Ich habe Henrik vor 3 Jahren im Studium kennengelernt. Wir hatten relativ schnell einen guten Draht zueinander, haben keine 200 Meter entfernt voneinander gewohnt und viele Abende zusammen verbracht. Gras war fester Bestandteil seiner – und zugegebenermaßen auch meiner – Abendroutine. Wir haben häufig über seine Erfahrungen mit Drogen gequatscht, auch über seine Heroinabhängigkeit.
Heroin macht abhängig – Wir zeigen, wie sehr
Bestimmte Drogen machen abhängig, sind gefährlich und haben einige Leben ruiniert. Passend zur neuen Serie „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“, die am 19.02. bei Amazon Prime rauskommt, wollen auch wir unseren Teil dazu beitragen, über Drogen aufklären und die Welt zeigen, wie sie wirklich ist.
Interview mit einem ehemals Heroin-Abhängigen – Teil 1
wmn: Hi, Henrik, ich will direkt mit einer kurzen Unterhaltung zwischen uns einsteigen, die mir im Gedächtnis geblieben ist. Du meintest damals, dass du komplett reines Chrystal Meth (oder etwas in der Art) aus irgendeiner Apotheke hast. Ich entgegnete daraufhin, dass es ja immer noch Chrystal sei, also schädlich.
Daraufhin sagtest du, dass die ganzen Schreckensbilder, die wir von Abhängigen haben, nur entstehen, weil Drogen ständig gestreckt werden, Abhängige also gezwungen sind, sich gepanschtes Zeug zu geben. Die Droge an sich sei erst einmal nur eine Droge.
Ich hatte schon immer das Gefühl, dass du sehr objektiv an das Wort „Droge“ rangehst. Du unterscheidest nicht zwischen Medikamenten und Drogen. Letztendlich sind für dich beides Stoffe, die irgendeine Auswirkung auf den Körper oder die Psyche oder beides haben. Stimmt das? Beziehungsweise: Was sind Drogen für dich?
Henrik: Das Problem in der Diskussion um die Drogen beginnt schon beim Begriff „Droge“. Dieser umgangssprachlich verwendete Begriff der nach seiner Wortherkunft nur so viel wie „etwas Getrocknetes“ bedeutet, verhindert eine hochwertige Diskussion um die Substanzen und die Prohibition.
Objektiv sind diese Drogen „psychoaktive Substanzen“ und pauschal erstmal weder gut oder böse. Sie sind in jedem Fall vorhanden und wir können entscheiden, wie wir damit umgehen. Stark vereinfacht könnte ich sagen, psychoaktive Substanzen sind für mich Werkzeuge und manchmal auch Genussmittel.
Psychoaktive Substanzen sind für mich Werkzeuge und manchmal auch Genussmittel. – Henrik
wmn: Du kommst eigentlich aus einem Umfeld, das man als „wohlbehütet“ beschreiben würde… In welchem Alter hat das angefangen und wie hat sich dein Konsum entwickelt?
Henrik: Ich hatte tatsächlich eine behütete Kindheit. Zumindest materiell hat es nie an etwas gemangelt. Ich habe dann mit 16 angefangen mit Cannabis zu experimentieren. Ich war eigentlich immer total contra Drogen, aber ich hatte in dem Alter ein prägendes Erlebnis, was dazu geführt hat, dass ich dieses Prinzip über Bord geworfen habe und bereit war Dinge auszuprobieren.
Kurz nach diesem Ereignis nahm mich eine Freundin mit auf ein Marsimoto-Konzert und obwohl ich damals noch nichts konsumiert habe, habe ich den Vibe gefeiert und wollte dann auch mal kiffen. Keiner meiner Freunde, die damals dabei waren, hat zu der Zeit geraucht.
In den kommenden Wochen hörte ich mich in der Schule um und bekam dann nach nicht allzu langer Zeit ein Gramm Northern Lights (Hanfsorte) für 17 €. Das habe ich mit zwei Freunden zusammen versucht zu rauchen, aber da wir alle keine Ahnung hatten, ist nicht viel passiert. Mit der Zeit haben wir natürlich alle dazu gelernt und Cannabis für uns entdeckt, Alkohol kam erst später dazu.
Als Cannabis sich als vergleichsweise harmloses, angenehmes Genussmittel herausgestellt hat, waren wir nicht abgeneigt, auch weiter Produkte aus dem BTMG (Betäubungsmittelgesetz) zu testen. Unsere Quellen waren damals vor allem der YouTuber Christian Rätsch und der Nachtschatten Verlag, neben diversen Foren, in denen man normal eher lesen kann, wie man es nicht machen sollte. Wir informierten uns über die psychedelischen Substanzen und testeten sie der Reihe nach innerhalb circa eines Jahres.
wmn: Was habt ihr damals alles genommen?
Henrik: LSD, Psylocibin (Pilze), Salvia Divinorum (Zauber-Salbei), DMT, MDMA. Jedem dieser Stoffe wurde dann ein gemeinsames Wochenende gewidmet und wir haben uns als Freundeskreis in unbekannte verbotene und wunderbare Welten begeben. Verzeih mir an der Stelle die Romantisierung, aber das bringt es glaub ich authentisch rüber.
Aber Konsum von Psychedelika war eher die Ausnahme. An drei von vier Wochenenden wurde dann doch einfach nur getrunken und vielleicht ein wenig geraucht. Später testeten wir auch noch die üblichen Partydrogen, aber informiert und so verantwortungsbewusst wie es uns nötig erschien. Keiner, der damals involvierten konsumierte irgendwas außer Gras regelmäßig. Cannabis wurde allerdings mit der Zeit zu einer alltäglichen Sache.
wmn: Woher kam dein Interesse für die Drogen?
Henrik: Mein starkes Interesse und der immer tiefere Einstieg in die „Welt der Drogen“ ist auf die Illegalität zurückzuführen. Ich habe mich ein wenig verarscht gefühlt, nachdem ich durch Selbstversuche herausfinden musste, dass was man mich in der Schule über Cannabis und Co. gelehrt hat nur die halbe Wahrheit war.
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Aus Neugierde und Trotz bin ich immer weiter eingestiegen.
wmn: Wie ging es in deiner Drogen-Historie weiter?
Henrik: Nach meinem Umzug fürs Studium hatte ich keine einfache Zeit. Und so habe ich damals angefangen, Opiate zu konsumieren, um das Loch zu füllen, das mein zurückgelassener Freundeskreis hinterlassen hat. Ich habe Kokain, Lorazepam, Oxycodon, Tramadol, Tilidin, Codein, Ketamin und Heroin ausprobiert. Ich habe das bewusst gemacht und dachte ich könnte es kontrollieren. Aber sie wurden letztendlich zu wichtig für mich im Alltag und der Konsum wurde täglich.
wmn: Ich habe nie erlebt, dass du auf Heroin etc. vor Freude durchgedreht wärst oder vollkommen glücklich wirktest. Da war immer etwas Verhaltenes, obwohl du high warst…
Henrik: Bei der Wirkung ist immer wichtig daran zu denken, dass jeder Mensch unterschiedlich wahrnimmt und unterschiedlich auf Substanzen reagiert. Opiate wirken auf jeden Fall jedes Mal absolut verlässlich, also genau gleich. Sie wirken schmerzlindernd und beruhigend.
Kurzum, egal was gerade ist, es fühlt sich alles in Ordnung an. Man kann einfach funktionieren, ob am Arbeitsplatz oder auch beim WG Essen wenn man eigentlich gar keinen Bock auf seine WG hat. Auch Selbstzweifel und negative Gedanken belasten einen nicht mehr und es fühlt sich natürlich und gut an. Als könnte und sollte es immer so sein.
Im Laufe der Zeit, wenn man körperlich abhängig wird, hat man keinen wirklichen Rausch mehr, aber man funktioniert und alles Negative bleibt außen vor. Berauscht fühlt man sich nur noch, wenn man die Dosis stark erhöht.
wmn: Wie hast du das finanziert?
Henrik: In meiner Heimatstadt habe ich angefangen Cannabis für meine Freunde mit zu kaufen, dann an sie zu verkaufen und dann an auch an andere. Damals habe ich mit dem Verkauf meinen Eigenbedarf finanziert.
Später im Studium hatte ich das Glück, einen unglaublich gut bezahlten Nebenjob als Cutter zu haben, der möglich gemacht hat meine Sucht zu finanzieren die sich bis dahin entwickelt hat. Das waren jedoch circa 100 € im Monat für Cannabis und Opiate. Zu Höchstzeiten vielleicht mal ein wenig mehr und manchmal etwas weniger. Und ich bin vom teuren Oxycodon umgestiegen auf das billigere Heroin.
wmn: Wie viel Geld hast du insgesamt dafür ausgegeben?
Henrik: Pro Droge wahrscheinlich relativ wenig, da ich Cannabis wie gesagt meistens zu Käuferpreisen bekommen habe und im Internet auch eine ganz andere Preislage herrscht als auf der Straße. Beispielsweise haben wir für „Teile“, die geprüft waren, nicht mehr als drei Euro pro Stückgezahlt, während sie auf der Straße für zehn bis 15 € gehen.
Auch später, als es mit Dauerkonsum und Opiaten losging, hatte ich Glück mit den Preisen. Die Heroinpreise sanken damals aufgrund von starken synthetischen Opiaten, die auf dem Markt erschienen. Ich habe für ein Gramm mit circa 20 bis 30 Prozent Reinheit 30 € gezahlt. Und mit kontrolliertem Konsum kommt man mit 60 € dann über einen Monat.
wmn: Du meintest vorhin, dass die Opiate zu wichtig für dich wurden. Ist der „normale“ Alltag dann überhaupt noch möglich?
Henrik: Einer meine Kontakte war oder ist Krankenpfleger. Er selbst war regelmäßiger Methamphetamin-Konsument, um die Strapazen des Jobs und den geringen Schlaf zu bewältigen. Äußerlich sah man ihm das nicht an. Seinen Angaben zu Folge ist er auch nicht der einzige in der Branche, die zu Hilfsmitteln greifen, die stärker sind als Kaffee.
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„…um die Strapazen des Jobs und den geringen Schlaf zu bewältigen.
Also ja, sofern man seinen Konsum im Griff hat, ist ein normales Leben absolut möglich. Wie eine Dauermedikation, die vom Arzt verschrieben wird, nimmt man regelmäßig sein „Medikament“ und kann arbeiten, studieren, schmerz- oder belastungsfrei leben.
Aber eben nur sofern man sein Medikament regelmäßig, verlässlich und in konstanter Qualität erhält. Und solange man sich seine „Medikamente“ auf dem Schwarzmarkt besorgen muss ist das leider nicht gewährleistet. Ich gehe jedoch davon aus, es gibt eine große Dunkelziffer an Leuten die abhängig sind und gleichzeitig ein „normales“ Leben führen.
wmn: Letztenendes hattest du deinen Konsum nicht mehr im Griff. Trotzdem hast du im Alltag ab und an funktioniert, bist selten zur Uni und hast ein paar Abgaben verpennt, aber immerhin ein paar Klausuren mitgeschrieben.
Alles in allem aber so, dass man dich als außenstehende Person als verpeilt eingeschätzt hätte und nicht als Süchtigen. Du bist ziemlich intelligent, bist eigentlich auch ohne viel zu Lernen durch die Klausuren und durch das Studium gekommen. Trotzdem hatte ich das Gefühl, der Alltag war Nebensache.
Henrik: Es gab Zeiten, in denen Studium Arbeit und Konsum zusammen funktioniert haben. Da hatte ich einen, für einen Studenten, normalen Tagesrhythmus mit dem Unterschied, dass ich Heroin rauchte, wenn ich in die Pause ging und nicht nur die Zigarette. Vielleicht ein wenig dünner und blasser als andere Kommilitonen, aber sonst nicht von ihnen zu unterscheiden.
Vielleicht ein wenig dünner und blasser als andere Kommilitonen, aber sonst nicht von ihnen zu unterscheiden.
Ja ich war auch in Seminaren und Klausuren bekifft und auch auf härteren Dingen, wenn ich grade abhängig war. Aber auch mal nüchtern; also unterschiedlich. Und die Klausuren, vor denen ich Bleche geraucht habe, habe ich nicht bestanden. Aber ein kleiner Joint vor einem Seminar war auf jeden Fall mal drin.
In Zeiten, in denen es mir aus verschiedenen Gründen dann schlechter ging und mein Konsum unkontrolliert wurde, war mein Alltag nur noch vom Konsumieren dominiert. Da bin ich dann schon nach spätestens sechs Stunden Schlaf schweißnass im Bett aufgewacht und musste erstmal 20 Minuten rauchen, damit es wieder klar geht. Und das dann alle drei bis vier Stunden.
Alles über Henriks Entzug, Schmerzen, Wahnsinn und wie die Drogen ihn verändert haben erfährst du im zweiten Teil unseres Interviews.
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