Sie gelten als lästig und haben keinen sonderlich guten Ruf: Mücken. Dabei sind sie für den Erhalt eines gesunden Ökosystems genauso wichtig wie jede andere Art auf dem Planeten. So sind Mücken zum Beispiel die einzigen Bestäuber des Kakaobaums – die Honigbiene ist zu groß, um sie zu bestäuben. In ihrem Buch „Was hat die Mücke je für uns getan?“ erklärt die Wissenschaftlerin Frauke Fischer, weshalb biologische Vielfalt so wichtig für unser Fortbestehen ist. Wie sich Unternehmen und jeder einzelne von uns für den Erhalt von Biodiversität einsetzen sollte, erläutert sie im Interview.
Frau Fischer, in Ihrem Buch erklären Sie, warum Mücken in Südamerika auch für uns in Deutschland eine Rolle spielen. Wie ist Ihr Eindruck: Verstehen die Menschen, dass ihr eigenes Handeln auch Auswirkungen auf der anderen Seite der Erde haben kann? Oder ist das für die meisten einfach zu komplex?
Frauke Fischer: Das kommt ein bisschen darauf an, welchen Zusammenhang man sich ansieht. Dass der Konsum von billigem Fleisch aus Massentierhaltung auch den Fortbestand tropischer Regenwälder bedroht, hat sich herumgesprochen. Dass aber zum Beispiel der Abbau von Bauxit – das für die Produktion von Aluminium für u. a. Autos und Joghurtbecherdeckel genutzt wird – Schimpansen in Guinea gefährdet, ist vielen wiederum nicht bekannt. Manche Zusammenhänge sind wirklich komplex, aber ein Grundverständnis für gewisse Dynamiken kann und sollte jeder und jede entwickeln.
Sie beraten auch viele Unternehmen zum Thema Biodiversität. Treffen Sie hier meist auf offene Ohren oder müssen Sie viel Überzeugungsarbeit leisten?
Fischer: Ich treffe immer öfter auf offene Ohren. Während ich vor einigen Jahren noch Sätze wie „Wir machen schon Klima“ oder „Biodiversität versteht doch keiner“ hören musste, kommen inzwischen immer mehr Unternehmen aktiv auf mich zu, um sich beim Thema Biodiversität beraten zu lassen.
Aus Ihrer Erfahrung: Wie engagieren sich Unternehmen? Was gibt es da für positive Beispiele?
Fischer: Das fängt an bei der einmaligen Spende für den lokalen Naturschutzverein. Interessanter wird es, wenn Unternehmen sich langfristig und in großem Umfang engagieren. Die Krombacher Brauerei mit ihrer Regenwaldstiftung und dem kontinuierlichen Engagement für den Regenwald in Zentralafrika ist da ein lobenswertes Beispiel. Besonders groß ist der Hebel für positive Effekte, wenn Unternehmen ihr Engagement im Bereich Biodiversität direkt in die eigene Wertschöpfungskette integrieren. So fördert Mondelez International, zu dem Marken wie Milka, Oreo und LU gehören, mit seinem Nachhaltigkeitsprogramms Harmony im Weizenanbau beispielsweise die Minimierung von Pestiziden und Dünger, den sparsamen Verbrauch von Wasser sowie die alternative Nutzung der Anbauflächen von Weizen als Blühfläche. Das sind alles Aktivitäten, die für den Erhalt von Biodiversität wichtig sind.
Und was kann jeder Einzelne tun? Konkret: Worauf sollten Verbraucher beim Einkauf am besten achten?
Fischer: Alles was produziert wird, verursacht irgendwo in der Natur einen Fußabdruck. Grundsätzlich gilt also, nur die Produkte zu kaufen, die man wirklich braucht und solche, die möglichst lange halten. Bei Lebensmitteln sollte man den Fokus auf regional und saisonal legen. Fast wichtiger ist hier aber, möglichst keine Lebensmittel wegzuwerfen. Fast Food, Fast Fashion, Fast Furniture… das ist alles schlecht für Biodiversität.
Gibt es verbindliche Kennzeichnungen oder Siegel, an denen man sich im Supermarkt – oder generell beim Konsum – orientieren kann, um nachhaltig zu shoppen?
Fischer: Es gibt keine wirklichen Biodiversitätssiegel. Eine Orientierung geben aber Bio-, Fair-Trade- oder FSC-Zertifikate, eventuell auch unternehmenseigene Siegel, wie das des oben erwähnten Harmony-Programms. Wer genau wissen möchte, welche Bedeutung hinter einem Siegel steckt, der oder die sollte immer einen Blick in die dahinterliegenden Standards und Regularien werfen.
Und zu Hause? Ist das Insektenhotel auf dem Balkon wirklich sinnvoll oder eher Symbolik? Welche anderen Möglichkeiten hat der Einzelne, die Biodiversität in seinem Umfeld zu fördern?
Fischer: Ein Insektenhotel, insofern es so gebaut ist, dass Insekten es annehmen, ist auf jeden Fall gut. Aber wir wissen von uns selbst, ein Hotel allein genügt nicht. Wer in einem Haus mit Garten wohnt, sollte möglichst wenig Fläche versiegeln und nur einheimische Arten pflanzen. Nisthilfen für Vögel oder Quartiere für Fledermäuse und Igel runden das Bild ab. Aber auch wer in einer Mietwohnung wohnt, kann mit einem entsprechend bepflanzten Blumentopf schon einen kleinen Unterschied machen.
Was ist Ihre Erfahrung: Wie kann man noch mehr Menschen nachhaltiges Verhalten schmackhaft machen, welche Anreize muss man schaffen?
Fischer: Ich gehe davon aus, dass die meisten Menschen lieber etwas Gutes tun, als etwas kaputtzumachen. Wir brauchen mehr Kommunikation zum Thema Biodiversität, damit Menschen besser einschätzen können, was gut und was falsch ist und dann entsprechend handeln können. Oft genügt ein kleiner Schubser, um sich in die richtige Richtung zu bewegen. Also zum Beispiel die Frage in einem Laden, ob man wirklich eine Tüte braucht – eine Frage, die die meisten Menschen dann mit Nein beantworten.
Und spielt der Verbraucher am Ende überhaupt eine große Rolle – oder sind vor allem Politik und Wirtschaft gefragt?
Fischer: Ich bin der Meinung, dass dies eine gesamtgesellschaftliche und somit gemeinschaftliche Aufgabe ist. Natürlich ist auch der Verbraucher gefragt, der seinen Konsum- und Lebensstil überdenken sollte. Genauso jedoch die Politik, deren Verantwortung darin besteht, Schaden von der Bevölkerung abzuwenden. Sie können Weichen stellen und Rahmen vorgeben. Unternehmen erkennen mittlerweile selbst, dass mehr Nachhaltigkeit und intakte Ökosysteme auch wirtschaftlich für sie von Belang sind – dass sie aber als große und wichtige Botschafter ebenfalls aufklären und den gesellschaftlichen Diskurs vorantreiben können und müssen.