Als Petra Gerster (66) in den „heute“-Nachrichten angefangen hat, zu gendern, gab es heftige Reaktionen. Zusammen mit ihrem Mann Christian Nürnberger (70) veröffentlicht sie nun das Buch „Vermintes Gelände – Wie der Krieg um Wörter unsere Gesellschaft verändert: Die Folgen der Identitätspolitik“ (Heyne). Im Interview mit spot on news verrät Gerster, wie sehr sie der Shitstorm getroffen hat und wie sie die Zeit seit ihrer letzten Sendung im Mai 2021 erlebt hat.
Liebe Frau Gerster, zusammen mit Ihrem Mann haben Sie das Buch „Vermintes Gelände“ verfasst. Was ist das Wichtigste, was Sie Ihren Lesern und Leserinnen darin mitgeben möchten?
Petra Gerster: Wir möchten mit unserem Buch um Verständnis dafür werben, dass sich vieles gerade fundamental verändert. Die weitgehend homogene Gesellschaft der 50er und 60er Jahre ist passé; heute haben wir ein multikulturelles, multireligiöses und multigeschlechtliches Deutschland. Das erzeugt Konflikte und Diskriminierungen, und darauf müssen wir reagieren. Zum Beispiel mit einer gerechteren, inklusiven Sprache.
Warum sorgt das Gendern für so heftige Diskussionen?
Gerster: Das Gendern mit der kleinen Sternchen-Pause ist für viele erst mal ungewohnt und fremd, also lehnen sie es ab. Wir hängen verständlicherweise an der Sprache, wie wir sie von klein auf gelernt haben. Dann gibt es noch die, die das Sternchen aus Gründen der Ästhetik verweigern, oft sind dies Autor*innen. Auch das kann ich nachvollziehen. Aber dann gibt es noch die Aktivisten unter den Gender-Gegnern – meistens ältere Herren, die mit dem generischen Maskulinum im Grunde ihre Vormachtstellung erhalten wollen. Da geht es ganz klar um Ideologie, um die Privilegien des „alten weißen Mannes“.
Sind es tatsächlich „alte, weiße Männer“, die das größte Problem mit der Gendersprache haben?
Gerster: Zum überwiegenden Teil ja, das sehe ich an den Briefen, die mich dazu erreicht haben. Und man erkennt es auch in den ganzseitigen Experten-Artikeln in FAZ und NZZ und bei den Leserbriefen – da schreiben viele emeritierte Professoren, aber selten bis nie jüngere Sprachwissenschaftler*innen. Ich glaube, da fürchtet eine ganze Generation, mit der männlich geprägten Sprache auch die Deutungshoheit zu verlieren.
Plädieren Sie für eine offizielle Gender-Vorgabe?
Gerster: Um Himmels Willen nein, wir sind ja noch in der Experimentierphase. Sprache muss wachsen, muss sich von selbst entwickeln und darf nicht von oben oktroyiert werden. Allein dieser Prozess der Bewusstwerdung, der Sensibilisierung für die Bedeutung von Sprache ist schon ein großer Schritt. Aber es ist viel zu früh, um irgendwelche Ge- oder Verbote auszusprechen. Schauen wir mal, wie sich die Sache entwickelt und was sich durchsetzt in den nächsten Jahren. Ich plädiere jedenfalls für Gelassenheit!
Möglichkeiten, in der Schriftsprache zu gendern, gibt es viele: Sternchen, den Binnendoppelpunkt oder Binnenunterstrich, aber auch das große Binnen-I. Warum bevorzugen Sie das Sternchen?
Gerster: Das Sternchen steht bei der Suche im Netz ja für eine Leerstelle, an die etwas angefügt werden kann. Insofern ist es geradezu ideal, um neben den Frauen auch Menschen anzusprechen, die sich nicht eindeutig männlich oder weiblich fühlen. Das hat uns übrigens auch das Bundesverfassungsgericht aufgetragen, als es 2017 das dritte Geschlecht offiziell anerkannt hat. Das Sternchen bezeugt den Respekt auch vor nichtbinären Menschen, die bisher immer ausgegrenzt waren. Deshalb ziehe ich es den anderen Formen vor.
Wirkt sich das Gendern beim Sprechen und Schreiben auf das Verhalten der Menschen aus?
Gerster: Sprache ist Ausdruck unseres Denkens und geht dem Handeln voraus. Wie heißt es in diesem alten Spruch: Achte auf Deine Gedanken, denn sie werden Deine Worte, achte auf Deine Worte, denn sie werden Dein Handeln. Also – ja. Wer höflich und respektvoll mit seinem Gegenüber spricht, wird ihm sicher nicht anschließend ins Gesicht spucken. Aber ebenso klar ist: Eine bewusste Sprache kann den Kampf um faktische Gleichberechtigung nicht ersetzen, sondern allenfalls ergänzen.
Was entgegnen Sie Kritikerinnen und Kritikern, die immer wieder betonen, es gebe wichtigere Probleme als das Gendern?
Gerster: Es gibt immer wichtigere Probleme. Klimawandel, Hunger, den krassen Unterschied zwischen Arm und Reich. Mit diesem Argument lässt sich jede Diskussion abwürgen. Wer Gendern oder die Suche nach einer gerechten Sprache eine Luxusdiskussion nennt, verkennt jedoch die Zeichen der Zeit. Es geht nicht um Formalitäten, sondern um viel mehr: um Geschichte, Herkunft, Ethnie, Hautfarbe und Geschlecht – kurz um Identität. Und um den Wunsch nach Teilhabe. Damit müssen wir uns auseinandersetzen, ob wir wollen oder nicht.
Als Sie in den „heute“-Nachrichten angefangen haben, zu gendern, gab es heftige Reaktionen. Hat Sie dieser Shitstorm oder einzelne Reaktionen persönlich getroffen?
Gerster: Anfangs ja. Mit so viel Wut und Empörung hatte ich nicht gerechnet. Aber die Reaktionen haben mir auch gezeigt, dass es offenbar um mehr geht als mein moderates, sehr gelegentliches Gendern. Da wird tatsächlich ein Kampf geführt gegen die Zumutungen der modernen Welt. Das war für uns der eigentliche Anlass, das Buch zu schreiben: nicht nur übers Gendern, sondern darüber hinaus über den Kampf von Minderheiten und ihre Selbstermächtigung.
Und welche Rolle spielen die sozialen Medien dabei?
Gerster: Die sozialen Medien sind die Brandbeschleuniger unserer Zeit: Sie sorgen für schnelle Erregungszustände, denn je emotionaler und wütender ein Tweet oder Post, desto mehr Klicks bekommt er – die Währung in dieser Welt. Und keine journalistische Instanz weit und breit, die ordnend und moderierend eingreift. Wer am lautesten schreit, gewinnt. Insofern tragen die sozialen Medien wesentlich zur Spaltung der Gesellschaft bei.
Sie hatten den „Wunsch, erst mal ein bisschen auszuspannen. Muße wollte ich haben, reisen, über einen Hund nachdenken“. Wie steht es derzeit mit diesen Plänen?
Gerster: Statt auszuspannen haben wir den ganzen Sommer über geschrieben, und jetzt haben wir viele Termine, um über das Buch zu reden. Der Hund muss leider noch warten – auch vierbeinige Babys brauchen Zeit, Ruhe und Zuwendung.
Vermissen Sie manchmal die Moderation der „heute“-Nachrichten?
Gerster: Was ich vor allem vermisse, ist mein Team, mit dem ich furchtbar gern zusammengearbeitet habe. Gerade habe ich eine große Party für die heute-Redaktion gegeben, das war ein schöner Abschluss! Jetzt ist meine Zeit als News-Lady um, andere sind an der Reihe, und die machen es ebenso gut.
Ende des Jahres verabschiedet sich auch Ihr langjähriger ZDF-Kollege Claus Kleber in den Ruhestand, welche Worte möchten Sie ihm mit auf den Weg geben?
Gerster: Ich glaube, da muss jeder selbst seinen Weg finden.
Das Jahr neigt sich langsam dem Ende, wie lautet Ihr Fazit für 2021?
Gerster: Für mich war es megaaufregend und ziemlich anstrengend. Das nächste darf etwas ruhiger ausfallen.
Was wünschen Sie sich für 2022?
Gerster: Dass sich noch ein paar Sturköpfe besinnen und sich impfen lassen, damit wir der Pandemie endlich Adieu sagen können.