Das Fast-Fashion-Unternehmen Shein hat Anschuldigungen zurückgewiesen, wonach Fabrikarbeiter:innen Nachrichten auf den Etiketten von Kleidungsstücken hinterlassen. In diesem Artikel erfährst du, wie viel dahinter steckt und was TikTok damit zu tun hat.
Warum ist Shein so problematisch?
Was ist Shein?
Shein (gesprochen she-in) ist Ultra-Fast-Fashion made in China. Das Erfolgsgeheimnis der Marke liegt in den extrem günstigen Preisen. Dazu kommt die Tatsache, dass es jeden Tag neue Klamotten zu entdecken gibt. Täglich kommen bis zu 7.000 neue Produkte hinzu.
TikTok vs. Shein: „Help me“ Tags in Etiketten sorgen für Shitstorm
Der chinesische Einzelhändler stand kürzlich im Mittelpunkt einer Online-Verschwörungstheorie. Ein virales TikTok-Video behauptete, verschiedene Botschaften zu zeigen, die auf Etiketten von Shein-Kleideranhängern geschrieben oder aufgenäht sind.
Eine Verschwörungstheorie besagt, dass Mitarbeiter:innen des chinesischen Fast-Fashion-Einzelhändlers Shein geheime Botschaften in Kleidung einnähte, um Kund:innen um Hilfe zu bitten. Das Video hat im Internet Millionen von Aufrufen erhalten, aber es gibt keine Beweise für die weit verbreiteten Behauptungen.
Die TikTok-Videos, die diese Theorie verbreiteten, zeigten in Kleidungsstücke eingenähte Etikette, auf denen Folgendes zu lesen war:
„Nicht chemisch reinigen aufgrund der wassersparenden Technologie, wir brauchen Ihre Hilfe beim ersten Waschen mit dem Feinwaschmittel“
In den Videos wurde behauptet, der Text „need your help“ sei ein verschlüsselter Hilferuf. Bei dem Etikett handelt es sich höchstwahrscheinlich nur um eine schlechte Übersetzung von Reinigungsanweisungen, denn es gibt keine Beweise dafür , dass ein:e Arbeiter:in eine geheime Nachricht gesendet hat.
Verschwörungstheorie: Versteckte Hilferufe – Wie viel ist dran?
Die Behauptungen wurden auch von der Website Snopes entlarvt. Sie bezeichneten die Behauptungen letzte Woche als „größtenteils falsch“. Es sei unklar, an welcher Kleidungsmarke dieses bestimmte Etikett angebracht war. Snopes, früher bekannt als Urban Legends Reference Pages, ist eine Website zur Überprüfung von Fakten. Es wurde im Internet als „angesehene Referenz zum Aussortieren von Mythen und Gerüchten“ beschrieben.
TikTok Video geht viral
Ein Video auf TikTok, in dem diese Behauptung aufgestellt wurde, hat mehr als 41 Millionen Aufrufe und wurde über 6 Millionen Mal geliked. Faktenprüfer:innen von Snopes und credibilitycoalition fanden heraus, dass das Video mehrere disparate Ereignisse und unzusammenhängende Vorfälle aus dem letzten Jahrzehnt zusammenschusterte und dabei keinen weiteren Kontext enthielt.
Das Video zeigt Etiketten, die die Aufschrift „HELP ME“ tragen. Es wurde aber festgestellt, dass dieses gar nicht zu shein gehört. Es scheint stattdessen ein Kleidungsstück von Romwe zu sein, einer anderen chinesischen Fast-Fashion-Marke. Romwe gab 2018 eine Erklärung ab, in der es heißt, dass es sich bei den Anhängern nicht um Botschaften von Arbeitern handele, sondern lediglich um den Namen des Artikels, nämlich das „Help Me Bookmark“.
Ein anderes Etikett, das in dem Video zu sehen ist, hatte den Satz „Ich habe Zahnschmerzen“ eingenäht, obwohl dieses Bild vor acht Jahren auf Reddit gepostet wurde und in keinem Zusammenhang mit Shein steht. Auch hier gibt es keine Beweise dafür, dass das Etikett echt ist. Eine umgekehrte Bildsuche zeigt, dass dieses spezielle Bild seit mindestens 2016 online ist und regelmäßig als auftaucht Beispiel eines „lustigen“ Kleidungsanhängers.
Das TikTok-Video zeigte auch einen Ausschnitt aus einer lokalen Nachrichtensendung, in der ein Vorfall aus dem Jahr 2015 geschildert wurde. Dabei fand eine Frau in Michigan einen Hilferuf in einem Paket mit Unterwäsche. Diese Unterwäsche wurde auf den Philippinen von der Handcraft Manufacturing Corporation, einem New Yorker Unternehmen, hergestellt, wie aus einem lokalen Nachrichtenbericht hervorgeht.
Ein weiteres Bild in dem Video zeigte ein gelbes Stück Papier mit der Aufschrift „SOS! SOS! SOS!“ und darunter eine Nachricht in chinesischer Sprache geschrieben. Dieses Stück Papier wurde laut einem Bericht von ITV im Jahr 2014 von einem Kunden entdeckt, der Kleidung bei Primark, einem in Irland ansässigen Fast-Fashion-Händler, gekauft hatte.
Was sagt Shein dazu?
Shein hat die in den Videos erhobenen Vorwürfe in einer auf seinem TikTok-Konto veröffentlichten Erklärung bestritten.
„Recently. there has been some confusion about one of our product labels,“ the company writes. „Our intention was to remind customers to help soften this fabric by using a softener when washing the garment for the first time. The fabric is digitally printed, a process which reduces the use of water, as opposed to traditional, water-intensive textile printing.“
Shein via TikTok
In dieser Erklärung spricht Shein von einigen Verwirrungen, die es bezüglich der Produktetiketten gegeben hätte. Das Unternehemen will nach eigenen Angaben mit diesen Etiketten seine Kund:innen daran erinnern, dass sie beim ersten Waschen des Kleidungsstücks einen Weichspüler verwenden sollten, um den Stoff weicher zu machen.
Der Stoff sei digital bedruckt worden, da es ein Verfahren ist, welches den Wasserverbrauch im Gegensatz zum traditionellen, wasserintensiven Textildruck reduziert. Somit ist ein Hilferuf durch eine individuelle Person durch dieses Etikett unwahrschienlich.
Weitere harte Vorwürfe gegenüber Shein
Obwohl diese Behauptungen falsch zu sein scheinen, sind Shein und andere Fast Fashion-Unternehmen wegen ihrer Auswirkungen auf die Umwelt und die Arbeitsbedingungen in die Kritik geraten.
In einem Bericht der Schweizer Überwachungsorganisation Public Eye wurde letztes Jahr behauptet, dass die Arbeitsbedingungen bei Shein und einigen seiner Partnerunternehmen gegen das chinesische Arbeitsrecht verstoßen. Einige der Partnerbetriebe von Shein waren informell in Wohngebäuden untergebracht und verfügten nicht über angemessene Notausgänge oder Fenster.
Die Arbeiter sagten der Überwachungsgruppe, dass sie 75 Stunden pro Woche arbeiteten und nur einen Tag pro Monat freihatten, so der Bericht. Arbeiter in einer Shein-Verpackungsanlage sagten Public Eye, dass sie bis zu 28 Tage im Monat und bis zu 14 Stunden am Tag arbeiteten.
Shein reagierte auf diese Vorwürfe ebenfalls mit einer Antwort via TikTok. Dort machen sie deutlichen, dass sie die Belange der Lieferkette sehr ernst nehmen. Ihr strikter Verhaltenskodex verbiete ihren Lieferanten den Einsatz von Kinder- oder Zwangsarbeit.
We want to make it very clear that we take supply chain matters seriously. Our strict Code of Conduct prohibits suppliers from using child or forced labor and we do not tolerate non-compliance.
Shein via TikTok
Das Erfolgskonzept von Shein
Shein ist für seine extrem niedrigen Preise bekannt und bietet unter anderem Produkte für nur 1 Dollar an. Das Unternehmen wurde in diesem Jahr nach einer kürzlich durchgeführten Finanzierungsrunde mit über 100 Milliarden Dollar bewertet. Damit ist es damit wertvoller als seine Rivalen H&M und Zara zusammen.
Für viele unbemerkt, wurde Shein einer der großen Player auf dem Fashion-Markt. Die Website ist weltweit eine der meistbesuchten Modeseiten. Mitte vergangenen Jahres hat die Shein-App in den USA die bis dato am häufigsten heruntergeladene Amazon-Shopping-App überholt. In Deutschland ist Shein mittlerweile auf Platz 5 der größten Online-Spezialisten im Bereich Fashion
Das Geschäftsmodell des Unternehmens basiert auf übermäßigem Konsum, da die Kunden mit mehr Vergünstigungen belohnt werden, je nachdem, wie viel sie ausgeben.
Auf seiner Website behauptet Shein, dass alle seine Arbeiter „existenzsichernde Löhne“ erhalten. Sie halten sich angeblich „streng“ an die Gesetze, die Kinderarbeit verbieten. Das Unternehmen sagt auch, dass es Sklaverei in seinen Einrichtungen oder in den Einrichtungen seiner Partner verbietet, und beruft sich dabei auf seinen starken Glauben an ethische Arbeitsbedingungen.
Fazit: Verschwörungstheorie hin oder her, man sollte Shein kritisch betrachten
Der Bericht von publiceye zeigt eine interessante Bilanz: Wer aufgrund der Preise von Shein-Artikeln ultratiefe Löhne in den Produktionsstätten erwartet hatte, dürfte auf den ersten Blick erstaunt sein: Wer für Shein Kleider herstellt, kann ein Einkommen erzielen, das deutlich über den 5410 Yuan pro Monat liegt. Das hat die Asia Floor Wage Alliance, ein Bündnis aus Gewerkschaften und zivilgesellschaftlichen Organisationen des Globalen Südens, als Existenzlohn berechnet.
Nur: Dieser Vergleich hinkt gewaltig. Denn sämtliche Arbeiterinnen, mit denen die Verfasser:innen des Berichts sprachen, verrichten faktisch eher zwei Jobs als einen. Sie arbeiten elf, zwölf, manchmal dreizehn Stunden, meist sieben Tage die Woche, ohne Aufschlag für Überstunden. Shein macht es sich systematisch zunutze, dass diese Arbeiterinnen bereit sind, auf ein Mindestmass an Sicherheit, Freizeit und Lebensqualität zu verzichten – weil sie kaum eine Alternative haben.
Aber wie heißt es auf dem Pullover von Shein, den es für 9,99 Euro zu kaufen gibt?«Fun Fact: I don’t care». Frei übersetzt: «Ist mir doch egal.» Scheint unter anderem das Motto der Marke in Bezug auf Arbeitnehmer:innenrechte, Nachhaltigkeit und Transparenz zu sein.