Veröffentlicht inBuzz

Kampf dem Weihnachtsstress: So bleiben wir über die Feiertage gelassen

Für viele ist Weihnachten die stressigste Zeit im Jahr. Martina Leisten gibt im Interview Tipps, wie sich Betroffene weniger unter Druck setzen.

Die Weihnachtszeit löst in vielen eine Welle des Stresses aus.. © Kaspars Grinvalds/Shutterstock.com
Die Weihnachtszeit löst in vielen eine Welle des Stresses aus.. © Kaspars Grinvalds/Shutterstock.com

Ob dekorieren, Plätzchen backen, Geschenke kaufen oder für die ganze Familie kochen: Weihnachten gilt zwar als schönste Zeit des Jahres, löst aber in vielen jede Menge Druck und Stress aus. Life- und Job-Coachin Martina Leisten, Autorin von „Under Pressure“ (mvg Verlag), klärt im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news auf, was den alljährlichen Weihnachtsstress eigentlich auslöst und verrät, wie wir diesem entgegenwirken können.

Jedes Jahr löst Weihnachten in vielen Menschen Stress aus. Woran liegt das?

Martina Leisten: Während man sich als Kind wie ein Schneekönig bereits mit dem Öffnen des ersten Türchens vom Adventskalender auf das Weihnachtsfest freute, versiegt dieses schöne Gefühl im Erwachsenenalter oft wie ein Rinnsal in der Wüste. Das ganze Drumherum, das früher von Eltern oder Lehrern organisiert wurde, müssen wir jetzt selbst in die Hand nehmen. Und stellen fest, dass es uns häufig schon Ende August beim Anblick der ersten Lieferung Marzipankartoffeln und Lebkuchen im Supermarkt davor graut, was uns bis Weihnachten noch alles an Aufgaben bevorsteht. Weihnachtliche Dekoration der Wohnung, Plätzchen backen, Geschenke besorgen oder diverse Weihnachtsfeiern sind häufig feste Punkte im Terminkalender, die uns auf Weihnachten einstimmen sollen. Stattdessen führen sie bei vielen Menschen statt zu Vorfreude zu dem Gefühl von Stress, Überforderung oder gar Ablehnung. Ein festes Datum, an dem sich alle in Liebe und Dankbarkeit in einem schönen Ambiente in die Arme fallen sollen, hat eben auch einen gewissen „Muss-Faktor“. „Müssen“ und „Sollen“ führen bei vielen Menschen als Aufforderungen des sogenannten „inneren Antreibers“ zu dem Gefühl von Stress. Man erhält das Gefühl, dass etwas von einem verlangt wird und man etwas zu erfüllen habe.

Was passiert bei all dem Stress mit Geist und Körper?

Leisten: Der Druck, der sich besonders in der Weihnachtszeit von außen an uns richtet oder den wir uns selbst in unserem Inneren erschaffen, löst zunächst physiologische Reaktionen wie das Ausschütten von Stresshormonen aus. Dies wiederum kann dann dazu führen, dass wir buchstäblich unter Strom stehen und dadurch schlecht abschalten können oder gereizt reagieren. Wir fühlen uns dann manchmal auch einfach überfordert, bekommen ein schlechtes Gewissen und würden manchmal gerne diesen ganzen „Weihnachtsquatsch“ hinter uns lassen. Kurzum, Körper und Geist können in einen Ausnahmezustand geraten. Das, was uns vor Jahrtausenden dazu verhalf, in Gefahrensituationen vor einem wilden Tier zu fliehen, hält nunmehr unser Nervensystem auf Dauerspannung. Da Körper und Geist eine Einheit bilden, sind die Reaktionen auf Druck fast immer auf beiden Ebenen spürbar. Wer unter Stress steht, macht sich häufig nicht nur selbst viele Vorwürfe oder steckt in einer Grübelspirale, sondern merkt zusätzlich auch am knirschenden Kiefer oder verspannten Nacken, dass ihn da etwas beschäftigt. Wir vergessen zu essen oder uns Pausen zu gönnen und halten hierdurch die Stressspirale aufrecht.

Welche Tipps haben Sie in Sachen Geschenkedruck?

Leisten: Durch Geschenke möchte man seinem Gegenüber seine Aufmerksamkeit, Wertschätzung oder Liebe signalisieren. Hier ist der Erwartungsdruck oft besonders hoch. Gerade dann, wenn man im Vorjahr vom Liebsten ein ganz besonderes Geschenk erhalten hat, möchte man ihm nicht nur mit einem lapidaren Sechserpack Boxershorts gegenübertreten. Sich der eigenen Erwartungen und der des Gegenübers bewusst zu werden, ist ein erster Schritt: „Wird das wirklich von mir erwartet oder vermute ich das nur?“ bzw. „Was erwarte ich eigentlich von mir selbst?“. Hierdurch gelangt man dann in die aktive Position, die Situation zu reflektieren und selbst eine Entscheidung treffen zu können. Auch die Frage „Ist ein teures Geschenk wirklich wertvoller als ein Individuelles, mit viel Liebe gestaltetes?“ könnte an dem Punkt wichtig sein.

Das Vergleichen mit anderen ist in diesem Zusammenhang auch ein wichtiger Faktor, der zu Stress führt. Wer sich fragt: „Wie stehe ich denn da, wenn meine Freunde mitkriegen, dass ich meiner Frau nicht ihren Wunsch vom Diamantring erfüllen konnte?“ macht sich im Selbstwert abhängig von den Meinungen anderer. Sich darüber bewusst zu werden und sich davon zu befreien, ist gerade bei Weihnachtsgeschenken enorm hilfreich. Man kann sich abschließend auch fragen: „Worum geht es mir eigentlich beim Schenken?“ Hierbei hilft es auch, sich zu erinnern, über welche Geschenke man sich selbst ganz besonders gefreut hat. Da erinnert man sich dann vielleicht, dass der gerahmte Schnappschuss aus dem letzten Urlaub besser ankam als die teure Armbanduhr, die immer noch ungenutzt in der Schublade liegt.

Warum neigen wir gerade an Weihnachten häufig zum Perfektionismus?

Leisten: Weihnachten ist einfach etwas Besonderes. Die meisten haben schöne Kindheitserinnerungen daran oder sehen in den Medien, wie viel Mühe man sich mit diesem Fest gibt. Der beste Nährboden also, um seinen eigenen Perfektionismus vollends erblühen zu lassen. Dass über dem ganzen Fest auch ein göttlicher Aspekt steht, verstärkt für einige den Perfektionismus noch mehr. Aber auch diejenigen, die nicht religiös sind, verbinden mit diesem Ereignis vor allem eines: Harmonie! Zank und Streit haben einfach keinen Platz unter dem Tannenbaum. Und doch oder gerade deshalb wird zu diesem Fest am häufigsten gestritten. Durch diesen besonderen Wunsch nach Harmonie zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt erhöht sich der Druck.

Sich den eigenen Perfektionismus vor Augen zu halten und zu ändern, kann man, indem man sich zunächst fragt: Was würde passieren, wenn ich keine 100 Prozent, sondern nur 80 geben würde? Man würde merken, dass die anderen vielleicht gar nicht alles so streng sehen, wie man selbst. Man würde erkennen, dass es vor allem die eigene Angst vor der Enttäuschung der anderen ist, die einen dazu antreibt, an seine eigenen Grenzen zu gehen. Es gibt die unterschiedlichsten Motive für Perfektionismus. Seine eigenen herauszufinden, verhilft dazu, sich von ihnen lösen zu können.

Wie schaffen es Betroffene, ihre durch Stress ausgelöste Frustration nicht an anderen auszulassen und stattdessen gelassen zu bleiben?

Leisten: Andere als Blitzableiter des eigenen Frusts zu benutzen, ist häufig eine unbewusste Handlung. Man könnte auch sagen eine Art automatisierte Weiterleitung. Hierbei ist es wichtig, sich als erstes über genau diese Handlung bewusst zu werden. Das geschieht entweder durch Rückmeldungen anderer oder durch die eigene Beobachtung. Das Verstehen, warum ich meinen Frust an anderen auslasse, ist der nächste Schritt. Denn ohne es zu wollen, gebe ich meine eigenen Schuldgefühle in veränderter Form wie z.B. durch Vorwürfe oder passiv-aggressives Verhalten weiter. Sich mutig mit sich und seinen eigenen ungeliebten Emotionen zu befassen, verhilft dazu, den anderen gegenüber gelassen zu bleiben.

Wie kann man Betroffenen helfen, deren Psyche durch den Druck besonders leidet?

Leisten: Nahestehenden Menschen helfen zu wollen, die unter Druck stehen, bedarf vor allem der Erkenntnis, dass diese Menschen auch eine Eigenverantwortung haben. Man kann sie vor allem darin unterstützen, sich selbst zu helfen. Wer nicht erkennt, dass er selbst auch einen eigenen Anteil daran hat, dass er unter Druck leidet, wird die Ursachen häufig nur im Außen suchen. Die ach so ungnädige Schwiegermutter oder den ewig nervenden Onkel wird man jedoch nicht ändern können. Man hat es aber selbst in der Hand, wie man mit deren Verhalten umgeht und ob man sich durch sie unter Druck setzen lässt oder nicht. Wenn ich lerne, sanfte Spitzen oder monotone Vorträge an mir abprallen zu lassen, sie also nicht persönlich zu nehmen, schaffe ich Distanz zwischen mir und meinem Gegenüber. Und erhalte Raum für meine eigene Meinung. Anhand dieser Position gelingt es dann leichter, sich weniger unter Druck setzen zu lassen.

Als Angehörige kann man dazu ermutigen, Situationen bewusster wahrzunehmen und zu reflektieren. Verständnis, Empathie und vor allem Geduld sind im Umgang mit anderen, die Druck empfinden, besonders hilfreich. Gut gemeinte Ratschläge indes verstärken den Druck häufig noch mehr. Das Gegenüber fühlt sich dann noch unzulänglicher, obwohl man ihm eigentlich nur helfen möchte. Zuhören und Fragen stellen hingegen nimmt den Druck aus der Situation und fördert die Reflektion bei demjenigen, der unter Druck leidet.

(eee/spot)