000 bis eine Million angestiegen ist.“
Doch woher kommt diese schockierend hohe Zahl? Einige der europäischen Staaten führen Statistiken darüber, wie viele Einwanderinnen aus den Ländern der Welt kommen, in denen die weibliche Genitalverstümmelung praktiziert wird. Jedoch ist die Dunkelziffer durch illegale Einwandererinnen aus Afrika, Arabien und Asien, die in der Statistik nicht auftauchen, um einiges höher. Dadurch kann man nur von einer Mindestzahl sprechen.
Immer mehr Kleinkinder werden in Europa verstümmelt
Von den knapp eine Million beschnittenen Frauen leben rund 35.000 in Deutschland. Jede beschnittene Frau in Europa ist eine potenzielle Anstifterin. Und somit laufen auch deren Töchter und Enkelinnen Gefahr, ebenfalls eine Genitalverstümmelung erleiden zu müssen. Obwohl in Europa internationale Resolutionen bestehen und auch nationale Gesetze die weibliche Genitalverstümmelung unter Strafe stellen, kommt es nur selten zu Verurteilungen.
„Das Problem ist der Nachweis: In den Communities gibt es einen großen Zusammenhalt. Die Menschen sind überzeugt, das FGM zu ihrem Leben und ihrer Kultur gehört“, sagt Idah Nabateregga. Durch die schärferen Gesetze wird jedoch ein erschreckend neuer Trend sichtbar, erklärt die Fachreferentin: „Um sicherzugehen, dass nichts ans Licht kommt, werden die Mädchen bei der Beschneidung immer jünger, ein Kleinkind kann nichts sagen.“
Aufklärungsarbeit ist bei der weiblichen Genitalverstümmelung enorm wichtig
Dass viele Frauen auch in Europa unter FGM zu leiden haben, ist nur wenigen Menschen bewusst und genau deshalb ist es so wichtig, Maßnahmen zum Schutz zu ergreifen. Verschiedene Menschenrechtsorganisationen wie Terre des Femmes oder die Deutsche Stiftung Weltbevölkerung haben es sich zur Aufgabe gemacht, Frauen und Kinder weltweit zu unterstützen.
Das machen sie, indem sie Aufklärungsarbeit leisten. Denn nur unabhängige und aufgeklärte Frauen sind in der Lage, ihre Töchter vor diesem grausamen Verbrechen zu beschützen. So ist es enorm wichtig, dass die Frauen ein geregeltes Einkommen unabhängig vom Ehemann haben und gesellschaftlich etabliert sind.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Sexualität. Die weibliche Genitalverstümmelung ist immer noch ein Tabuthema. Frauen nehmen es hin und sehen es als normal an, verstümmelt zu sein. Sie sehen es als normal an, Schmerzen, statt Lust beim Sex zu empfinden. Das zeigt auch ein somalisches Sprichwort, welches besagt: „Liebe tut dreimal weh, bei der Beschneidung, bei der Vereinigung mit dem Mann und bei der Geburt der Kinder.“
Genitalverstümmelung ist ein weltweites Problem
Jedoch geht die weibliche Genitalverstümmelung nicht nur den Kontinent Afrika und den Menschen afrikanischer Abstammung, die hier unter uns leben, etwas an. Die Verstümmelung von Neugeborenen, Kleinkindern oder erwachsenen Frauen ist weder mit Tradition noch mit Kultur und Glaube zu rechtfertigen und jede Religionsgemeinschaft sollte sich klar gegen FGM aussprechen.
Ärzt:innen, Lehrer:innen, Mitbürger:innen: Wir alle haben die Pflicht etwas zu tun, wenn wir sehen, dass ein aufgewecktes Kind nach den Sommerferien plötzlich traumatisiert in die Schule zurückkehrt. Die weibliche Genitalverstümmelung ist weder ein afrikanisches, arabisches oder europäisches Problem, sie ist ein weltweites.
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