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#BlackTimeStory: Wie ich als kleines Kind zum ersten Mal den Rassismus in Deutschland erlebte 

In der Kolumne #BlackTimeStory nimmt dich unsere Autorin mit durch ihr gesamtes Leben. Sie erzählt schonungslos ehrlich über Alltagsrassismus, Identitätszweifel und Ängste als Schwarze Person in Deutschland. 

Rassismus in Deutschland
Rassismus in Deutschland erlebte unsere Redakteurin im Alter von vier Jahren. Foto: Getty Images/ Stefania Pelfini, La Waziya Photography

Fragen mich Menschen, was die ersten Erinnerungen meiner Kindheit waren, muss ich oft schlucken. Der Grund dafür ist, dass einer meiner frühsten Kindheitserinnerungen, alles andere als schön war. Während sich andere an ihren ersten Urlaub erinnern oder ihr erstes Eis, erinnere ich mich an den Hausmeister in meiner Straße. Warum ich durch ihn bereits als vierjähriges Mädchen lernen musste, dass der Rassismus in Deutschland auch vor Kindern nicht Halt macht, erfährst du in diesem Artikel. 

Rassismus in Deutschland: Ich war vier Jahre alt 

Nach der Scheidung meiner Eltern zog meine Mutter mit meiner Schwester und mir in eine Dreizimmerwohnung. Zwar wohnten wir immer noch in Berlin-Schöneberg, jedoch zu weit weg von unserem alten Zuhause, sodass ich in einen anderen Kindergarten musste. Dieser war praktischerweise nur drei Minuten Fußweg von unserem neuen Zuhause entfernt.

Meine Schwester, die zu diesem Zeitpunkt acht Jahre alt war, hatte beschlossen weiterhin auf ihre alte Schule zu gehen und musste dafür ein paar Stationen mit dem Bus fahren. Da die Busstation fast direkt vor meiner Kita war und meine Mutter immer schon sehr früh zur Arbeit musste, gingen wir beide immer zusammen los. Ein kleines Stück, vielleicht um die 20 Meter, musste ich jedoch alleine zurücklegen.  

Für mich war das nicht weiter schlimm, denn ich fühlte mich immer besonders mutig, so ganz alleine zur Kita zu laufen. Auch wenn ich nicht wirklich alleine war, denn der Gehweg war meist voll mit Eltern und Kindern, die ebenfalls in Richtung Kindergarten liefen. Kurz vor der Bushaltestelle, an der meine Schwester einstieg, stand jeden Tag ein Hausmeister vor der Tür und putzte sein schwarz-rotes Motorrad.

Die erste Zeit lang ignorierte er mich, dann fing es jedoch an, dass er mir, kaum lief ich an ihm vorbei, rassistische Beleidigungen an den Kopf warf. „Na heute wieder nicht gewaschen“ oder „Da ist wohl einer in den Kohletopf gefallen“, musste ich mir von da an, jedes Mal gefallen lassen. Erwachsene Menschen, die den Vorfall hautnah miterlebten, schwiegen, anstatt mir zur Hilfe zu kommen.  

Auf dem Weg zum Kindergarten: Mein erstes N-Wort 

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte mich noch nie jemand aufgrund meiner Hautfarbe angegriffen und die Sätze trafen mich bis ins Mark. Ich erinnere mich noch gut, dass ich auf keinen Fall anfangen wollte zu weinen und so nahm ich meine kleinen Beine in die Hand und machte mich schnell auf in den Kindergarten. Von nun an war der tägliche Gang für mich die reinste Hölle. Dieser Hausmeister hatte aus dem mutigen Mädchen, welches alleine zum Kindergarten gehen durfte, ein unsicheres Kind gemacht, welches von jetzt an nur noch mit hängendem Kopf die Straße runterlief.  

Doch auch das hinderte ihn nicht daran, mit rassistischen Bemerkungen aufzuhören. Der Hausmeister war übrigens auch der erste Mensch, von dem ich das N-Wort hörte. Ohne zu wissen, was es bedeutet, fühlte ich, dass der Satz: „Da kommt ja das hübsche N-Mädchen“, kein Kompliment sein sollte. Ich weiß nicht, warum ich mich nicht meiner Mama oder meiner Erzieherin anvertraute. Auch heute noch kann ich nur darüber spekulieren: Vielleicht war es Scham, Angst oder das Gefühl überzureagieren? Diese Frage kann ich bis heute nicht beantworten. 

Den ersten Teil meiner #BlackTimeStory-Kolumne gibt es hier
#BlackTimeStory: Warum die Ängste in der Schwangerschaft bei Schwarzen Frauen andere sind

Wie lange ich mich von dem Hausmeister mit dem schwarz-roten Motorrad beleidigen ließ, weiß ich heute nicht mehr. Vielleicht waren es ein paar Wochen, vielleicht aber auch ein paar Monate. Ich erinnere mich jedoch an die Jahreszeit, an dem der Terror endlich aufhörte… 

Rassismus in Deutschland: Zeit für die Wahrheit

Seit ein paar Tagen war es wieder richtig schön warm und auch ich hatte wieder einigermaßen gute Laune. Im Bett hatte ich nämlich einen Plan geschmiedet, wie ich dem rassistischen Hausmeister in Zukunft aus dem Weg gehen konnte. Von nun an wartete ich also immer, bis meine Schwester in den Bus stieg und überquerte dann die Straße. Dort lief ich dann so lange bis ich den Hausmeister nicht mehr sehen konnte, wechselte die Straßenseite und lief schnurstracks auf den Eingang der Kita zu. 

Als ich jedoch eines Nachmittags nachhause kam, saß meine Mutter am Küchentisch und hatte mir wie immer eine Tasse Tee gemacht. Ich setzte mich hin und erzählte ihr, was ich heute so Schönes erlebt hatte. Die Tage, an denen sie zu Hause war, waren meine liebsten. Da meine Mutter oft arbeitete, sah ich sie immer erst gegen Abend. An diesem Tag hatte sie jedoch frei. Eigentlich wollte sie mich deshalb auch in den Kindergarten bringen, ich beharrte jedoch darauf alleine gehen zu wollen. Die Vorstellung, dass der Hausmeister auch meine Mama beschimpfen würde, machte mir einfach zu große Angst. 

Was ich jedoch nicht wusste: Meine Mutter stand als ich zur Kita lief, am Erdgeschoss-Fenster und beobachtete mich. Ihr fiel dabei natürlich auf, dass ich, statt geradeaus weiterzulaufen, einen Umweg nahm und, verbotenerweise, die Straße überquerte. Als sie mich nach dem Grund fragte, brach ich in Tränen aus.

Rassismus
Irgendwann war es Zeit, für die Wahrheit. Foto: Getty Images/ FG Trade

All die Tränen, die ich mich nicht traute vor dem Hausmeister zu weinen, liefen mir jetzt über das Gesicht. Ich schilderte meiner Mutter jedes kleinste Detail, jede rassistische Beleidigung. Als ich das N-Wort wiederholte, sah ich in das schmerzverzerrte Gesicht meiner Mutter. In dem Moment realisierte ich, gerade einmal vier Jahre alt, dass der Hausmeister mit diesem Wort eine Grenze überschritten hatte, die nicht mehr rückgängig gemacht werden konnte. 

Rassismus in Deutschland: Meine Mutter lehrte mich, dass Schweigen keine Option ist 

Ich weiß nicht, wie lange mich meine Mama in die Arme nahm. Sie drückte mich so lange an sich, als wollte sie die Erfahrungen, die ich sammeln musste, auf sich übertragen. Irgendwann ließ sie mich los, machte mir eine weitere Tasse Tee, stellte mir Kekse hin und sprach mit mir. Darüber, dass ich solche Dinge nicht für mich behalten sollte und es wichtig ist, sich zu wehren. Und obwohl ich erst so klein war, versuchte sie nichts zu beschönigen. Sie sagte mir, dass sie sich wünschen würde, dass ich solch eine Erfahrung nie wieder machen würde, aber sie wolle mich nicht anlügen. „Mir war bewusst, dass es Rassismus in Deutschland gibt. Aber dass du so früh damit konfrontiert wirst, das hat mir den Boden unter den Füßen weggerissen“, erzählte meine Mutter mir gestern am Telefon. 

Dass meine Mutter mir die harte Realität vor Augen geführt hat, dafür danke ich ihr heute noch. Ich bin rückblickend gesehen dadurch selbstbewusster durchs Leben gegangen und habe gelernt, dass meine Mutter immer für mich da ist, wenn es hart auf hart kommt. Dass es keinen Grund gibt, Dinge, die mich belasten oder traurig machen, für mich zu behalten. 

Ihr fragt euch sicherlich, ob es Konsequenzen für den Hausmeister gab?  Am nächsten Tag brachte mich meine Mutter zum Kindergarten. Wie jeden Tag stand der Hausmeister auch heute wieder vor der Tür. Nur blieb er diesmal, als ich in Begleitung war, stumm.

Meine Mutter beugte sich zu mir runter und sagte, dass ich schon mal zur Kita gehen könne. Sie habe noch etwas zu erledigen. Und naja, was soll ich sagen: Von diesem Tag an, war nicht ich es, die mit hängendem Kopf die Straße herunterlief. Auch wenn du mir bis heute nicht verraten möchtest, was du zu ihm gesagt hast: Danke Mama! 

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