Dieses Gesicht: die Augen, die hohen Wangenknochen, das Lächeln, das mal verschmitzt, mal verschlagen sein konnte, die tiefen Falten der Verwegenheit. Es ist das Gesicht eines Mannes, der immer am Rand der Katastrophe agiert und darüber hinaus. Den aber seine unendliche Lebenslust stets auch wieder aus dem Abgrund zieht. Es ist das Gesicht von Alexis Sorbas. Die Inkarnation eines Griechen, der mit allen misslichen Lagen des Lebens fertig wird. Der tanzt, wenn anderen zum Heulen zumute ist.
Mag sein, dass der zypriotisch-griechische Regisseur Michael Cacoyannis (1921-2011) 1964 bei der Verfilmung des Romans „Zorba the Greek“ von Nikos Kazantzakis (1883-1957) in Griechenland keinen Schauspieler gefunden hat, der dem faszinierenden Traumtänzer Sorbas ein Gesicht geben konnte. Fündig wurde er in Hollywood, wo ein gebürtiger Mexikaner gerade im Begriff war, eine Weltkarriere zu starten: Anthony Quinn (1915-2001). Und der spielte mit Alexis Sorbas die Rolle seines Lebens. Ein Mexikaner aus Chihuahua wurde so zum romantisierten Sinnbild griechischer Lebensart und Kultur.
Selten hat ein Schauspieler einer Filmfigur so viel Kraft und Eigenständigkeit verliehen. Anthony Quinn, der eigentlich Antonio Rodolfo Quinn Oaxaca hieß, hat dieser Film in den Olymp der unsterblichen Hollywood-Legenden gebracht. Er ist vor 20 Jahren, am 3. Juni 2001, mit 86 in Boston gestorben.
Der Vater Frank Quinn stammte aus Irland, ein Abenteurer, der sich während der mexikanischen Revolution (1910-1920) den Truppen des Freiheitskämpfers Pancho Villa (1878-1923) angeschlossen hatte. Er lernte ein mexikanisches Mädchen kennen, die mit 15 schwanger wurde und den Jungen Antonio zur Welt brachte.
Zeitungsjunge mit künstlerischer Begabung
Während der Vater mit Pancho Villas kämpfte, flüchtete das Mädchen mit ihrem Kind in die USA. „Meine Mutter hat mich in einem Kohlekarren versteckt und ist so mit mir von Mexiko nach El Paso geflohen“, erzählte Quinn später. Von Texas ging es in die Armenviertel von Los Angeles.
Nun war auch der Vater wieder aufgetaucht, der als Kameramann in Hollywood arbeitete und 1927 bei einem Verkehrsunfall ums Leben kam. Der erst zwölfjährige Anthony musste von der Schule abgehen und mit Gelegenheitsjobs als Zeitungsjunge, Schuh- und Fensterputzer, Maurer, Erntehelfer und Boxer zum Lebensunterhalt für die Familie beitragen. Er sprach nur gebrochen Englisch, fiel aber durch seine künstlerische Begabung auf. Bereits als Kind erhielt er einen Preis für eine von ihm geschaffene Skulptur.
Er bevorzugte Schauspielerei vor Architektur
Durch dieses Talent wird der bekannte US-Architekt Frank Lloyd Wright (1867-1959) auf ihn aufmerksam. Er fördert den jungen Mexikaner und stellt ihn als Lehrling an, danach soll Anthony Architektur studieren. Außerdem überredet Wright ihn zu einer Zungenoperation, denn sein Schützling spricht nicht nur schlecht Englisch, er lispelt auch. Der Architekt bezahlt den Eingriff und schickt den Jungen danach zum therapeutischen Sprachunterricht an einer Schauspielschule.
Damit ist Anthony für die Architektur verloren. Er will nun Schauspieler werden. Es folgen Theaterauftritte, kleinere Rollen in Hollywood, meist spielt er einen Mexikaner. 1940 bekommt er endlich die amerikanische Staatsangehörigkeit.
Marlon Brando als Konkurrent
Erst 1952 hat er seinen Karrieredurchbruch. Im Revolutionsdrama „Viva Zapata“ spielt er den Bruder des Revolutionärs Emiliano Zapata (1879-1919). Für die Hauptrolle ist Marlon Brando (1924-2004) vorgesehen, was Quinn ungerecht findet, weil doch er das viel natürlichere Latinoflair besitze. Eine Wette, wer der bessere Latino ist und am weitesten pinkeln kann, soll darüber entscheiden. Brandon gewinnt – und Quinn wird für seine Rolle mit dem Oscar als bester Nebendarsteller belohnt.
Trotzdem glaubt Quinn ganz ernsthaft, dass er für eine Hauptrolle in Hollywood nicht gut genug ausschaue. Er geht nach Europa und dreht 1954 mit dem italienischen Regisseur Federico Fellini (1920-1993) „La Strada – Das Lied der Straße“ – ein weiterer Welterfolg. Zwei Jahre später spielt er an der Seite von Gina Lollobrigida (93) in „Der Glöckner von Notre Dame“ den Quasimodo. Und im gleichen Jahr wird er für seine Rolle als Maler Paul Gauguin in „Vincent van Gogh – Ein Leben in Leidenschaft“ erneut mit dem Oscar als bester Nebendarsteller ausgezeichnet.
Alexis Sorbas zog ihn in seinen Bann
Nun gehört er auch in Hollywood zur Crème de la Crème. Er kann sich Rollen aussuchen, verdient Millionen, womit er seine drei Ehen und 13 Kinder von fünf Frauen finanzieren kann. 1964 steckt er mal wieder in einer tiefen Liebeskrise. Seine erste Ehefrau, die Schauspielerin Katherine DeMille (1911-1995), will ihn wegen seiner unzähligen Affären sogar in die Psychiatrie stecken lassen, da erhält er das Angebot, den Alexis Sorbas zu spielen.
Anthony Quinn ist dafür die allererste Wahl, denn nur ein Schauspieler mit seiner ungebrochenen Lebenslust kann diese Rolle ausfüllen. Quinn liest den Roman, der verfilmt werden soll – und entdeckt in der Hauptfigur sich selbst. Sorbas habe noch bei der Lektüre „die Macht“ über ihn ergriffen, sagt er später.
Ein berühmter Sirtaki am Strand
In der Schlussszene tanzen zwei Männer an einem Strand auf Kreta, und da muss „der Funke des Glücks, die glückliche Lebenseinstellung auf die Menschen in der ganzen Welt übergesprungen“ sein, wie Quinn später formuliert. Er „breitet seine Arme aus, als wollte er die ganze Welt umarmen. Schleppend hebt er die Füße. Gemeinsam beginnen sie zu tanzen“, schreibt der „Spiegel“.
Anthony Quinn hat sich während der Dreharbeiten den Fuß gebrochen und kann vor Schmerzen kaum auftreten. Also erfindet er zur wunderbaren Musik des Komponisten Mikis Theodorakis (95) „einen Tanz mit einem ungewöhnlichen Gleit- und Schleppschritt.“ Welcher Tanz das sei, will Regisseur Cacoyannis nach dem Take wissen. Quinn hat eine spontane Idee und sagt: „ein Sirtaki“.
Alexis Sorbas hat Anthony Quinn bis zu seinem Tod begleitet, in vielfacher Form. Er spielt ihn im Theater, er lässt seine Fantasie frei walten, malt Bilder, fertigt Skulpturen, schreibt Bücher. Am 3. Juni 2001 stirbt er an einer Lungenentzündung und wird im Garten seines Hauses bestattet.