„So lange habe ich noch nie auf eine Premiere warten müssen“: „Harry Potter“-Darsteller Markus Schöttl spricht im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news über den „Schock“, den er Anfang 2020 erlebt hat. Im März sollte das Theaterstück „Harry Potter und das verwunschene Kind“ im Mehr! Theater am Großmarkt in Hamburg Deutschlandpremiere feiern. Die Corona-Pandemie kam dazwischen. Am 5. Dezember ist es nun so weit, die Premiere des Stücks steht an.
Schöttl, der die Zeit unter anderem mit ehrenamtlicher Arbeit in seiner Heimat Österreich überbrückt hat, verkörpert in dem Stück einen inzwischen erwachsenen Harry Potter. Jetzt freut er sich, wieder auf der Bühne zu stehen. Zusammen mit der Berliner Schauspielerin Jillian Anthony, die Hermine Granger spielt, verrät er, auf was sich die Zuschauer freuen können.
Wie ist es für Sie, in die Kultrollen zu schlüpfen, die Millionen von Fans seit ihrer Kindheit begleiten? Verspüren Sie besonderen Druck?
Markus Schöttl: So eine große Rolle, eine Kultrolle, die fast ikonische Züge hat, zu verkörpern, ist auf alle Fälle etwas Besonderes. Tatsächlich verspüre ich gar keinen Druck. Ich wurde sehr sorgfältig in einem Bewerbungsprozess ausgesucht, der lange gedauert hat. Das ganze Verfahren zog sich über fast ein halbes Jahr und drei Runden. Ich habe relativ schnell nach dem Beginn der Proben gemerkt, wie viel Zugang ich zu der Figur habe, wie sie heute geschrieben ist.
Dadurch, dass 20 Jahre vergangen sind, stellt sich für mich nicht unbedingt der Druck ein, dass ich irgendeinem Ideal entsprechen muss, wie zum Beispiel Daniel Radcliffe. Denn wir verändern uns ja, wenn wir altern und gewinnen neue Erfahrungen und Einsichten. Dass ich ihn jetzt darstellen darf, empfinde ich als großes Geschenk. Ich finde es richtig spannend, dass ich den Fans diesen erwachsenen Harry präsentieren und dem Publikum seine inneren Nöte, seine Gedanken, seine Sichtweisen näherbringen darf durch meine Darstellung.
Jillian Anthony: Ich finde es wundervoll. Ich fühle mich sehr geehrt. Ich bin froh, dass ich diejenige sein darf, die in diese Rolle der Hermine Granger schlüpft und freue mich und hoffe, das Publikum zu begeistern.
Die beiden Figuren sind durch den großen Erfolg der Filme sehr mit den Schauspielern Daniel Radcliffe und Emma Watson verbunden. Was bedeutet das für Sie?
Schöttl: Daniel Radcliffe hat vor allem den jungen und den jugendlichen Harry dargestellt. Meine Aufgabe ist es jetzt, einen möglichst glaubwürdigen erwachsenen Harry zu spielen. Dadurch, dass ich selber 43 bin, also eigentlich genau in dem Alter, in dem Harry im Stück ist, denke ich, dass ich einen ganz guten Erfahrungshaushalt mitbringe. Wenn man so will, hatten die ihre Zeit und wir haben jetzt unsere. So versuche ich das zumindest zu sehen.
Anthony: Das Schöne ist, dass ich die Figuren, vor allem Hermine, heranwachsen sehen konnte. In den sieben Teilen ist sie mir sehr ans Herz gewachsen. Und jetzt, 19 Jahre später, das Stück auf der Bühne auch noch selbst zu spielen, ist eine große Ehre und eine große Freude. Ich möchte gar nicht vergleichen mit anderen. Das ist, was jetzt gerade passiert. Und ich sehe mich als diese Rolle und als Hermine Granger.
Wann sind Sie persönlich das erste Mal mit den „Harry Potter“-Büchern- und Filmen in Berührung gekommen?
Schöttl: Ich habe die Bücher zu lesen begonnen, als klar war, dass ich die Rolle spielen werde. Zu der Zeit, als die Bücher rauskamen, stand ich gerade kurz davor, mein Schauspielstudium in Wien zu beginnen. Und da hatte ich einfach ganz anderen Lesestoff auf meinem Nachtkästchen. Die Filme habe ich ausschnittsweise schon gekannt, aber auch nie wirklich bewusst angeschaut. Das habe ich dann in der Vorbereitung und in der Recherche zum Stück und zu der Rolle gemacht. Mittlerweile kenne ich mich ganz gut aus im „Harry Potter“-Kosmos.
Anthony: Ich habe vorher gar nicht alle Filme gesehen. Die Bücher hatte ich nicht gelesen. Zu den Vorsprechen, der Einladung zum Casting, habe ich mich dann intensiv damit befasst und bin alles durchgegangen, habe alles bearbeitet und durchgelesen.
Was ist der größte Unterschied zwischen Hermine und Harry aus den sieben Büchern und acht Filmen – und den Figuren 19 Jahren später in „Das verwunschene Kind“?
Schöttl: Der größte Unterschied ist sicher, dass sie erwachsen sind und selbst Kinder haben. Das, was ihnen als Kinder und Jugendliche passiert ist, begegnet ihnen auf eine gewisse Weise im Stück wieder. Teilweise werden Dinge aus der Vergangenheit, aus dem Unterbewusstsein ins Bewusstsein gerufen. Es ist wie in der Realität: Wenn wir den Prozess durchlaufen, von Kindern zu Erwachsenen zu werden und dann selber Kinder in die Welt setzen und die nächste Generation heranwachsen sehen, stellen wir uns Fragen. Wie wollen wir sie erziehen? Was für Werte wollen wir ihnen weitergeben? Wie war meine Kindheit und Jugend? Was sind die Werte, die für mich wichtig waren? Welche Menschen waren Mentoren oder Feindbilder?
Sie sind jetzt altersmäßig an dem Punkt, an dem sie das erste Mal auch ein bisschen Bilanz ziehen über ihr Leben. Beide haben relativ erfolgreiche Positionen in der Administration der Zaubererwelt übernommen. Hermine Granger ist Ministerin für Zauberei und Harry leitet die Strafverfolgung. Gleichzeitig gibt es das Privatleben. Dass der Erfolg im Beruf nicht unbedingt auch Lebensglück privat bedeutet, ist landläufig bekannt. Es geht darum, diesen Ausgleich zu finden, in diese Rollen reinzufinden, ein guter Vater zu sein und trotzdem seinem Beruf nachzugehen. Und sich auch zu fragen: Was möchte ich diesem Kind weitergeben? Was habe ich alles noch aufzuarbeiten, bevor ich Ratschläge geben kann?
Anthony: Hermine ist eine erwachsene Frau geworden. Hermine ist sehr viel selbstbewusster. Sie lässt sich nicht mehr so schnell einschüchtern. Sie ist nicht mehr so sensibel und verletzlich. Sie ist immer noch die kluge Frau, die ihr Kämpferherz am rechten Fleck hat. Sie hat aber eine wahnsinnig tolle Entwicklung gemacht.
In dem Stück ist jede Menge Magie im Spiel, es gibt Illusionen. Wie sehr ist der Zauberkünstler in Ihnen auf der Bühne gefragt?
Schöttl: Theater verzaubert im besten Sinne – auch wenn die Stücke nicht in einer Zaubererwelt spielen – immer auf eine gewisse Art und Weise den Zuschauer. Er vergisst, wo er ist. Er taucht ein in den Kosmos der Geschichte. Er identifiziert sich mit den Figuren. Das ist schon etwas Magisches. Insofern ist mir das nicht ganz unvertraut, eine Illusion zu erzeugen, das macht Theater immer.
Wenn es um das technische Geschick geht, einen Zaubertrick vorzuführen, sind wir natürlich alle sehr gefordert, teilweise sehr auf uns zurückgeworfen. Weil es tatsächlich um Fingerfertigkeit geht und um das Erlernen von gewissen Bewegungen, aber auch von ganz bewussten Täuschungsmanövern, so wie Zauberei eben funktioniert. Es gibt einige Illusionen, die mit großem technischem Aufwand passieren. Da geht es auch darum, dass die Sicherheit im Vordergrund steht, dass jeder ganz genau zu jedem Zeitpunkt weiß, was er macht, damit es nicht zu Unfällen und Verletzungen kommt. Also ich bin sicherlich sehr gefordert als Zauberer mit meinen Zauberkünsten.
Anthony: Ich habe meinen wundervollen Zauberstab, den ich doch einige Male zücken muss und jeder Zuschauer, der sich die Vorstellung anschaut, kann sich jetzt ein eigenes wundervolles Bild von den magischen Momenten auf der Bühne machen.
Müssen Zuschauer die sieben Bücher der Originalgeschichte kennen, um das Stück komplett genießen zu können?
Schöttl: In den vollen Genuss kommt man, wenn man die Bücher kennt. Dann versteht man die kleinen Andeutungen, die eingebauten, kleinen Bonmots und die Witze. Das ist etwas, was sich dem aufmerksamen Leser und „Harry Potter“-Kenner mehr erschließt als jemandem, der die Thematik für sich noch gar nicht verarbeiten und verdauen konnte. Tatsächlich ist es aber so, dass das Stück genügend Hilfestellung bietet und auch immer wieder berücksichtigt, dass wir auch Zuschauer bei uns haben, die nicht wissen, was ein Patronus oder Zeitumkehrer ist. Das wird alles immer kurz angerissen, um auch denen genügend Futter zu geben, die die Bücher nicht gelesen haben, die Filme nicht gesehen haben.
Letztendlich finde ich es aber eine schöne Motivation, die Filme mal wieder anzukucken oder sich am ersten Buch zu versuchen. Ich kann nur von meiner Seite sagen: Diese Bücher haben absoluten Suchtcharakter. Es ist ein Genuss, sie zu lesen. Es geht schnell, weil sie sehr gut und klug geschrieben sind. Abseits dessen, ob man sich das Stück anschaut oder nicht, sind sie eine wahnsinnige Bereicherung.
Anthony: Das Stück steht für sich. Es ist ein eigenständiges Theaterstück. Natürlich ist für jeden Fan etwas dabei. Er wird ganz viel Wiedererkennungsmerkmale finden, aber trotzdem muss man das selber nicht gelesen haben und auch die Filme nicht gesehen haben. Es ist so spektakulär und auch eine wundervolle Unterhaltung und gute Inszenierung. Die Geschichte wird erzählt, teilweise gibt es Rückblicke, es wird erklärt, worum es geht. Jeder kann vorbeikommen und sollte das auch tun.
Darum geht’s im Stück
Seine Uraufführung erlebte „Harry Potter und das verwunschene Kind“ 2016 in London, das Stück feiert seitdem große Erfolge. Weitere Spielorte kamen unter anderem mit New York und Melbourne hinzu. Das zweiteilige Theaterstück von J.K. Rowling und Jack Thorne wird in der Regie von John Tiffany aufgeführt. In Deutschland wird es nun zum ersten Mal als nicht-englischsprachige Produktion gezeigt.
„Das verwunschene Kind“ spielt 19 Jahre nach dem Ende von „Harry Potter und die Heiligtümer des Todes“. Harry lebt mit seiner Ehefrau Ginny zusammen, die beiden haben drei Kinder. Harry arbeitet im Zaubereiministerium – und hat vor allem mit seinem Sohn Albus Severus, der gerade nach Hogwarts kommt, so seine Probleme. Albus und sein neuer Freund Scorpius Malfoy bringen die magische Welt gehörig durcheinander – und damit auch dunkle Kräfte zurück.