Gut sieht er aus. Das leicht gebräunte Gesicht wirkt zwar gealtert, doch es ist kantig und steht in einem attraktiven Kontrast zum kurz geschnittenen eisgrauen Haar, das er straff nach hinten frisiert hat und damit den dynamischen Eindruck noch verstärkt. Ein Mann in den besten Jahren, pflegte man früher zu einem wie ihm zu sagen.
Na ja, das mit den besten Jahren ist so eine Sache. Rein biologisch betrachtet, hat Bill Clinton die längst hinter sich. Auch in der Karriere dürften keine neuerlichen Höhepunkte mehr anstehen, schließlich war er von 1993 bis 2001 Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika. Mehr geht nicht.
Er konzentriert sich auf die angenehmen Dinge des Lebens
Am 19. August wird Bill Clinton 75 Jahre alt, und er sieht aus, als genieße er seinen Ruhestand, der für die Privatperson Clinton tatsächlich die besten Jahre sein dürften, zumal sich sein einst brennender Ehrgeiz nun aufs Schreiben von Büchern, Saxophonspielen und all die anderen angenehmen Dinge des Lebens beschränkt.
Das war früher ganz anders. Da hatte William Jefferson „Bill“ Blythe III – sein leiblicher Vater William Jefferson Blythe Jr. starb 1946 bei einem Autounfall, den Nachnamen Clinton gab ihm erst Jahre später sein Stiefvater Roger Clinton – den unwiderstehlichen Drang zur Nummer eins: mit 22 Bachelor-Abschluss an der renommierten Georgetown-Universität in Washington als Wirtschaftswissenschaftler. Da arbeitete er schon nebenbei als Assistent für den demokratischen Senator J. William.
Ein faszinierendes Power-Couple
1968 erhielt Bill Clinton ein Stipendium für die Universität Oxford in England, 1973 schloss er ein dreijähriges Jura-Studium an der Elite-Uni Yale ab. Dort hatte er auch seine spätere Frau Hillary (73) kennengelernt, eine ebenfalls brillante Juristin, deren Ehrgeiz noch den ihres Mannes übertreffen sollte. Zusammen waren (und sind) sie ein faszinierendes Power-Couple, von dem Amerika nicht so recht weiß, ob man es bewundern oder fürchten soll…
Nach seiner Lehrtätigkeit als Assistenzprofessor für Rechtswissenschaft an der Universität von Fayetteville (US-Bundesstaat Arkansas) wurde das „Boy Wonder“, wie die Presse den jungen Bill Clinton titulierte, mit 30 Generalstaatsanwalt von Arkansas und mit 32 zum jüngsten Gouverneur des Landes.
Die Wiederwahl 1980 hatte er zwar verloren, aber bei den Wahlen zwei Jahre später holte er sich das Amt zurück. Nun war Bill Clinton auch für die demokratische Partei ein großer Hoffnungsträger. Und tatsächlich gewann 1992 der jugendliche Gouverneur von Arkansas die Präsidentschaftswahl. Da war er gerade mal 46.
War er ein großer Präsident?
Zwei Amtszeiten regierte Bill Clinton im Weißen Haus. War er ein großer Präsident? „Die Amtszeit des 42. Präsidenten war nach dem Bankrott des Ostblocks von einem unvergleichlichen Wirtschaftsboom geprägt – die goldenen 90er Jahre“, schreibt das „Manager Magazin“. „Ihm gelang sogar das Kunststück, Etatüberschüsse zu erzielen – heute klingt das wie Schlaraffenland. Politisch gesehen war Clinton, der geborene Rhetoriker mit Verführungsqualitäten, schlichtweg ein Sonntagskind.“
Und der „Deutschlandfunk“ urteilt: „Frieden, Wohlstand und Skandale: So sehen viele Amerikaner heute die Ära von Bill Clinton. Als er das Amt verließ, machte man zwar schmutzige Witze über ihn, trotzdem genoss er die höchste Zustimmung, die ein scheidender amerikanischer Präsident je erfahren hat.“
Außereheliche Affären
„Slick Willie“ (aalglatter Willie), auch so nannten ihn die Journalisten. So soll er bereits als Generalstaatsanwalt von Arkansas eine langjährige außereheliche Beziehung gepflegt haben. „Slick Willie“ bestätigte das nicht direkt, sondern gab später in Anwesenheit seiner Frau Hillary lediglich zu, es hätten seinerzeit „Probleme in der Ehe“ bestanden.
Das ist eine ausgesprochene Spezialität von Bill Clinton: etwas zugeben – und gleichzeitig dementieren. Beispiel: Als man ihm im Präsidentschaftswahlkampf Drogenkonsum vorwarf, gab er zu, als junger Mann Marihuana geraucht – aber nicht inhaliert! – zu haben.
Auch im größten Skandal seiner Karriere, der Lewinsky-Affäre, die zu einem (gescheiterten) Amtsenthebungsverfahren führte, leugnete er hartnäckig, als Präsident mit der damaligen Praktikantin Monica Lewinsky (48) „eine sexuelle Beziehung“ unterhalten zu haben. Später räumte er ein, dass er im Weißen Haus „nur“ Oralsex mit Lewinsky hatte.
Im Laufe dieses Verfahrens, das eigentlich Clinton- nicht Lewinsky-Skandal heißen müsste und heutzutage unweigerlich mit dem Rücktritt des Präsidenten geendet hätte, wurden auch die Vorwürfe anderer Frauen bekannt. Geschichten, die nun mal – bei allen politischen Verdiensten – untrennbar zur Vita sowie zum Ruf von Bill Clinton gehören, der im Ruhestand mit großer Überzeugungskraft den Elder Statesman gibt. Nach zwei Herz-OPs demonstriert er die souveräne Gelassenheit eines Mannes, der alles im Leben erreicht hat.
Zweite Karriere als Redner und Schriftsteller
Er kämpft mit seiner Clinton-Stiftung für preiswertere Aids-Medikamente und engagiert sich für behinderte Menschen. Und er macht eine zweite Karriere als Redner und Schriftsteller: Für seine Memoiren „My Life“ kassierte er einen zweistelligen Millionenbetrag. Soeben hat er mit dem Schriftsteller James Patterson (74) den Polit-Thriller „Die Tochter des Präsidenten“ veröffentlicht. Bereits 2018 hatte das Autoren-Duo mit dem Roman „The President is missing“ einen Bestseller-Erfolg.
Eigentlich lief nur eine Planung im Haushalt Clinton gründlich schief: Ehefrau Hillary Clinton, zuvor Senatorin von New York und Außenministerin der USA, wollte die erste US-Präsidentin werden. Sie unterlag 2016 einem gewissen Donald Trump (75). Da wurde es nichts mit Bill Clintons Lieblingstitel „First Dude“ – erster Kumpel der Nation.
Stattdessen geistert immer noch ein Bonmot über ihn von Präsident George W. Bush (75), einst politischer Gegner, heute ein Freund, durch Washington: „Wäre Clinton die ‚Titanic‘, der Eisberg wäre gesunken“.