Till Antonio (28) ist DJ und Produzent aus Berlin und aktiv in der Veranstaltungs- und Kollektivszene. Die Corona-Krise hat ihm als DJ viele Türen verschlossen, aber gleichzeitig neue Möglichkeiten eröffnet. Er nutzte die Zeit des Lockdowns, um ein Start Up zu gründen und digitale Events zu organisieren, bei denen er wiederum seiner Leidenschaft als DJ nachgehen konnte. Das Highlight waren 2020 die drei Drunter & Drüber Online-Festivals, an denen insgesamt 250.000 Menschen teilnahmen.
In unserer Reihe #Corona-AlltagsheldInnen befragen wir Akteure aus verschiedensten Branchen, wie sie die vergangenen Monate erlebt haben. Heute sprechen wir mit Till Antonio über die Auswirkungen der Corona-Krise auf die Veranstaltungsbranche und darüber, wie man aus einer Situation das Beste macht.
Interview: So ging es DJ & Veranstalter im Corona-Lockdown
wmn: Wie hast du dich beim ersten Lockdown gefühlt?
Till Antonio: Der erste Lockdown war eine einschneidende und beeindruckende Erfahrung zugleich. Das Gefühl einer kollektiven Verunsicherung im Angesicht einer universellen Bedrohung ist in meiner eigenen Realität noch nie so präsent gewesen. Besonders die Leichtigkeit und Schnelle, mit der sich Risse in der empfundenen Normalität offenbarten, war überraschend. Dominierender Aspekt war selbstverständlich auch eine Sorge um ältere Verwandte.
wmn: Wie hat sich deine Arbeit dadurch verändert?
Till Antonio: Meine Leidenschaft als DJ musste sich neue Wege suchen. Hatte ich vor Beginn der Pandemie noch große Pläne auf physischen Veranstaltungen aufzulegen, wurde dem kurzerhand ein Strich durch die Rechnung gemacht: Geplante Auftritte im Beate Uwe und KitKat in Berlin wurden nachvollziehbarer Weise direkt abgesagt.
Um mit dieser neuen Realität umzugehen und Künstler*innen trotz der Clubschließungen eine Plattform zu bieten, habe ich gemeinsam mit meinem Kollektiv “Dies | Das” angefangen, digitale Events zu planen und umzusetzen. Während des letzten Jahres konnten wir so im Rahmen von digitalen Festivals, wie zum Beispiel dem Drunter & Drüber Festival, über 250.000 Menschen auf der ganzen Welt erreichen, über 300 Künstler*innen eine Bühne geben und zeitgleich mehrere Tausend Euro an Spenden für Künstler*innen, Workshop Hosts und verschiedene gemeinnützige Organisationen sammeln.
All das nicht-kommerziell, umsonst und mit einem inklusiven Ansatz. Gemeinsam mit der Berliner Clubcommission haben wir ein digitales Awareness Konzept veröffentlicht und uns für vielfältige diverse Bookings starkgemacht. Parallel zu unserer nichtkommerziellen Kollektivarbeit haben wir basierend auf unserer Erfahrung ein Start Up gegründet mit einem Fokus auf innovative digitale Eventformate. Durch die Pandemie hat sich meine Arbeit also deutlich verändert und mich beruflich neuen Zielen entgegengebracht.
wmn: Wie geht es dir heute, 10 Monate später, mit der Pandemie?
Till Antonio: Seit Beginn der Pandemie hat sich sehr viel verändert in meinem privaten wie auch beruflichen Leben. Mir ist bewusst geworden, in was für einer privilegierten Situation ich mich befinde, meinen Unterhalt rein digital bestreiten zu können und vergleichsweise milde durch diese außergewöhnlichen Umstände gekommen zu sein. Ich finde es allerdings ausgesprochen erschreckend zu sehen, wie durch die Pandemie Ungerechtigkeit und Unterschiede global wie auch lokal verstärkt worden sind.
wmn: Was hältst du von den Lobpreisungen gegenüber Alltagshelden?
Till Antonio: Die gesellschaftliche Anerkennung in allen Ehren allerdings muss sie auch Hand und Fuß haben. Gerade in prekären Berufen, deren fundamentale Bedeutung stark in den Fokus gerückt sind, darf es nicht nur bei leeren Worthülsen bleiben, die dann leise verhallen. Ganz konkret braucht es hier bessere Arbeitsbedingungen. Gerade der Kultursektor litt und leidet enorm unter den Bedingungen der vergangenen 10 Monate und fiel viel zu häufig durch das Raster der Unterstützungsprogramme.
wmn: Wird sich deiner Meinung nach etwas an der Situation der Alltagshelden ändern?
Till Antonio: Leider befürchte ich, dass sich nicht groß etwas ändern wird an der bestehenden Situation und den Arbeitsbedingungen dieser Gruppen. Wie leicht und schnell der gesellschaftliche Aufschrei und Fokus wieder verebben kann, haben wir bereits im Sommer nach der ersten Welle gesehen.
Wir sind vielleicht nicht systemrelevant, aber freuderelevant. – Robin Schellenberg
wmn: Was müsste sich denn deiner Meinung nach ändern?
Till Antonio: Während die schwierigen und ja auch gefährlichen Umstände der Pandemie weiterhin herrschen, muss es endlich zu konkreten Verbesserungen der Arbeitsbedingungen und Unterstützung kommen: Und zwar nicht nur bei den sogenannten Systemrelevanten, sondern auch für den häufig als selbstverständlich betrachteten Kunst- und Kultursektor. Um mit den Worten von Robin Schellenberg zu schließen: „Wir sind vielleicht nicht systemrelevant, aber freuderelevant.“
#CoronaAlltagsheldInnen ermöglichen uns Alltagsflucht, wenn wir sie am meisten brauchen
250.000 Menschen haben im letzten Jahr die Chance genutzt, bei den Dies Das Festivals für einige Stunden der Realität zu entkommen und ihren Corona-Alltag zu vergessen. KünstlerInnen konnte eine Bühne geboten werden, Gelder wurden gesammelt, die dringend benötigt werden. Till Antonio und seine Arbeit erinnern uns daran, wie trist ein Leben ohne Musik und kollektivem Zusammenhalt wäre und wie viel Schönes aus der Not heraus geboren werden kann. Das macht Hoffnung und Lust auf mehr!
Wir stellen dir noch weitere #CoronaAlltagshelden vor: Annett, die in der Gastronomie arbeitet, Friseurmeister Michi oder auch PolizistInnen, die durch Corona vor ganz neue Herausforderungen gestellt werden.